Peking. In Wuträumen dürfen gestresste Großstädter in China Gegenstände zertrümmern, um sich abzureagieren. Psychologen bezweifeln den Nutzen.

Die 24-jährige Chao Nan braucht nur einen Schlag. Und schon hat sie das auf einem Bock platzierte Autoradio mit dem Baseballschläger zertrümmert. Ihre beiden Freunde dreschen derweil kräftig auf zwei Telefone, einen großen Lautsprecher, einen Reiskocher und auf eine Schaufensterpuppe ein. Die ganze Umgebung erinnert an eine fensterlose Gerümpelkammer, dazu läuft quietschende Heavy-Metal-Musik.

So sieht es aus, wenn gestresste Chinesen im Wutraum Frust abbauen. Rund 20 Euro zahlt Chao Nan für eine halbe Stunde. Dafür hat sie weiße Schutzkleidung bekommen, Helm mit Visier, Baseballschläger, wahlweise auch einen Vorschlaghammer und Zutritt in das aus Beton gegossene Zimmer im Westen der chinesischen Hauptstadt Peking.

Im Wutraum ist alles erlaubt

Vorher durfte sie auswählen, auf welche Gegenstände sie draufhauen möchte. „Im Wutraum gibt es keine Regeln. Es macht einfach Spaß“, erklärt Chao Nan. Am besten könne sie entspannen, wenn sie mit voller Wucht Bierflaschen gegen die Wand pfeffere. Endlich habe sie einen Ort gefunden, an dem sie sich nach Herzenslust abreagieren könne.

Vorbereitungen für den Frustabbau.
Vorbereitungen für den Frustabbau. © REUTERS | JASON LEE

Wuträume erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Es gibt sie in Berlin, München und Paris, aber nirgendwo werden sie so stark frequentiert wie in Peking.

Der 20-Millionen-Moloch ist laut und hektisch, überall sind Baustellen, die Autofahrer hupen aggressiv. In den überfüllten U-Bahnen gehört Drängeln zum Alltag, die Passanten sind oft ruppig.

Wutanfälle sind in China ein Tabu

„Menschen in Peking stehen unter enormem Druck“, erklärt Jin Meng, die 25-jährige Betreiberin des Wutraums. In ihren Zimmern können Gäste ungezügelt alles kurz und klein schlagen. „Zum Stressabbau“, sagt Jin.

Früher wäre man vielleicht zum Holzhacken in den Wald gegangen, wenn es innen drin brodelt. Aber das ist in modernen Großstädten gar nicht so leicht.

Angestaute Wut kann krank machen. Unkontrollierte Wutanfälle dagegen, also Schreie, Beleidigungen oder Handgreiflichkeiten, sind ein gesellschaftliches Tabu – gerade in China. Etwa 600 Menschen kommen im Monat in Jin Mengs Wutraum. „Wir schaffen einen sicheren Raum, um negative Energie abzulassen“, sagt die Betreiberin.

Nach Herzenslust kaputt schlagen

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    Psychologen glauben jedoch, dass Wuträume vielmehr ein Event sind als eine Form funktionierenden Stressmanagements. Eine aktuelle Studie der Pädagogikhochschule in Hongkong hat ergeben, dass Menschen, die ihre martialischen Fantasien explizit ausleben, eher Gewalt ausüben als Menschen, die ihre Aggressionen auf friedliche Weise abbauen.

    Mach kaputt, was dich kaputt macht

    Die Fernseher, Telefone und Möbel, die in den Wuträumen kaputtgehauen werden, stammen vielfach aus Secondhandgeschäften. Nach dem Gebrauch werde der Schrott recycelt, sagt Betreiberin Jin Meng. „Darin finden sich Wertstoffe, die zusätzliche Einnahmen bringen.“

    Eine Kundin lässt an einer Weinflasche ihre Wut ab.
    Eine Kundin lässt an einer Weinflasche ihre Wut ab. © REUTERS | JASON LEE

    Die Kunden könnten auch eigene Gegenstände zum Zertrümmern mitbringen. Jin Meng berichtet von einer Frau, die nach ihrer Trennung lauter gerahmte Hochzeitsbilder mitbrachte und auf sie einschlug.

    Chao Nan und ihre Begleiter sind fertig für heute. Sie haben 30 Minuten lang auf alles eingeprügelt, was ihnen unter den Schläger kam, und dabei an ihre Arbeit am Schreibtisch gedacht. Mach kaputt, was dich kaputt macht. Nun seien sie entspannt, sagen sie. Morgen geht’s wieder ins Büro.