Washington. US-Sänger Barry Manilow schuf in den vergangenen 45 Jahren unzählige Welthits. Am Sonntag wird der „King of Schmalz“ 75 Jahre alt.

Spätestens seit Bachs „Goldberg-Variationen“ ist die Geschichte reich an Beispielen dafür, dass Musik Blutungen stillen, Schmerzen lindern, Ängstliche besänftigen, Müde ermuntern und Gestresste in den Schlaf wiegen kann. Aber Barry Manilows therapeutische Breitbandwirkung übertrifft fast alles.

Es war vor über zehn Jahren, als sich Gemeinderat und Polizei von Rockdale, einem Vorort von Sydney, nicht mehr anders gegen aufmüpfige Jugendliche zu helfen wussten, als sie über öffentlich installierte Lautsprecher mit den Hits des spirgeligen Entertainers aus Brooklyn zu beschallen. Australische Zeitungen berichteten seinerzeit, dass die juvenilen Unruhestifter zuverlässig Reißaus nahmen, als zum ersten Mal zuckerwattige Meisterwerke wie „Mandy“, „Can’t Smile Without You“, „Looks Like We Made It“, „Could It Be Magic“ und – natürlich – „Her name was Lola, she was a showgirl …“: „Copacabana“ erklangen.

Mehr als 80 Millionen verkaufte Tonträger

Barry Manilow darum auf die Qualität eines tönenden Beruhigungsmittels zu reduzieren, würde ihm aber nicht einmal ansatzweise gerecht. Mit mehr als 80 Millionen verkauften Tonträgern, 50 Alben, 60 Singles, einem guten Dutzend Nr.-1-Hits und einer seit über 45 Jahren stabil anhaltenden Karriere gehört der bis heute bescheiden auftretende Nachfahre russischer Einwanderer (mütterlicherseits), den Frank Sinatra seinen einzigen „würdigen“ Nachfolger nannte, zu den nimmermüden Megastars im leichten musikalischen Fach, das so schwer zu füllen ist.

Sein jüngstes Album „This Is My Town: Songs of New York“ kam erst im vergangenen Jahr in den Handel. Und in Las Vegas hat er gerade eine neue Dauer-Show gestartet. Am morgigen Sonntag feiert der „King of Schmalz“ seinen 75. Geburtstag.

Auf Julliard School in New York studierte Manilow Musik

Als Barry klein war, lebte Mutter Edna, alleinerziehend, in Williamsburg, einem heute begehrten Viertel von New York. Harold Kelliher, der leibliche Vater, machte sich früh aus dem Staub. Obwohl Barry Akkordeon (mit sieben) und Klavier (mit 13) anfing, kam sein musikalisches Erweckungserlebnis erst mit Stiefvater Willie Murphy. Er war es, der den zart gebauten Jungen an Jazz, Blues und Musical-Melodien heranführte.

Auf der Julliard School in New York studierte Manilow Musik und vervollständigte sein Handwerk. Neben dem Studium arbeitete er in der Poststelle des Fernsehsenders CBS. Dort wurde sein Talent fürs Komponieren und Arrangieren entdeckt – zunächst für Werbe-Jingles für eine Versicherung und eine Imbisskette.

Blondgesträhnter und braungebannter Kuschelpopper

Mit 21 heiratete er seine Highschool-Liebe Susan Deixler. Zwei Jahre später folgte die Scheidung. Geburtshelferin seiner Solo-Karriere wurde Bette Midler, die er zu Beginn der 70er-Jahre bei ihren legendären Auftritten in Schwulensaunas auf dem Klavier begleitete. Midler fand Manilow „charismatisch“.

Kurz darauf wurde Clive Davis, der große Mann der Plattenfirma Arista, der später Bruce Springsteen, Janis Joplin, Whitney Houston und Alicia Keys entdeckte, auf ihn aufmerksam. Aus dem Song „Brandy“ machte Manilow „Mandy“ – der erste Super-Hit für den damals blondgesträhnten und braungebannten Kuschelpopper, bei dem die Puffhemdenärmel und Plateauschuhe immer eine Nummer zu groß wirkten. Die 70er-Jahren wurden für Manilow zur Goldgrube. Er gewann mit „Tony“, „Emmy“ und „Grammy“ die Trias des Unterhaltungsgewerbes.

Seit 2014 ist er mit seinem Manager verheiratet

Dass die Kritik seine Texte oft „ziemlich dumm“ nannte und geringschätzig von „Fahrstuhlmusik“ sprach, obwohl er doch auch Jazz und Gershwin konnte, schob Manilow beiseite. Er, der seit 40 Jahren mit seinem Manager Garry Kief zusammen und seit 2014 offiziell verheiratet ist, hat Vertrauen in eine seltene Gabe: Lieder schreiben zu können, bei denen sich Tausende verlieben, verloben, verheiraten – oder in tiefen Liebeskummer verfallen. Weniger Vertrauen hatte er lange in seine öffentliche Rolle, was auch sein spätes Coming-Out erklärt: „Ich dachte, ich würde meine Fans enttäuschen, wenn sie wüssten, dass ich schwul bin.“

Am besten hat es vielleicht der Schriftsteller Clive James formuliert: „Alle, die ich kenne, finden Barry Manilow fürchterlich. Aber alle, die ich nicht kenne, lieben ihn.“ Wahrscheinlich mittlerweile auch die Kids aus Rockdale, Australien, die damals vor seiner Musik geflohen sind.