Totalán/Málaga. Das Drama um Julen, der in einem Brunnen starb, bewegte Menschen nicht nur in Spanien. Die Anwälte des Grundbesitzers erheben nun Vorwürfe.
Wochen nach dem Tod des kleinen Julen in Spanien erheben die Anwälte des Besitzers des Grundstücks, auf dem der Brunnen stand, schwere Vorwürfe: Wie die Zeitung "El Pais" berichtet, behaupten sie, dass die Rettungskräfte verantwortlich sind für den Tod des Kindes.
So soll Julen durch eine Spitzhacke eines Helfers ums Leben gekommen sein. Das Werkzeug soll wenige Stunden nach dem Sturz eingesetzt worden und in den Brunnen gefallen sein.
Anwälte fordern neue Ermittlungen
„Der Einsatz mit der Spitzhacke, insgesamt zehn Schläge, zwischen 17.30 und 21.00 Uhr am Unglückstag (Julen war kurz vor 14 Uhr in den Schacht gefallen), ist das Einzige, was die körperlichen Wunden am Kopf und am Schädel des Minderjährigen verursachen konnte“, heißt es in dem Bericht.
Die Anwälte fordern nun eine Befragung der Feuerwehrleute und Polizisten. Ob es zu weiteren Ermittlungen kommt, war zunächst unklar, wie "El Pais" schreibt. Auf der Hand liegt aber, dass der Grundbesitzer ein Interesse daran hat. Gegen ihn wird wegen fahrlässiger Tötung ermittelt.
Verfasst wurde das Schriftstück von dem Architekten Jesús María Flores, der bereits in der Vergangenheit den Rettungseinsatz kritisiert hatte. Damals hatte sich die Architektenkammer öffentlich von Flores' Aussagen distanziert.
Julen war Mitte Januar in dem Ort Totalán in ein über 100 Meter tiefes, illegal gegrabenes Bohrloch gefallen. Seine Leiche wurde zwei Wochen später in 70 Metern Tiefe gefunden, nachdem Helfer in mühsamer Arbeit einen Parallelschacht gebohrt hatten. Laut dem kurz darauf veröffentlichten Autopsiebericht starb der Junge noch am Tag des Unfalls an schweren Kopfverletzungen: Demnach löste sich während des Sturzes auch Gestein, das von oben auf das Kind herabfiel und die Schädelverletzungen verursachte.
Weiterer Todesfall nach Julen
Nach dem Tod von Julen hatte es noch einen weiteren Todesfall gegeben. Wie das Portal „Malaga hoy“ unter Berufung auf die Behörden berichtet, habe man am Morgen einen 45-Jährigen tot aus einem Schacht bei Villanueva del Trabuco gezogen.
Demnach soll der Mann mit seinem Hund spazieren gegangen, aber nicht nach Hause zurückgekehrt sein. Rettungskräfte hätten daraufhin nach ihm gesucht und ihm schließlich im Inneren eines Brunnenschachts entdeckt.
Mann wollte offenbar seinen Hund retten
Auf Fotos vom Fundort ist zu sehen, dass der Schacht mit einer etwa einen Meter hohen Betonumrandung gesichert ist. Auch soll sich der Mann gut in der Gegend ausgekannt haben.
Die Ermittler vermuten daher, dass zunächst sein Hund in den Schacht gestürzt sein könnte und er das Tier habe retten wollen. Auch der Hund war tot im Brunnenschacht gefunden worden.
45-Jähriger tot aus Schacht geborgen – das Wichtigste:
- Kurz nach Julens Bergung fanden Polizisten eine zweite Leiche
- Aus einem anderen Schacht bargen sie einen 45-Jährigen
- Der Mann wollte offenbar seinen Hund retten
- Dabei starb er – vermutlich an Unterkühlung
Todesursache womöglich Unterkühlung
Laut „Informativos Telecinco“ wird davon ausgegangen, dass der 45-Jährige an Unterkühlung starb. Der Brunnen sei acht Meter tief und mit Wasser gefüllt gewesen. Erstem Anschein nach habe er mithilfe der Hundeleine versucht, wieder hinauszuklettern.
Villanueva del Trabuco liegt etwa 60 Kilometer nördlich von Totalán, wo der zweijährige Julen ebenfalls in einen Schacht gefallen war und nur noch tot geborgen werden konnte. Laut „El Mundo“ soll es rund eine Million solcher Brunnenschächte in Spanien geben.
Brunnenschächte in Spanien oft illegal gebohrt
Viele dieser Brunnen werden illegal gebohrt – eine Vermutung, die auch im Fall Julen geäußert wurde. Schon vor Tagen war bekannt geworden, dass die Polizei wegen des Brunnenschachtes ermittelt – ob er überhaupt dort hätte sein dürfen.
Julen stürzte 71 Meter in die Tiefe – und starb kurz darauf
Dem Obduktionsergebnis zufolge starb Julen an einem Schädel-Hirn-Trauma. Darüber hinaus erlitt er laut dem Obduktionsbericht mehrere weitere Traumata. Auch die Frage nach dem Todeszeitpunkt ist geklärt: Der Zweijährige starb noch an dem Tag, als er in den Brunnenschacht stürzte.
Bei einem Schädel-Hirn-Trauma beschreibt man in der Medizin Schädelverletzungen, die durch äußere Gewalteinwirkung zustande kommen. Von einem Traumata spricht man im Allgemeinen, wenn Gewebe verletzt oder verwundet ist.
