Berchtesgaden. In Berchtesgaden wird Bewerbern ein Grab auf dem begehrten Alten Friedhof per Lotterie zugeteilt. Ein Besuch am Ort des Geschehens.

Man hat sich schick gemacht an diesem Mittwochmorgen im Kongresscenter von Berchtesgaden. Manche tragen ihre Tracht, ein fröhliches „Grüß Gott“ liegt in der Luft. Den vielen Pressevertretern – sogar ein TV-Team aus London ist gekommen – begegnet man mit bayerischer Herzlichkeit.

Der 45-jährige Bürgermeister Franz Rasp, braun gebrannt und in Lederhosen, heizt ein: „Was hier heute passiert, hat es unseres Wissens so noch nie gegeben.“ Was hier heute passiert, das bezeichnete eine Lokalzeitung etwas salopp als „Gräber-Lotterie“. Die Idee aber finden alle hier gut: 200 begehrte Grabstellen sind auf dem 1685 eröffneten Alten Friedhof frei, aber 280 Bewerber gab es. Ein Los sollte bestimmen, für wen die Heimaterde im Herzen des Ortes zur letzten Ruhestätte werden darf – und in welcher Lage er dereinst gebettet wird.

„Zweiklassengesellschaft“ sorgte für Zoff

Sieglinde Skriwan aus Berchtesgaden zu Beginn der Gräberverlosung für frei gewordene Plätze .
Sieglinde Skriwan aus Berchtesgaden zu Beginn der Gräberverlosung für frei gewordene Plätze . © dpa | Peter Kneffel

Jahrzehntelang hatte es eine Art „Zweiklassengesellschaft“ nach dem Tod gegeben, erklärt Rasp. Nur alteingesessene Familien mit Grabrecht besaßen die Möglichkeit, hier, im Schatten von Franziskanerkirche und mächtigen Ulmen, zu bestatten. Das sorgte für Zwist. Zuletzt aber waren 140 Erd- und 60 Urnengräber frei geworden, auch ungenutzte Flächen gibt es. Leerstand sei nicht gut für einen historischen Friedhof, so Rasp. Daher habe man beschlossen, die Grabstellen neu und fair zu vergeben. Traditionen zu bewahren und Dinge pragmatisch anzupacken – auch das ist Teil der bayerischen Mentalität. „Der Friedhof“, sagt Rasp, und es klingt paradox und logisch zugleich, „hat nur dann eine Zukunft, wenn er neu belebt wird.“

Dann stellt er sich auf die Bühne, ein Projektor wirft den nüchternen Lageplan des Friedhofs an die Leinwand, der an den Sitzplan bei einer Online-Flugbuchung erinnert. „Losfee“ Katharina Koller, im Dirndl, zieht einen ersten Zettel aus der Lostrommel, Rasp verliest den Namen, ein bisschen ist es wie beim Bingo-Abend. Sieglinde Skriwan eilt zur Bühne und lässt ihre bevorzugte Ruhestätte für sich und ihren Mann markieren.

Wachsender Anteil von Urnenbestattungen

Es ist der Platz neben dem geliebten Onkel, eine Toplage auf dem 1500-Gräber-Friedhof, zehn Jahre kosten 760 Euro. Warum sie mit 53 Jahren schon für die Zeit „danach“ plant? „Man weiß ja nie, was kommt“, sagt sie fröhlich. Später freuen sich zwei Nachbarn, dass sie auch im Tod nah beieinander sein werden. Wer seinen Grabplatz in der Tasche hat, macht sich davon. Man hat zu tun, gestorben wird an einem anderen Tag.

Dass sie nun auch eine Chance hatten, obwohl sie „erst“ seit 30 Jahren in Berchtesgaden leben, darüber sind die Eheleute Thomas und Martha Frick glücklich. Sie hätten sonst zu ihrem Unmut auf andere Friedhöfe im Landkreis ausweichen müssen. 65 und 69 Jahre alt sind sie und sehen so rüstig aus, als würden sie vor jedem Frühstück erst einmal zehn Kilometer Nordic Walking absolvieren. Den Gedanken an den Tod wollen aber auch sie nicht verdrängen: „Er gehört in die Mitte der Gesellschaft. Deswegen mögen wir diesen wunderschönen Friedhof im Ortskern auch so“, sagt sie.

Platzprobleme auf deutschen Fried­höfen sind mittlerweile die Ausnahme, so Alexander Helbach von Aeternitas, einem Verein für Bestattungskultur. „Im Gegenteil, die meisten Friedhöfe sind zu groß.“ Grund sei vor allem der wachsende Anteil an Urnenbestat­tungen. 65 Prozent der Deutschen lassen sich einäschern, vor 20 Jahren waren es nur 40 Prozent. Auch pflegefreie Beisetzungsformen wie Bestattungswälder würden stark nachgefragt. Aeternitas begrüßt hingegen die „lebendige Abschiedskultur“ von Berchtesgaden.