Essen. Elke Heidenreich wurde durch die Rolle der Else Stratmann aus Wanne-Eickel bekannt. Die Kabarettistin feiert nun ihren 75. Geburtstag.

Sie liebt Bücher, sie schreibt Bücher und hat in ihrer TV-Sendung „Lesen!“ bei Millionen Menschen Spaß an Literatur geweckt. Was Elke Heidenreich aber so besonders macht, ist ihre Lust, nah bei den Menschen zu sein. Vor allem bei den Menschen im Ruhrgebiet: In der Rolle der Else Stratmann, Metzgersgattin aus Wanne-Eickel, hat sie denjenigen eine Stimme gegeben, auf die sonst keiner hört.

Die Welt der sogenannten „kleinen Leute“ war ihre Herzensangelegenheit. Else Stratmann, 1972 eine der ersten weiblichen Comedyfiguren überhaupt, gab ihren Senf zu allem: Ob Politik, ob Stars – „die da oben“ waren vor ihrer Klappe nicht mehr sicher. Das Leben am Hof von Monaco: „Wie finden Sie Caroline seinen Neuen? Ich sach ma: Der ist zu jung. Datt hält nich.“

Das Leben der Politiker: „Fünf, sechs Männeken beim Zeitungslesen im Bundestag. Son Abgeordneten kassiert dafür 7000 Mark Diäten.“ Deftig. Zotig. Das war ihr Konzept, mit dem sie etwas Neues machte: die Eliten vom Sockel kicken. „Die solln nicht so tun, als wärn se wer weiß wer.“

Ein Interview zum Geburtstag – undenkbar

So bodenständig sie sich als Else Stratmann gegeben hat, so sehr kann sie sich zieren: Ein Interview zum Geburtstag – undenkbar. Sie will nicht. In ihrem Buch „Alles kein Zufall“ kommt das Thema Alter durchaus vor. Da erzählt sie von ihrer Freundin, die deutlich jünger ist als sie: „Werd du erst mal 50!“, sagte sie zu ihr. Und als die Freundin 60 wurde, hieß es: Werd du mal 60! und dann: Wenn du mal 70 bist, wirst du an mich denken.“ Doch da bekam die Freundin einen Wutanfall: Sie sei die Sprüche einfach leid, machte sie ihr klar. Konsequenz, so Heidenreich: „Jetzt sage ich nichts mehr in der Richtung, werde vergnügt 80.“

Doch das Älterwerden lässt sie melancholisch werden, wie sie schreibt. Als sie durch Zufall in Holland einen Laternenumzug sah, wurden Erinnerungen wach: „Die Kindheit stieg hoch, meine einsame Kindheit ohne richtige Familie, nie hatte ich eine Laterne, nie war ich bei den Umzügen dabei, meine Mutter mochte all so etwas nicht, und es war, als würde jetzt nach 60 Jahren der Kummer aus mir herausbrechen.“

Bücher öffneten ihr neue Welten

Elke Heidenreich hat sich stets als „Arbeiterkind aus dem Ruhrgebiet“ beschrieben. Mit Stolz, aber auch ein wenig bitter: Ihre Eltern lebten getrennt. Die Mutter musste Geld verdienen, nähte Vorhänge für die Kinos. Ihr Vater war Automechaniker und reparierte die ersten Luxuswagen des Wirtschaftswunders. Manchmal holte er sie in einem Jaguar von der Schule ab. Die Mitschüler machten große Augen. Dabei war ihr Zuhause deprimierend: Menschen, „die sich hassten, in zwei Zimmern mit Küche, kein Bad, Klo eine Treppe tiefer“.

Bücher öffneten ihr neue Welten. „Alles häkelt, Elke liest!“, hat ihre Lehrerin gesagt. Mit 15 Jahren kam sie als Pflegekind zu einer Pfarrerfamilie nach Bonn, wo ihr Talent gefördert wurde. Sie machte Abitur, studierte Germanistik, Theatergeschichte und arbeitete als Journalistin. Anfang der 80er-Jahre wurde sie Moderatorin der Talkshow „Kölner Treff“. Ihr Katzenbuch „Nero Corleone“ machte sie zur Bestsellerautorin.

Der Schock der Krebserkrankung

Heidenreich ist eine der erfolgreichsten Frauen Deutschlands, eine begnadete Erzählerin, ihr Stil – auch als „Bunte“-Kolumnistin – elegant, unterhaltsam. Mit Witz und klaren Worten wurde Heidenreich zur Literaturkönigin – auch für Menschen ohne Abitur.

Und dann erlebte sie ein persönliches Drama. Sie erkrankte an Krebs. 2002 sprach sie bei Alfred Biolek in „Bios Bahnhof“ erstmals über den Tumor. „Ich habe ihn Montag gefühlt. Dienstag Gewebeprobe. Donnerstag Krankenhaus, Freitag Operation. Man kann nicht mal weinen – so schnell geht’s. Sie erholte sich. Gott sei Dank.

Zunehmend wuchs die Liebe für die Musik

Literatur war stets ihr Tröster, aber zunehmend liebte sie auch die Musik. Und mit 73 Jahren erzählte sie in einem Interview: „Ich lebe zum ersten Mal mit einem Musiker zusammen. Das beglückt mich. Er ist ein Komponist, ein Träumer. Es kann passieren, dass er mich am Bahnhof mit zwei verschiedenen Schuhen abholt.“ Sie schaffe es aber, ihn zu erden. Ehemalige Metzgersgattinnen können so was.