New York/Eschweiler. Deutsche gab sich in New York als reiches It-Girl aus, führte so ein Luxusleben. Netflix verfilmt die Geschichte der Hochstaplerin.

Als Martin Scorseses „The Wolf of Wall Street“ ins Kino kam, in der die wahre Geschichte von Jordan Belfort erzählt wird, der in den 1990er-Jahren naive Kleinanleger um ihre mühselig zusammengekratzten Ersparnisse brachte und so Millionen machte, waren viele Amerikaner irritiert. Sie konnten sich nicht auf Anhieb entscheiden, ob der Film den betrügerischen Hochstapler nun verdammt oder, wofür Amerikaner eine gewisse Schwäche haben, klammheimlich verherrlicht.

Bei Anna Sorokin, einer Tanklastwagenfahrertochter, die es über Russland und Eschweiler bei Köln mit Zwischenstopps in London und Paris mit einer faszinierend lange durchgehaltenen Lügen-Saga in die coole Bussi-Gesellschaft New Yorks geschafft hat, ist die Gefahr bereits gegeben, bevor die erste Film-Szene im Kasten ist. Die 27-Jährige mit dem blauäugigen Puppengesicht sitzt seit einigen Monaten wegen schweren Diebstahls, Leistungserschleichung und anderer Vergehen auf Rikers Island, mitten im East River mit rund 10.000 Häftlingen New Yorks berüchtigtester Knast, in Untersuchungshaft hinter Gittern.

Update vom 26. April 2019: Falsche Millionenerbin Sorokin: Gericht urteilt „schuldig“

Anna erschlich sich kaltschnäuzig stattliche Bankkredite

Der Branchenriese Netflix will die Lebensgeschichte der Hochstaplerin verfilmen. Unter dem Namen Anna Delvey gab sie sich als 60 Millionen Dollar schwerer Spross einer reichen Familie aus. Sie schummelte sich mit Chuzpe und Hybris in die angesagtesten Partykreise, wohnte wochenlang in Nobel-Hotels, dinierte regelmäßig in den Gourmet-Tempeln Sohos, warf mit 100-Dollar-Trinkgeldscheinen nur so um sich und buchte Luxus-Trips für 7000 Dollar die Nacht nach Marrakesch.

Anna orderte Privatflugzeuge und erschlich sich kaltschnäuzig stattliche Bankkredite. Und das immer zu Lasten Dritter, die sie irgendwie überredete, für sie einzuspringen, und die lange Zeit ignorierten (oder übersehen wollten), dass der falsche Fuffziger aus dem Rheinland nicht mal ansatzweise die erforderliche Finanzkraft besaß. Auf mindestens 275.000 Dollar soll sich der Schaden belaufen, heißt es in der Anklage.

„Beste Marken sind ihr gerade gut genug“

Einen Hang zum Luxus hatte die gebürtige Russin schon lange. In Eschweiler erinnern sich ehemalige Mitschüler an ein schlaues Mädchen, das trotz Sprachproblemen ihr Abitur schaffte – und das gelangweilt wirkte vom „normalen“ Leben. In der Abizeitung des Bischöflichen Liebfrauengymnasiums schrieben ihre Freundinnen über sie: „Beste Marken sind ihr gerade gut genug“, ihre Schuhe konnten nicht zu glamourös sein. Annas Spitzname: Barbie.

Nun droht ihr eine lange Haftstrafe. Aus dem Knast heraus gibt sie irrlichternde Interviews, die laut Richterin Diane Kiesel mehr von der Sorge getragen sind, welcher Hollywood-Star sie denn nun auf der Leinwand verkörpern soll. Im Gespräch sind Jennifer Lawrence (27) und Margot Robbie (27), die ge­rade in der Rolle der Eislauf-Hexe Tonya Harding brillierte. Um das Drehbuch soll sich Shonda Rimes kümmern, die hinter der erfolgreichen „Scandal“-Serie steckt.

Fräulein sieht sich zu Unrecht kriminalisiert

Der Schaden, den die als Praktikantin einer Modezeitschrift gestartete Sorokin unter Ausnutzung verblüffender Leichtgläubigkeit diverser New Yorker Szene-Größen aus Kunst, Geld und Gastro angerichtet hat, spiele dagegen keine Rolle. Von Einsicht, Läuterung oder gar echter Reue nicht der Hauch einer Spur. Im Gegenteil.

Das Fräulein sieht sich zu Unrecht kriminalisiert. Mit der nötigen Unterstützung, sprich: Geld, viel Geld, von anderen, sagt sie unbeirrt, hätte sie ihr Traumprojekt mitten in New York ­verwirklicht: eine multifunktionale Immobilie im Stile des Berliner Soho-Hauses (Mietwohnen, Kultur, gehobener Nippes-Einzelhandel, Disco, Klub etc.). Und alle Schulden abbezahlt.

Anna Sorokin drohen 15 Jahre Gefängnis

Richterin Kiesel ging da nicht mit. Am 18. September beginnt der Strafprozess gegen Sorokin. Wenn es schlecht läuft, verschwindet das selbst kreierte It-Girl für 15 Jahre von der Bildfläche. Ob sie das schreckt?

Rikers Island sei „in Wahrheit gar nicht so übel“, sagt sie, „ich sehe das als soziologisches Experiment“. Mit einigen weiblichen Insassen will sie sich bereits angefreundet habe. Darunter sei ein Mädchen, das anderer Leuts Identitäten gestohlen hat. „Ich hatte gar nicht gewusst“, staunt Sorokin, „wie einfach das ist.“