Paris. Zwischen Aufstieg und gnadenlosen Abstürzen: Der große Schauspieler Gérard Depardieu wird 70 Jahre alt – und gibt der Welt Rätsel auf.

„Ich liebe das Leben zu sehr, als dass ich es zu kontrollieren versuche“, hat Gérard Depardieu vor zwei Jahren geschrieben, in einer Autobiografie mit dem Titel „Monster“. Wie sehr er dieses Motto verinnerlicht hat, spiegelt sich schon in der Leibesfülle eines Mannes, der 140 Kilo auf 1,75 Meter verteilt.

Doch das Bild des unersättlichen Genussmenschen, das man lange durchaus wohlwollend betrachtet hat, ist längst fleckig geworden.

Depardieu hat seine Maßlosigkeit in den vergangenen zehn Jahren auf ein so erschreckendes Niveau geschraubt, dass seine künstlerische Kraft in Vergessenheit zu geraten droht. Man schüttelt den Kopf über seine Eskapaden, rätselt über seine Motive und denkt ein bisschen wehmütig an seine besten Filme zurück.

Depardieu überlebte ein Dutzend Motorradunfälle

Heute wird Frankreichs berühmtester Schauspieler 70, es grenzt an ein Wunder, wenn man auf seine bisherigen 69 Jahre blickt. Vier Bypässe halten ihn am Leben, eine Lebertransplantation hat er bereits hinter sich.

Das Saufen, beteuert Depardieu, habe er eingestellt, noch vor vier Jahren brüstete sich der ebenso passionierte wie talentierte Hobby-Winzer in einem Interview, dass er bis zu 14 Flaschen Alkohol am Tag herunterschütte, er könne nur einschlafen, wenn er besoffen sei. Ein Dutzend Motorradunfälle hat er überlebt, nüchtern war er dabei selten.

Eine Oscar-Nominierung als Cyrano

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Er war Danton, er war Columbus, Rodin, Rasputin, natürlich der wunderbare Cyrano de Bergerac, ja, auch Obelix, er war Ganove, Liebhaber, Komödiant, er hat meist die Hauptrolle gespielt in kaum fassbaren 250 Filmen, manche genial, einige groß, zu viele grausig. Er war als Cyrano für den Oscar nominiert und sagenhafte 16 Mal für dessen französisches Pendant, den César.

Seine darstellerische Wucht, die mit seiner kolossalen Präsenz einherging, hat ihn auch in Hollywood zum Star gemacht. Amerika indes hat ihn aus vielen Gründen nie wirklich gereizt.

Wer in Paul Chutkows Biografie „Vom Straßenkind zum Superstar“ liest, wie Depardieu bei den Dreharbeiten zu „Green Card“ durch New York irrte auf der Suche nach einem frischen Hühnchen aus freilaufender Zucht und enttäuscht ins Hotel zurückkehrte, der ahnt, warum das so ist.

Depardieu zeigt sich auch zart und verletzlich

Wer ihn in seiner berührendsten Rolle in Truffauts „Die Frau nebenan“ so zart und verletzlich erlebt, dass man heulen möchte, der spürt, dass er so viel mehr ist als der lebensverschlingende Berserker, den er so oft auf der Leinwand gegeben hat. Aber es liest sich fast schon wie ein Nachruf.

Vom Film hat Gérard Depardieu sich nicht offiziell verabschiedet, doch er dreht nur noch selten fürs Kino, es sind eher die persönlichen Abstürze, die ihn ins öffentliche Bewusstsein rücken. Derzeit muss er sich wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung einer Schauspielschülerin verantworten. Er hat die Anschuldigung als absurd zurückgewiesen.

Depardieu pinkelte einst ins Flugzeug

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Immer noch scheint er von unbändigem Zorn durchdrungen, Gerechtigkeit definiert er nach seinen Maßstäben, Anstandsregeln sind ihm oft fremd. Die Lust zur Provokation, um die Grenzenlosigkeit der eigenen Freiheit zu demonstrieren, treibt ihn immer noch an.

Dass er mal in ein Flugzeug gepinkelt hat, weil ihn die Stewardess kurz vor der Landung nicht mehr zur Toilette ließ, gehört dabei zu den unappetitlichen Kapriolen seiner Vorstellung von Rebellion.

Das Milieu seiner fürchterlichen Kindheit bricht offenbar immer noch durch, und als er sich von Wladimir Putin vor fünf Jahren höchstpersönlich zum Russen machen ließ, angeblich, weil ihm die Steuern daheim zu hoch gewesen seien, trieb sein Verfolgungswahn bizarre Blüten.

Depardieus Eltern waren Analphabeten

Seine Mutter hatte 1948 vergeblich versucht, ihn abzutreiben, bevor er als eines von sechs Kindern einer armen Arbeiterfamilie in einem Provinzstädtchen ziemlich genau in der Mitte des Landes zur Welt kam. Die Eltern konnten weder lesen noch schreiben, Depardieu, der wegen Sprachstörungen in der Schule scheiterte, war früh auf sich gestellt und brachte sich nahezu alles selbst bei.

Er bot sich als Strichjunge an, buddelte Leichen aus Gräbern, um ihren Schmuck zu klauen, und hat von der 68er-Revolte vor allem in Erinnerung, dass er den Protestlern, wenn sie müde wurden, die Armbanduhren vom Handgelenk zog.

Eine Druckerlehre brach er mit 13 ab, der Besuch einer Molière-Aufführung soll ihn mit 16 dazu gebracht haben, Schauspieler zu werden. Er hat vier Kinder aus verschiedenen Beziehungen, den Tod seines Sohns Guillaume mit 37 hat er nie verkraftet, wie er einmal bekannt hat.

Man könnte auch sagen: Die Verfilmung des Lebens von Gérard Depardieu ist überfällig.