Berlin. Sebastian Koch, dem Star von „Werk ohne Autor“, ist es wichtig, auch mal „nein“ zu sagen. Das half ihm auch in #MeToo-Situationen.
Ohne Sebastian Koch würde es diesen Film nicht geben. Gerade erzählte Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck, dass er „Werk ohne Autor“ ohne Kochs Einwilligung, die Rolle des bösen Professor Seeband zu spielen, niemals gedreht hätte. Der Film, der von Hamburg, Zürich bis Wien Premiere feiert, wurde bereits als Deutschlands Kandidat für die Oscars nominiert.
Koch spielt einen Machtmenschen, SS-Mann und Euthanasie-Arzt. Auch in dieser Rolle fasziniert er. Wie schon als Andreas Baader, als Graf Stauffenberg und Albert Speer. Der 56-Jährige zählt zu Deutschlands besten Schauspielern. In seiner Karriere hat er gelernt, welche Kraft ein „Nein“ haben kann und dass der Bauch die besten Entscheidungen trifft.
Der Regisseur hat lange an dem Film gearbeitet. Wie sehr hat Sie der Film in Anspruch genommen?
Sebastian Koch: Zum ersten Mal hat mir Florian Henckel von Donnersmarck vor vier Jahren von seinen Plänen erzählt. Damals auf der Hochzeit eines gemeinsamen Freundes. Er hatte die Geschichte bereits sehr genau im Kopf. Und seine Idee, Kunst und das Leben in Anlehnung unter anderem an Gerhard Richter mit einem großen cineastischen Film zu verbinden, hat mich von Anfang an fasziniert.
Ich schlug ihm später vor, sich für das Schreiben des Drehbuchs in mein kleines Häuschen an einem See in Brandenburg zurückzuziehen, was er tat. Es ist ein sehr einsamer, schöner Ort, ein bisschen wie in Kanada, ich ziehe mich dort auch gern zum Einstudieren von Rollen zurück. In zwei Wochen erarbeitete er das Gerüst, das Drehbuch hat er dann zu Hause in L.A. geschrieben.
Wann begann denn Ihre tatsächliche Arbeit?
Koch: Das Drehbuch hatte ich zum ersten Mal im Dezember 2015. Im Mai 2016 haben wir angefangen zu drehen.
Sie spielen einen sehr bösen Mann, irgendwann werden Sie im Film von einem russischen Major geschlagen. Und ganz ehrlich, als Zuschauer freut man sich an der Stelle.
Koch: Schon so früh?
Es gibt eine weitere schlimme Szene: Eine junge Frau fleht Sie an, sie nicht zu töten. Der Mann, ein Euthanasie-Arzt, bleibt hart. Wie schwer ist so etwas zu spielen? Sie haben ja auch eine Tochter im gleichen Alter.
Koch: Natürlich geht mir so etwas nahe. Aber als Schauspieler versuche ich in das Hirn, in die Gedanken der Person, um die es geht, einzutauchen. Dieser Mann hat ein Ziel, er denkt, er macht alles richtig. Wenn ich diese „verrückte“ Wahrnehmung, seine Welt, wirklich genau auslote, dann kann ich die Rolle auch spielen.
Wie nähern Sie sich der Rolle an?
Koch: Ich suche nach ihrem Handlungsmotiv. Meist haben solche Menschen selbst Schlimmes erlebt, sind Opfer gewesen. Waren im Ersten Weltkrieg, lagen im Schützengraben, bangten um ihr Leben. Und diese Generation, der dieser Professor Seeband angehört, ist zudem sehr protestantisch erzogen worden. Mit den Händen auf der Bettdecke, kalter Dusche, Disziplin, wenig Umarmung, kaum Zärtlichkeit.
Goldene Kamera 2018: Das sind die Gewinner
Es gibt wirklich eine furchtbare Sexszene in dem Film. Da haben Sie Sex mit Ihrer Sekretärin, total leidenschaftslos, aber im Takt. Ohne jede Zärtlichkeit, es ist auch etwas komisch.
Koch: Ja, der Mann ist eine Maschine, auch beim Sex – genauso gefühlskalt. Diese unglaubliche Disziplin ist auch etwas ganz Deutsches. Alles wird dem Ziel untergeordnet, und keiner darf davon abweichen. Der Mann ist Kontrolle pur, macht keine Bewegung zu viel. Als Sebastian Koch bin ich tatsächlich das Gegenteil, ich bewege mich viel und bin ein eher emotionaler Mensch. Ich mache fast alles aus dem Bauch heraus.
Trotzdem ist man auch von diesem Mann fasziniert. Er ist hochintelligent und rettet als Frauenarzt einer schwangeren Frau das Leben.
