Berlin. Eine Studie zeigt, wie verbreitet Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland ist. Sie dokumentiert 3677 sexuelle Übergriffe.

Ihr Umgang mit dem Missbrauchsskandal ist kein Ruhmesblatt für die katholische Kirche – das sieht selbst der Papst so. Erst kürzlich räumte Franziskus ein, dass die „Kirchenbehörden in der Vergangenheit diese Verbrechen nicht immer angemessen angegangen sind“. Er sprach von einer „offenen Wunde“ und bezog sich dabei auf die katholische Kirche insgesamt. Franziskus will den Umgang mit Missbrauchsfällen bei einem Kirchengipfel im Februar 2019 mit den Chefs aller nationalen Bischofskonferenzen besprechen. Auch in Deutschland müssen sich die Bischöfe vorwerfen lassen, dass sie die Aufarbeitung des Missbrauchs nicht energisch genug vorangetrieben haben.

Denn es war bereits 2010, als der damalige Leiter des Berliner Canisius-Kollegs, der Jesuit Klaus Mertes, das Ungeheuerliche öffentlich machte: Zwei Geistliche des Kollegs missbrauchten in den 70er- und 80er-Jahren eine Vielzahl von Schülern. Der Fall löste eine Lawine aus. Immer mehr Missbrauchsopfer brachen ihr jahrzehntelanges Schweigen.

Kirche brauchte acht Jahre für Studie

Wenn der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, am 25. September die von den Bischöfen in Auftrag gegebene Studie zum Missbrauch in der Kirche präsentiert, werden acht Jahre seit Beginn des Skandals vergangen sein. Dass die Kirche in Deutschland so lange brauchte, um diese Bilanz des Schreckens vorzulegen, liegt auch an der Kirche selbst. Ein erster Anlauf für den Report mit dem Hannoveraner Kriminologen Christian Pfeiffer scheiterte krachend und im Streit. Pfeiffer warf den Bischöfen vor, sie hätten ihn bei seiner Arbeit gängeln wollen. Auch die Arbeit an dem nun fertigen Report mit anderen Forschern kam nur mühsam voran.

