Paris. Ab dem 1. Juli gilt auf allen französischen Landstraßen ein neues Tempolimit von 80 Kilometern in der Stunde. Das freut nicht jeden.

„Vom Leben auf dem Land haben diese Technokraten in Paris wirklich nicht die geringste Ahnung“, schimpft Robert. Der 44-jährige Familienvater steuert seinen Mittelklassewagen über die gut ausgebaute D77 im ostfranzösischen Departement Meur­the-et-Moselle und schaut immer wieder auf seinen Tacho.

Das Verkehrsaufkommen ist gering in dieser frühen Morgenstunde, trotzdem versucht Robert brav, sich an die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h zu halten. In wenigen Wochen freilich wird auf dieser Straße nur noch Tempo 80 erlaubt sein, was er als „totalen Blödsinn“ ansieht.

Weil sie die vergleichsweise hohe Zahl von durchschnittlich 3500 Verkehrstoten im Jahr senken will, hat Frankreichs Regierung beschlossen, ab dem 1. Juli auf allen zweispurigen Landstraßen Tempo 80 einzuführen. Der Erlass kommt pünktlich zwei Wochen vor Beginn der Schulferien in vielen deutschen Bundesländern, ist Frankreich doch für die Deutschen seit Jahrzehnten eines der beliebtesten Urlaubsziele.

Im Jahr 2016 starben auf Landstraßen 1900 Menschen

So werden ab diesem Sommer auch deutsche Touristen von der Regelung betroffen sein. Diese ärgert es vielleicht ein paar Wochen, Robert jedoch das ganze Jahr. Zu den 400.000 Straßenkilometern, die von dieser Maßnahme betroffen sind, gehört nämlich auch die D77. Für Robert, der an jedem Arbeitstag über diese „Départementale“ von seinem Haus in der kleinen Gemeinde Chambrey in das 20 Kilometer entfernte Städtchen Levry fährt, wo er eine Versicherungsagentur betreibt, dürfte sich die Fahrzeit daher von 22 auf 29 Minuten erhöhen.

„Oder auf 35 Minuten, wenn ich hinter einem Lkw klebe“, sagt er und fügt hinzu: „Es gibt sicherlich gefährliche Landstraßen, wo Tempo 80 Sinn macht. Aber auf der D77 ist das keineswegs so. Und darüber ärgern sich so ziemlich alle, die in der Provinz schon deswegen auf ihr Auto angewiesen sind, weil es keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt.“ Die Pariser Regierung weiß derweil, wie unpopulär die Absenkung der Höchstgeschwindigkeit ist.

Premierminister Édouard Philippe versucht daher, den Franzosen mit statistischen Erhebungen zu kommen: Die meisten tödlichen Unfälle ereigneten sich in Frankreich auf der Landstraße. In 30 Prozent der Fälle zählt überhöhte Geschwindigkeit zu den Ursachen. Philippe geht davon aus, durch die Tempoabsenkung bis zu 400 Menschenleben im Jahr retten zu können – 2016 starben mehr als 1900 Menschen auf französischen Landstraßen.

Paris will parallel mehr Temposünder fassen

„Ich bezweifle das“, knurrt Robert, „aber ich bezweifle nicht, dass man sich in Paris schon jetzt die Hände über die zusätzliche Zahl von Autofahrern reibt, die mit Tempo 85 in eine Radarfalle tappen.“ Der böse Verdacht, die Regierung wolle lediglich die Automobilisten noch über jene 920 Millionen Euro hinaus schröpfen, die die Radarkontrollen bereits heute einspielen, wird nicht nur von den Automobilvereinen geteilt. Auch die meisten Franzosen, die zu mehr als 70 Prozent gegen das neue Tempolimit sind, denken so.

Die Zweifel an den hehren Absichten der Regierung werden von der Tatsache untermauert, dass Paris gleichzeitig die Jagd auf die Temposünder verschärfen will. In der Normandie werden derzeit fünf mit Hightech-Blitzern ausgestattete Messwagen getestet, die automatisch die Geschwindigkeit aller ihnen voraus- oder hinterherfahrenden Autos messen. Zu allem Überfluss haben die Behörden diese Messwagen privaten Sicherheitsfirmen anvertraut, die die rollenden Radarfallen an allen Tagen der Woche acht Stunden lang einsetzen sollen.

Paris hat vor, bis 2020 mehr als 300 solcher Hightech-Messwagen an private Unternehmen auszuliefern – eine Form von Outsourcing, gegen die der Verein „40 Millionen Automobilisten“ jetzt eine Klage eingereicht hat. Das oberste Verwaltungsgericht wird entscheiden müssen, ob die Übertragung der Geschwindigkeitskontrollen an Privatfirmen überhaupt zulässig ist. Bislang waren diese alleinige Aufgabe von beamteten Ordnungshütern.