Berlin. Einige Fachleute sorgen sich um die „Generation Selfie“. Dabei helfen die Porträts bei der Identitätsfindung, sagen andere Experten.

Liane (14) und Julia (13) hatten ein super Wochenende unter Freundinnen auf dem Land. Sie haben bei Sonnenuntergang im See gebadet, im Garten von Lianes Eltern zu Taylor Swift getanzt und dabei viele Selfies gemacht. Julia im Wasser, wie sie ihre Haare nach hinten wirft, Julia im Handstand auf der Wiese, Liane abends mit Badetuch im Haar vor einem Teller Pasta.

Abends wurden die Handy-Fotos noch bearbeitet, optimiert, gepimpt, hochgeladen, online gestellt, auf ihren Instagram-Profilen gepostet. „Ihr habt doch nur auf eure Handys gestarrt und nichts erlebt“, sagt Lianes Mutter am Ende des Wochenendes etwas traurig den Mädchen. Die zucken nur mit den Schultern.

Die erste Generation, die ein Leben ohne Internet nicht kennt

Längst sind besagte Selbstporträts Synonym für die Generation der heute sechs- bis 28-Jährigen geworden. Die Generation Selfie ist die erste, die ein Leben ohne Internet nicht kennt und schon im Jugendalter ein Smartphone besitzt. Die Macht von Milliarden Bildern und Botschaften, die mittlerweile in sozialen Netzwerken kursieren, ist stark. Das Belohnungssystem aus neuen Followern und Likes funktioniert – gerade bei Mädchen wie Liane und Julia – Jugendlichen, die in der Klassengemeinschaft mithalten und beliebt sein wollen.

Die Bedenken ihrer Eltern und Experten weltweit über den hohen Handy-Konsum sind bei den Heranwachsenden zweitrangig. „Die Jugendlichen stehen durch die sozialen Medien und ihr Smartphone unter dem ständigen Druck, immer erreichbar zu sein, immer zu reagieren und mit ihren Freunden in Kontakt zu bleiben. Wer sich nicht regelmäßig meldet, ist raus“, weiß auch die Kölner Familienpsychologin Elisabeth Raffauf.

Kinder und Jugendliche gehen heute seltener auf Partys

Sorgen machen sich auch Forscher wie die US-amerikanische Psychologin Jean M. Twenge. Für die renommierte Autorin ist klar, dass die Generation „von Smartphones geformt“ wurde. Laut Twenge verlassen Kinder und Jugendliche heutzutage weniger ihr Schlafzimmer und gehen seltener auf Partys. Sie haben später ihre erste Beziehung und weniger Sex als frühere Generationen.

Der Anteil der psychischen Erkrankungen sei aufgrund des Smartphone-Konsums seit dem Jahr 2011 eklatant gestiegen. Mehr als früher fühlen Jugendliche sich allein. In den USA, wertete sie aus, seien die Raten von Depression und Selbstmord seit der Einführung des Smartphones im Jahr 2007 gestiegen. „Die Generation Selfie bildet die Vorhut der größten psychischen Krise seit Jahrzehnten“, erklärt Twenge.

Zehn- bis Elfjährigen verbringen im Schnitt 22 Minuten täglich online

Und auch in Deutschland zeichnet sich, was digitale Nutzungsgewohnheiten angeht, eine ähnliche Entwicklung ab. Laut einer Studie des Digitalverbands Bitkom verbringen rund 94 Prozent der Zehn- bis Elfjährigen im Schnitt 22 Minuten täglich online. Bei Jugendlichen von 16 bis 18 Jahren sind es schon 115 Minuten. Smartphones gehörten bereits im Alter von zwölf bis 13 Jahren zur Standardausstattung von Jugendlichen.

Doch es ist nicht alles schlecht an den Kindern der Babyboomer und der Generation X. Charakteristisch für die Generation Selfie sei das enge Verhältnis zu den Eltern, aber auch die Vorliebe, sich in einer eigenen technikaffinen Welt abzuschotten. Eine komplette Smartphone-Abstinenz empfehlen Experten dennoch nicht. „Technologien wie Fotografien helfen uns dabei, unser eigenes Selbst zu entdecken“, heißt es dazu in einer wissenschaftlichen Arbeit von Ulla Autenrieth.

Smartphones sorgen auch für Reflexion bei Jugendlichen

Und weiter: „Selfies können sehr wohl einen positiven Prozess zur Auseinandersetzung mit gängigen Schönheitsidealen und dem Umgang damit auslösen.“ Der Schlüssel zur digitalen Mediennutzung und Zufriedenheit sei eine begrenzte Nutzung“, stellte Twenge dann nämlich auch fest. Eltern sollten hier die Regeln klar definieren. Und glaubt man dem aktuellen Forschungsstand, so sind nicht die Jugendlichen am glücklichsten, die kein Handy haben, sondern jene, die es unter einer Stunde am Tag nutzen.