Koch: Machtmenschen haben oft eine faszinierende Brillanz, der man sich kaum entziehen kann. Das ist aber die Gefahr, die von ihnen ausgeht. Sie geben Schwarz-Weiß-Denken vor, und natürlich ist es leicht, so jemandem zu folgen. Das erleben wir im politischen Deutschland ja auch gerade wieder. Ideologien und Schwarzmalereien sind schrecklich.
Die Botschaft des Filmes ist: Sieh genau hin. Warum ist diese Botschaft zurzeit so bedeutend?
Koch: Die intensive Suche nach der inneren Stimme, nach der eigenen Haltung ist immens wichtig. Nicht nur im Moment, sondern immer. Nie wegsehen und nicht alles glauben. Es gibt mehrere Realitäten. Davon erzählt der Film.
Sind die Möglichkeiten zur Meinungsbildung durch das Internet zu groß?
Koch: Nein und ja. Die Welt ist durch die Flut der Information konfus, und das verwirrt viele. Früher gab es drei Medien, und das war es. Heute muss man sich genau anschauen, wem man was glaubt.
Manche würden sagen, wir leben dadurch liberaler.
Koch: Ja, das Internet ist eine der besten Erfindungen seit der Dampfmaschine. Aber es überfordert. Und da kommen wir wieder auf die innere Haltung, auf die wichtige Frage im Leben, was brauche ich wirklich? Man muss sich konzentrieren, denn das Tempo im Netz ist atemlos.
Was nutzen Sie für Medien?
Koch: Ich habe ein Smartphone, um mein Leben besser zu koordinieren, das ist sehr praktisch. Aber mein Büro bedient für mich die sozialen Medien.
In Ihrer letzten Szene im Film sehen Sie ein Bild, das Sie erschüttert. Was passiert da?
Koch: Der Mann spürt eine Kraft, die stärker als seine Regeln ist. Er fühlt die Macht der Intuition, der Liebe und der Sinne, die er längst abgeschnitten hat. Und er spürt dazu, dass all das das eigentliche Leben bedeutet.
Folgen Sie, also Sebastian Koch, der Intuition?
Koch: Absolut. Ich gelte zwar immer als Intellektueller. Aber das bin ich nicht. Intuition ist für mich die wichtigste Begleiterin. Zu spüren, was ich will und brauche. Welche Rollen ich zum Beispiel annehmen möchte.
Aber am Anfang der Karriere ist man häufig von Zwängen wie Geldnot oder schlechten Rollenangeboten, Menschen, die etwas von einem wollen, beeinflusst. Darum ging es bei der MeToo-Debatte ja auch.
Koch: Ich hatte immer die Kraft, „Nein“ zu sagen. Ich habe selten etwas nur für Geld gemacht.
Hat jemand versucht, Sie zu etwas zu drängen oder sich Ihnen körperlich zu nähern? Wie das gerade Ihr Schauspielkollege Thomas Kretschmann öffentlich gemacht hat?
Koch: Natürlich. Aber man kann ja selbst entscheiden. Ich habe viele Situationen erlebt, in denen ich dachte, wenn du das jetzt nicht machst, dann kann deine Karriere zu Ende sein. Aber ich wollte immer bei mir bleiben. Es geht dabei auch nicht immer nur um Sex. Sondern um die Frage, was macht Macht mit mir, was lasse ich zu?
Mir hat mal ein großer deutscher Produzent gedroht, wenn ich sein Angebot nicht annehme, wäre meine Karriere zu Ende. Ich habe trotzdem Nein gesagt. Ein halbes Jahr später hat er sich übrigens wieder mit einer neuen Rolle bei mir gemeldet.
Sie haben zwei Kinder, wie leben Sie Ihnen das vor?
Koch: Ich muss nicht viel erklären. Die leben mit mir mit und sehen, wie ich mich entscheide. Aber mir ist natürlich wichtig, dass sie auf ihre eigene Stimme hören. Wenn ich alles riskiert habe, alles auf eine Karte gesetzt habe, hat mir das mein eigenes Leben immer reich zurückbezahlt. Neinsagen hat Kraft.
„Werk ohne Autor“ ist wie schon der erste Donnersmarck-Film als deutscher Beitrag für den Oscar nominiert. Ist das jetzt schon Routine für Sie oder noch aufregend?
Koch: Das ist wahnsinnig schön. Jetzt haben wir zumindest die Chance, wieder den Oscar wie schon für „Das Leben der Anderen“ zu gewinnen. Damals war ich bei der Verleihung dabei, als es dann hieß: „The Oscar goes to Germany“, das war überwältigend. Ein Moment wie ein Rausch. Aber wohin die Reise dieses Mal geht und wie lange sie anhält, können wir nicht wissen, nur genießen. Für mich ist das Wichtigste, dass der Film dem Publikum gefällt. Das habe ich bei den Vorführungen in Toronto und Venedig schon gespürt, diese besondere Energie.