Papst Franziskus – Sein Leben in Bildern

Das war sein erster Auftritt als Papst Franziskus: Am Abend des 13. März 2013 zeigte sich der neu gewählte Pontifex auf der Loggia des Vatikans. Papst Franziskus ist der erste Lateinamerikaner und der erste Jesuit, der zum Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt wurde.
Das war sein erster Auftritt als Papst Franziskus: Am Abend des 13. März 2013 zeigte sich der neu gewählte Pontifex auf der Loggia des Vatikans. Papst Franziskus ist der erste Lateinamerikaner und der erste Jesuit, der zum Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt wurde. © © epd-bild / Cristian Gennari | Cristian Gennari
Seit seinem Amtsantritt hat Franziskus bei vielen Katholiken Hoffnungen geweckt. Dieses Schwarzweiß-Foto zeigt den jungen Argentinier Jorge Mario Bergoglio (hintere Reihe, 2. v.li.) mit Familienangehörigen in Buenos Aires.
Seit seinem Amtsantritt hat Franziskus bei vielen Katholiken Hoffnungen geweckt. Dieses Schwarzweiß-Foto zeigt den jungen Argentinier Jorge Mario Bergoglio (hintere Reihe, 2. v.li.) mit Familienangehörigen in Buenos Aires. © picture alliance / AP Photo | dpa Picture-Alliance / Uncredited
Schon bald nach seiner Wahl traf sich Franziskus mit seinem zurückgetretenen Vorgänger Benedikt XVI. Das Treffen zwischen dem amtierenden und dem emeritierten Papst gilt als „weltgeschichtliche Stunde
Schon bald nach seiner Wahl traf sich Franziskus mit seinem zurückgetretenen Vorgänger Benedikt XVI. Das Treffen zwischen dem amtierenden und dem emeritierten Papst gilt als „weltgeschichtliche Stunde". © © epd-bild / Osservatore Romano | Osservatore Romano
Mit einer feierlichen Messe auf dem Petersplatz in Rom trat der neue Papst sein Amt an. Der Dekan des Kardinalskollegiums, Angelo Sodano (re.), steckte Franziskus den Fischerring auf. Den Amtsring aus vergoldetem Silber ziert eine Darstellung des Apostel Petrus, dessen Nachfolger die Päpste sind. Hunderttausende Gläubige hatten sich versammelt, um mit dem Oberhaupt der weltweit mehr als einer Milliarden Christen die rund zweistündige Messe zu feiern.
Mit einer feierlichen Messe auf dem Petersplatz in Rom trat der neue Papst sein Amt an. Der Dekan des Kardinalskollegiums, Angelo Sodano (re.), steckte Franziskus den Fischerring auf. Den Amtsring aus vergoldetem Silber ziert eine Darstellung des Apostel Petrus, dessen Nachfolger die Päpste sind. Hunderttausende Gläubige hatten sich versammelt, um mit dem Oberhaupt der weltweit mehr als einer Milliarden Christen die rund zweistündige Messe zu feiern. © © epd-bild/Cristian Gennari/Agen | Cristian Gennari
Da durfte der Sombrero nicht fehlen: Im Februar 2016 besuchte Franziskus Mexiko. In der Basilika der Heiligen Jungfrau von Guadalupe zelebrierte er eine Messe.
Da durfte der Sombrero nicht fehlen: Im Februar 2016 besuchte Franziskus Mexiko. In der Basilika der Heiligen Jungfrau von Guadalupe zelebrierte er eine Messe. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | dpa Picture-Alliance / Presidenciamx
Große Aufmerksamkeit erregte der Besuch des Papstes im April 2016 auf der griechischen Insel Lesbos. Dort waren Tausende Flüchtlinge gestrandet. Viele von ihnen begrüßten den Pontifex. Am Ende nahm Franziskus zwölf Flüchtlinge mit nach Rom.
Große Aufmerksamkeit erregte der Besuch des Papstes im April 2016 auf der griechischen Insel Lesbos. Dort waren Tausende Flüchtlinge gestrandet. Viele von ihnen begrüßten den Pontifex. Am Ende nahm Franziskus zwölf Flüchtlinge mit nach Rom. © imago/Independent Photo Agency Int. | imago stock&people
Ein Höhepunkt war der Besuch des Papstes in den USA im September 2015, wo er in Washington mit US-Präsident Barack Obama zusammentraf. Die beiden verstanden sich offenbar bestens.
Ein Höhepunkt war der Besuch des Papstes in den USA im September 2015, wo er in Washington mit US-Präsident Barack Obama zusammentraf. Die beiden verstanden sich offenbar bestens. © imago/ZUMA Press | imago stock&people
Karfreitag 2016 im Vatikan: Papst Franziskus begeht die Leiden Christi am Kreuz in tiefer Demut.
Karfreitag 2016 im Vatikan: Papst Franziskus begeht die Leiden Christi am Kreuz in tiefer Demut. © Getty Images | Franco Origlia
Papst Franziskus ist ein Mann der großen Gesten.
Papst Franziskus ist ein Mann der großen Gesten. © Getty Images | Franco Origlia
Es fällt ihm nicht schwer, die Menschen für sich einzunehmen.
Es fällt ihm nicht schwer, die Menschen für sich einzunehmen. © REUTERS | MAX ROSSI
Auf seiner Afrikareise besuchte Franziskus im November 2015 auch das Armenviertel Kangemi in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Beim Besuch des Slums am Stadtrand beklagte er die Ausgrenzung großer Bevölkerungsteile in Elendsvierteln am Rande von Metropolen.
Auf seiner Afrikareise besuchte Franziskus im November 2015 auch das Armenviertel Kangemi in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Beim Besuch des Slums am Stadtrand beklagte er die Ausgrenzung großer Bevölkerungsteile in Elendsvierteln am Rande von Metropolen. © Agenzia Romano Siciliani/O.R. | L'Osservatore Romano
Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau im Juli 2016. Schweigend durchschritt Franziskus das Eingangstor mit dem zynischen Motto „Arbeit macht frei
Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau im Juli 2016. Schweigend durchschritt Franziskus das Eingangstor mit dem zynischen Motto „Arbeit macht frei". © Agenzia Romano Siciliani/O.R. | Osservatore Romano
Das katholische Kirchenoberhaupt verharrte in stillem Gebet sitzend vor einer der KZ-Barracken.
Das katholische Kirchenoberhaupt verharrte in stillem Gebet sitzend vor einer der KZ-Barracken. © imago/epd | imago stock&people
Im Juli 2013 besuchte Papst Franziskus in Rio de Janeiro den Weltjugendtag. Am Strand der Copacabana feierte er in Anwesenheit von einer Million Menschen ein Begrüßungsfest mit brasilianischer Musik, Tanz und Feuerwerk.
Im Juli 2013 besuchte Papst Franziskus in Rio de Janeiro den Weltjugendtag. Am Strand der Copacabana feierte er in Anwesenheit von einer Million Menschen ein Begrüßungsfest mit brasilianischer Musik, Tanz und Feuerwerk. © © epd-bild / Cristian Gennari | Cristian Gennari
Wortgewandt und mit viel Witz übt Papst Franziskus sein Amt an der Spitze der katholischen Kirche aus.
Wortgewandt und mit viel Witz übt Papst Franziskus sein Amt an der Spitze der katholischen Kirche aus. © Thomas Lohnes
Im Mai 2016 erhielt der Pontifex den Internationalen Karlspreis. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (re.) gratulierte. Der Papst bekam die Auszeichnung „in Würdigung seines herausragenden Engagements für Frieden, Verständigung und Barmherzigkeit in einer europäischen Gesellschaft der Werte
Im Mai 2016 erhielt der Pontifex den Internationalen Karlspreis. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (re.) gratulierte. Der Papst bekam die Auszeichnung „in Würdigung seines herausragenden Engagements für Frieden, Verständigung und Barmherzigkeit in einer europäischen Gesellschaft der Werte". © Agenzia Romano Siciliani/O.R. | Osservatore Romano
Ein historischer Moment: Am Reformationstag 2016 trafen sich Franziskus und der Präsident des Lutherischen Weltbundes, Bischof Munib Younan (li.), im schwedischen Lund zu einer gemeinsamen Messfeier.
Ein historischer Moment: Am Reformationstag 2016 trafen sich Franziskus und der Präsident des Lutherischen Weltbundes, Bischof Munib Younan (li.), im schwedischen Lund zu einer gemeinsamen Messfeier. © imago/Independent Photo Agency Int. | imago stock&people
Bei dem Treffen mit den Lutheranern in Lund, mit dem das Lutherjahr 2017 offiziell eingeläutet wurde, warb Franziskus für mehr Gemeinsamkeit zwischen Katholiken und Protestanten.
Bei dem Treffen mit den Lutheranern in Lund, mit dem das Lutherjahr 2017 offiziell eingeläutet wurde, warb Franziskus für mehr Gemeinsamkeit zwischen Katholiken und Protestanten. © Agenzia Romano Siciliani/O.R. | Osservatore Romano
Papst Franziskus rückt einen traditionellen Kopfschmuck zurecht, der ihm während einer Zeremonie in Kanada überreicht wurde. Dort bat Franziskus die Ureinwohner um Vergebung - einst wurden indigene Kinder ihren Familien entrissen und in kirchlich geführten Internaten untergebracht, wo sie Gewalt und Missbrauch erlebten.
Papst Franziskus rückt einen traditionellen Kopfschmuck zurecht, der ihm während einer Zeremonie in Kanada überreicht wurde. Dort bat Franziskus die Ureinwohner um Vergebung - einst wurden indigene Kinder ihren Familien entrissen und in kirchlich geführten Internaten untergebracht, wo sie Gewalt und Missbrauch erlebten. © Nathan Denette/The Canadian Press/AP/dpa
Tod seines Vorgängers: Franziskus berührt den Sarg Benedikts XVI.
Tod seines Vorgängers: Franziskus berührt den Sarg Benedikts XVI. © Ben Curtis/AP/dpa
Neuerung auf Twitter Anfang  2023: Nur noch zahlende Kunden bekommen das berühmte blaue Häkchen. Selbst Papst Franziskus wurde es weggenommen - er ist offenbar kein zahlender Abo-Kunde.
Neuerung auf Twitter Anfang 2023: Nur noch zahlende Kunden bekommen das berühmte blaue Häkchen. Selbst Papst Franziskus wurde es weggenommen - er ist offenbar kein zahlender Abo-Kunde. © Yui Mok/PA Wire/dpa
Kirche im Zeichen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine: Der ukrainische Präsident Selenskyj trifft im Vatikan Papst Franziskus (Mitte Mai 2023).
Kirche im Zeichen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine: Der ukrainische Präsident Selenskyj trifft im Vatikan Papst Franziskus (Mitte Mai 2023). © -/Vatican Media/dpa
Papst Franziskus muss im Juni 2023 notoperiert werden. Es handelt sich um einen Eingriff am Darm.
Papst Franziskus muss im Juni 2023 notoperiert werden. Es handelt sich um einen Eingriff am Darm.
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Was der „Spiegel“ jetzt aus der Zusammenfassung der Studie zitiert, ist dramatisch: Mindestens 1670 katholische Kleriker haben sich in den Jahren von 1946 bis 2014 an Schutzbefohlenen vergangen. Die Forscher trugen aus rund 38.000 Akten 3677 Fälle sexueller Vergehen an meist männlichen Kindern und Jugendlichen zusammen.

