Farindola. Vor einem Jahr begrub eine Lawine ein Hotel in Italien. Nun sprechen Angehörige der 29 Toten darüber, wie sie den Verlust verarbeiten.

Eine dicke Schneeschicht bedeckt den Ort des Unglücks. Nur ein orangener Plastikzaun weist auf die Stelle hin, an der noch bis vor einem Jahr ein Luxushotel stand. Hier, am Gran-Sasso-Massiv in den Abruzzen, hatte eine gigantische Lawine die Anlage nach einer Lawinenserie mitgerissen. 29 Menschen kamen ums Leben.

Ein Jahr danach sind die Wunden immer noch nicht verheilt. „So eine Tragödie darf sich nie mehr wiederholen“, sagte Massimiliano Giancaterino, der seinen Bruder bei der Katastrophe verlor hatte. Die Staatsanwaltschaft Pescara ermittelt gegen 23 Personen wegen fahrlässiger Tötung.

Das Gedenken steht unter dem Motto „mai più“ – also „nie wieder“. „Ich will nicht als ein Überlebender gesehen werden, sondern als der Ehemann eines Opfers, meiner Frau Valentina“, sagte Giampaolo Matrone, der 60 Stunden in dem verschütteten Gebäude gefangen war.

29 Eichen in Erinnerung an die Opfer

Acht Tage lang hatten Einsatzkräfte nach Überlebenden gesucht und neun Menschen aus dem Unglückshotel gezogen, darunter vier Kinder. Elf Menschen überlebten.

Die Liste der Versäumnisse ist lang: Laut Ermittler hätte das Hotel angesichts der Wetterprognosen schon zwei Tage vor dem Unglück, als die Zufahrtsstraße noch passierbar war, evakuiert werden müssen. Danach wurden die Notrufe aus dem Hotel von den Behörden zunächst nicht ernst genommen. Vor allem aber hätte das Hotel nicht auf einen alten Lawinenkegel gebaut werden dürfen.

Am Jahrestag der Katastrophe trafen sich die Angehörigen am Ort des Unglücks.
Am Jahrestag der Katastrophe trafen sich die Angehörigen am Ort des Unglücks. © action press | SIPA PRESS

Am Jahrestag besuchten Überlebende und Angehörige der Toten die Unglücksstelle, an der nichts mehr so ist, wie es einmal war. Am 15 Kilometer entfernten Sportzentrum von Penne, in dem die Feuerwehr vor einem Jahr die Rettungseinsätze koordinierte, wurden in Erinnerung an die Opfer 29 Steineichen gepflanzt. Mit einer Messe und einem Fackelzug gedachten die elf Überlebenden und Angehörige der Toten der Tragödie. Die Trauer ist ihnen ins Gesicht geschrieben.

Je mehr Zeit vergeht, desto größer wird die Trauer

Nicola Colangeli fährt jeden Tag 15 Kilometer aus Farindola zu den Überresten des Hotels, um seiner Tochter einen Blumengruß zu bringen. „Den Schmerz über den Verlust einer Tochter wünsche ich niemandem“, stößt der Mann im blauen Anorak mit dem grauen Schnurrbart hervor. Die Zeit hat bei ihm keineswegs den Schmerz über den Tod seiner Tochter geheilt. Sie arbeitete als Zimmermädchen in dem Hotel. „Je mehr Zeit vergeht, desto schlimmer wird es.“ Colangeli will, dass die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden.

Giampiero Parete leidet unter Schuldgefühlen. Er ist einer der beiden Männer, die sich zum Unglückszeitpunkt um fünf Uhr nachmittags auf dem Platz vor dem Hotel befanden. Nachdem die Lawine das Hotel unter sich begraben hatte, versuchte er vergeblich, per Handy Rettungskräfte zu alarmieren. Als sie um vier Uhr nachts endlich kamen, konnten sie seine Frau und seine beiden Kinder lebend aus den Trümmern ziehen. „Warum haben wir Glück gehabt und die anderen nicht“, fragt sich der Koch von der Adriaküste heute.

Kurz vor dem Lawinenabgang mit den Eltern telefoniert

Das Unglück löste eine Welle der Hilfsbereitschaft aus. „Nur die Institutionen haben Probleme geschaffen“, klagt Federica Di Pietro, die ihre Eltern verloren hat. „Die Steuerbehörden haben monatelang den Erbschein verweigert, weil sie wissen wollten, wer von beiden zuerst starb“, sagt die 30-Jährige aus Loreto Aprutino, einem Ort unweit des zerstörten Hotels.

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    Noch eine knappe halbe Stunde, bevor die Lawine sich am Nachmittag löste, hat die junge Frau mit ihren Eltern telefoniert. „Ich werde die Stimme meines Vaters nie vergessen, wie er mir sagte, dass sie am Abend zu Hause sein würden.“ Am nächsten Tag wollten sie aus Loreto Aprutino nach Rom fahren, um bei der Diplomprüfung ihrer Tochter in Rom dabei zu sein.

    Es sei schwer, im Alltag wieder Fuß zu fassen. Aber man versuche es, sagt Riccardo Di Carlo (20), der gemeinsam mit seinem Bruder (18) die Pizzeria ihrer ums Leben gekommenen Eltern in Loreto Aprutino wieder eröffnet hat. „Wir wollen einfach weitermachen“, so Di Carlo.