Julen tot aus Brunnen-Schacht geborgen – das Wichtigste in Kürze:
- Ein Zweijähriger war in Spanien in einen 107 Meter tiefen Brunnenschacht gefallen
- Rettungskräfte suchten tagelang verzweifelt nach dem Kind
- Es war bei einem Familienausflug verschwunden
- Helfer fanden in dem Schacht zunächst Haare des Jungen
- Spezialisten arbeiteten an einem Rettungsschacht
- Rettungskräfte mussten den Schacht hinuntersteigen
- Es wurden Ermittlungen eingeleitet
- Der Brunnenschacht war offenbar gar nicht gesichert – und nicht genehmigt
- Die Eltern haben bereits ein Kind verloren
- Schließlich bargen die Rettungskräfte den Zweijährigen tot
- In Spanien herrschte große Trauer
- Julen starb an schweren Hirn- und mehreren anderen Verletzungen
- Zwei Tage später fanden Polizisten einen toten Mann – ebenfalls in einem Schacht
Beerdigung von Julen in Malaga
Im Januar wurde Julen im Viertel El Palo der andalusischen Stadt Málaga unter riesiger Anteilnahme der Bevölkerung beigesetzt. Tränen und weiße Blumen hätten die Beerdigungszeremonie geprägt, schrieben Medien.
Hunderte Menschen versammelten sich am Mittag vor dem Friedhof, um Abschied von dem Zweijährigen zu nehmen.
Julens Bruder starb an Herzversagen
Die Familie des Jungen hatte darum gebeten, die Privatsphäre der Familie zu respektieren. Der Stadtrat von Málaga hat drei Tage offizielle Trauer erklärt.
Die Eltern des Kindes ist es ein schwerer Schlag: 2017 hatten sie bereits einen Sohn verloren: Damals starb Julens älterer Bruder Oliver bei einem Strandspaziergang mit drei Jahren an Herzversagen.
Rettungskräfte entdeckten Julen nach tagelanger Suche
Um 2.21 Uhr am Samstagmorgen im Januar hatten Rettungskräfte nach tagelanger Suche den Zweijährigen in einem Brunnenschacht entdeckt. Zwölfeinhalb Tage hatten Hunderte Einsatzkräfte unermüdlich gearbeitet, um den Jungen auf dem schwer zugänglichen Hügel Cerro de la Corona in Totalán unweit von Málaga zu finden.
Der Kleine war bei einem Ausflug mit seiner Familie in das Loch gefallen. Bei Kameraaufnahmen war im Schacht eine Tüte mit Süßigkeiten entdeckt worden, die Julen bei sich hatte, später waren Haare des Jungen gefunden worden.
Bergung von Julen dauerte Tage
Hunderte Einsatzkräfte hatten unermüdlich gearbeitet, um den zweijährigen Jungen zu finden. Er galt in einem 107 Meter tiefen Brunnenschacht als verschollen. Der Unglücksort am Hügel Cerro de la Corona nahe der Küstenstadt Málaga war nur schwer zugänglich.
Die Arbeit der Bergungskräfte wurde mehrfach kritisiert. Zu schlecht, zu langsam, hatte es geheißen. Dem trat die Feuerwehr entschieden entgegen.
„Nichts wurde dem Zufall Überlassen. Eine vergleichbare Aktion hat es noch nie gegeben“, hatte der Präsident des Feuerwehrverbandes von Málaga, Francisco Delgado Bonilla betont. Man habe „eine sehr anspruchsvolle Arbeit, für die man eigentlich Monate braucht, in Tagen geschafft“.
Mikrosprengung durchgeführt
Die Gesteinsbedingungen hatten die Arbeiten erschwert. „Wir haben dieselben Probleme vorgefunden wie an den vergangenen Tagen: Extrem harter Felsen“, hatte Polizeisprecher Jorge Martín noch am Freitag vor Journalisten gesagt.
Weil das Loch nur einen Durchmesser von 25 bis 30 Zentimetern hat, hatten die Retter entschieden, einen parallelen Schacht auszuheben, um zu Julen vorzudringen. Er wurde in einer Tiefe von 70 bis 80 Metern vermutet.
Ermittlungen eingeleitet
Auch die spanische Justiz schaltete sich in den Fall ein. Am Gericht in Málaga ist laut der Zeitung „El Pais“ ein Verfahren eröffnet worden. Wie der Fernsehsender RTVE erfahren hat, habe es nämlich keine Genehmigung für einen mehr als 100 Meter tiefen Brunnen gegeben.
Zudem wurde angeprangert, dass es keine Absicherung des Loches gegeben habe. Es sei lediglich mit Steinen abgedeckt worden. „El Pais“ berichtet unter Berufung auf einen Brunnenbauer, dass sich der Ort bei einem weiteren Besuch verändert habe. Die Absicherung mit Steinen sei weg gewesen.
„Mondscheinlöcher“ im Fokus
Dass sich ein solches Unglück wiederholen könnte, ist nicht ausgeschlossen: Schließlich gibt es in Spanien zahlreiche illegale Löcher, die man auch „Mondscheinlöcher“ nennt. Nach Schätzung der Umweltorganisation Greenpeace gibt es im ganzen Land über eine Million davon.
„El Mundo“ schrieb, in Wirklichkeit seien es viel mehr. Und „diejenigen Bohrungen, die nicht zum Erfolg führen, werden mehr schlecht als recht zugedeckt“.
Seit Jahren regnet es in Spanien aufgrund des Klimawandels zu wenig. Flüsse trocknen aus, vor allem im Süden und im Landesinneren gibt es immer mehr steinwüstenähnliche Landschaften.
Besitzer von Grundstücken und Fincas beauftragen deshalb sogenannte „Poceros“, erfahrene „Löchergräber“ mit Bohrungen, die oft in Nacht- und Nebelaktionen nachts nur bei Mondbeleuchtung gegraben werden. Im Volksmund heißen diese Schächte deshalb „Mondscheinlöcher“. (dpa/cho/ses/bkö/sdo/ac/moi/les)
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