Die Dunkelziffer dürfte erheblich sein – zumal die Forscher erkennen mussten, dass vielfach Akten „vernichtet oder manipuliert“ worden seien. Häufig wurde der Missbrauch von der Amtskirche unter den Teppich gekehrt – indem der verdächtigte Kleriker einfach versetzt wurde. Nur jeder dritte Täter musste sich einem kirchenrechtlichen Verfahren stellen, mit meist geringfügigen Sanktionen. All dies lässt nur einen Schluss zu: In der katholischen Kirche ging über viele Jahre Vertuschen vor Aufklärung.

Es gebe außerdem keinen Anlass zu der Annahme, „dass es sich beim sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker der katholischen Kirche um eine in der Vergangenheit abgeschlossene und mittlerweile überwundene Thematik handelt“, zitiert der „Spiegel“ aus der Zusammenfassung des Reports. Die Serie der Missbrauchsfälle dauerte demnach bis zum Ende des Untersuchungszeitraums an.

Der religionspolitische Sprecher der SPD, Lars Castellucci, verlangt vollständige Aufklärung und ein Konzept von der Kirche, wie „diese Vorgänge aufgearbeitet und abgestellt werden können“. Zudem sei „eine umfassende Entschuldigung für das verursachte Leid“ nötig. Priester müssten wie andere in öffentlichen Ämtern danach streben, Vorbilder zu sein. Stefan Ruppert, kirchenpolitischer Sprecher der FDP, sieht neben den jetzt öffentlich gewordenen „erschreckenden Ergebnissen“ aber auch Positives:

„Ich finde es richtig, dass die katholische Kirche jetzt ihre Missbrauchsfälle in den eigenen Reihen aufarbeitet. Die Kirche muss eine Null-Toleranz-Haltung zum Missbrauch einnehmen. Fehlende Transparenz darf es nicht mehr geben.“ Aus den Gesprächen, die Ruppert mit Kirchenvertretern geführt habe, habe er den Eindruck gewonnen, dass sie das Problem jetzt angehen wollen.

Null-Toleranz-Politik schon 2013 angekündigt

Wie weit das Problem in der katholischen Kirche wirklich reicht, zeigen allein die vergangenen Monate: Der Vatikan musste sich mit einer Reihe von Fällen befassen: Im US-Bundesstaat Pennsylvania sollen 300 Priester über mehrere Jahrzehnte Missbrauch begangen haben. Betroffen waren laut einem Report der Generalstaatsanwaltschaft mehr als 1000 Jugendliche. In Irland berichten staatliche Untersuchungskommissionen von 14.500 Missbrauchsopfern in der irischen Kirche. Ähnliches wurde in Australien und Chile bekannt.

Und was sagt der Papst? Franziskus hatte bei seinem Amtsantritt 2013 eine Null-Toleranz-Politik gegenüber sexuellem Missbrauch angekündigt. Er solidarisierte sich mit den Opfern, bat um Vergebung, verurteilte den Missbrauch verbal aufs Schärfste – und muss sich doch sagen lassen, nicht energisch genug auf immer neue Skandale zu reagieren. Die Pläne für ein vatikanisches Sondergericht für Bischöfe etwa, die in Missbrauchsskandale verwickelt sind, legte er Ende August ad acta. Es wäre ein klares Zeichen gewesen. Stattdessen wird immer deutlicher, dass es dem inzwischen 81 Jahre alten Pontifex nicht wirklich gelungen ist, der Kultur der Vertuschung und des Verschweigens ein Ende zu machen.

In einem Schreiben des Papstes an die Gläubigen in aller Welt hieß es kürzlich: „Mit Scham und Reue geben wir als Gemeinschaft der Kirche zu, dass wir nicht dort gestanden haben, wo wir eigentlich hätten stehen sollen und dass wir nicht rechtzeitig gehandelt haben, als wir den Umfang und die Schwere des Schadens erkannten, der sich in so vielen Menschenleben auswirkte.“