Berlin. Im Film „Bird Box“ wird ein reales Zugunglück mit damals 47 Todesopfern gezeigt. Angehörige fordern nun, dass die Szene entfernt wird.

Der Horrorthriller „Bird Box“ ist der erfolgreichste jemals von Netflix produzierte Film. 80 Millonen Mal wurde der Film mit Sandra Bullock in der Hauptrolle seit Weihnachten aufgerufen. Doch der Erfolg der Netflix-Eigenproduktion hat einen Beigeschmack: Zu sehen sind in dem Film reale Aufnahmen des Eisenbahnunglücks im kanadischen Lac-Mégantic im Jahr 2013.

47 Menschen starben bei dem Unglück, bei dem ein Zug, der Rohöl transportierte, explodierte. Die Angehörigen der Opfer und Anwohner des 5600-Einwohnerstädchens haben Netflix nun gebeten, die Szene aus dem Film zu entfernen.

Die unterkühlte Antwort des Streamingdienstes gegenüber dem Hollywood Reporter lautete nur: „We will keep the clip in the movie.“ (übersetzt: „Wir werden den Ausschnitt im Film lassen.“)

Aufnahmen auch in Science-Fiction-Serie „Travelers“

Bei „Bird Box“ tauchen die Aufnahmen in einem fiktionalen Nachrichtenbeitrag auf. Aber nicht nur in dem Horrorthriller hat sich Netflix bei den realen Unglück bedient. Auch in der Science-Fiction-Serie „Travelers“ sind die Szenen der brennenden Kleinstadt zu sehen. Untertitelt sind die Bilder dort mit „nukleare Explosion in London“.

Möglich sind diese Aufnahmen, da laut „New York Times“ ein New Yorker Archivbild-Anbieter Pond5 die Lizenzen an den Bildern erworben hat. Pond5-Chef Jason Teichmann bat gegenüber der New York Times um Entschuldigung und kündigte an, die Szenen zu löschen.

„Wir alle fühlen uns schrecklich, dass wir nicht genug unternommen haben, um sicherzustellen, dass die Aufnahmen angemessen verwendet wurden“, sagte Teichmann.

Produktionsfirma entschuldigt sich – Netflix nicht

Während „Bird Box“ eine Netflix-Eigenproduktion ist, wurde „Travelers“ von der kanadischen Produktionsfirma Peacock Alley Entertainment aus Toronto produziert. Als die Produktionsfirma von dem Vorfall erfuhr, entschuldigte sie sich beim staatlichen kanadischen Rundfunksender CBC.

„Wir wussten nicht, woher die Bilder kamen. Wir entschuldigen uns aufrichtig“, sagte Peacock Alley Entertainment-Präsidentin Carrie Mudd der CBC. Netflix sieht dagegen anscheinend keinen Grund für eine Entschuldigung. Das löst Empörung aus.

„Sie können sich nicht vorstellen, was es für die Menschen hier in Lac-Mégantic bedeutet, diese Bilder wieder in Erinnerung gerufen zu bekommen“, sagte die Stadtratsvorsitzende von Lac-Mégantic, Marie-Claude Arguin, der „New York Times“.

Noch heute, fünfeinhalb Jahre nach der Katastrophe, würden Psychologen die traumatisierten Anwohner und Angehörigen der Opfer betreuen.

Bei dem Unglück 2013 starben 47 Menschen

Bei dem Zugunglück 2013 hatte ein Lokführer den mit 72 Kesselwagen behangenen Zug auf einem Gleis abgestellt, um sich zur Nachtruhe zu begeben. In den Wagen lagerten 113.000 Liter Rohöl. Um die Druckluftbremsen des Zuges aktiv zu halten, ließ der Zugführer eine der fünf Lokomotiven laufen.

Diese begann jedoch zu brennen. Zwar konnte die Feuerwehr den Brand löschen, allerdings wurde dabei vergessen, eine andere Lokomotive in Gang zu setzen, um die Bremsen aktiv zu halten.

Stattdessen ließen die Feuerwehrleute den Zug unbeaufsichtigt. Dieser löste sich und rollte führerlos auf die Kleinstadt Lac-Mégantic zu. Durch das Gefälle nahm er über 100 Kilometer pro Stunde auf.

Der damalige kanadische Premierminister Stephen Harper (r.) besichtigte am 7. Juli 2013 den Unglücksort in Lac-Mégantic.
Der damalige kanadische Premierminister Stephen Harper (r.) besichtigte am 7. Juli 2013 den Unglücksort in Lac-Mégantic. © imago stock&people | imago stock&people

Der Zug entgleiste, die Wagen explodierten zum Teil. Das Feuer breitete sich in der Kleinstadt aus. 47 Menschen starben, rund 30 Gebäude wurden zerstört.

Der Erdölfirma Irving Oil wurden später Verstöße gegen das Gefahrguttransportgesetz nachgewiesen. Sie musste vier Millionen Kanadische Dollar zahlen. Der Zugführer wurde am 19. Januar 2018 freigesprochen.

„Wir finden, dass es wirklich ein Mangel an Respekt ist“

Besonders unpassend scheint der Ausschnitt des Unglücks im Zusammenhang mit der Handlung des Films „Bird Box“. Denn der Horrorthriller handelt von Menschen, die in Scharen Selbstmord begehen, nachdem sie Dämonen erblicken.

„Wir finden, dass es wirklich ein Mangel an Respekt ist. Es ist schwer genug für unsere Bürger, diese Bilder zu sehen, wenn sie normal und respektvoll in den Nachrichten verwendet werden“, sagte die Bürgermeisterin von Lac-Mégantic, Julie Morin, der kanadischen Tageszeitung „The Globe and Mail“.

„Bird Box“-Challenge sorgte für Aufsehen

„Bird Box“ gerät nicht zum ersten Mal in den Fokus. Für Aufsehen sorgte der Film, nachdem sich im Internet eine „Challenge“ entwickelte, bei der sich Nutzer die Augen verbanden, sich dabei filmten und die Videos auf Youtube hochluden. Netflix warnte die Nutzer vor der Challenge aufgrund der damit verbundenen Verletzungsgefahr.

Sandra Bullock spielt die Hauptrolle in „Bird Box“, bei dem sich die Figuren die Augen verbinden müssen, um nicht in den Suizid getrieben zu werden.
Sandra Bullock spielt die Hauptrolle in „Bird Box“, bei dem sich die Figuren die Augen verbinden müssen, um nicht in den Suizid getrieben zu werden. © dpa | -

Wirtschaftlich gesehen passt „Bird Box“ dagegen in ein erfolgreiches Jahr für Netflix. Der Streamingdienst konnte 8,8 Millionen Abonnements abschließen, 1,5 Millionen davon in den USA, die restlichen 7,3 Millionen international.

Dennoch zieht Netflix in den USA die Preise an und prüft auch in Deutschland neue Preise. Hintergrund ist der große Schuldenberg, den Netflix in seiner 21-jährigen Geschichte angehäuft hat.