Köln. 2009 stürzte das Kölner Stadtarchiv ein, nun startet der Prozess. Der Staatsanwalt hält Fehler bei Bauarbeiten für die Einsturzursache.

Mittwochmorgen vor dem größten Saal des Kölner Landgerichts: Mehrere Anwälte und Juraprofessoren haben ihre Plätze eingenommen. Gleich beginnt hier einer der spektakulärsten Prozesse dieses Jahres – das Verfahren zum Einsturz des Kölner Stadtarchivs. Da taucht ein älterer Mann mit zerfurchtem Gesicht an der Tür auf. „Sind Sie Verfahrensbeteiligter?“, fragt ein Gerichtsdiener misstrauisch. Etwas zögerlich kommt die Antwort: „Ich bin Angeklagter.“

Neun Jahre haben die Kölner auf diesen Prozess gewartet. Es gibt wohl niemanden, der 2009 in der Stadt lebte und die Bilder heute nicht mehr im Kopf hat: Den riesigen Schuttberg an der Stelle, an der eben noch das mächtige Archiv mit den wertvollen Dokumenten darin stand. Tief unter den Trümmern lagen die Toten: zwei junge Anwohner, die wohl geschlafen hatten, als ihre Häuser plötzlich zusammenstürzten.

„Wir machen weiter, bis das Ding auseinanderfliegt!“

Zur Rechenschaft gezogen werden sollen dafür nun fünf Mitarbeiter von Baufirmen und den Kölner Verkehrsbetrieben (KVB), die am Bau einer neuen U-Bahn beteiligt waren. Sie alle sind wegen fahrlässiger Tötung und Baugefährdung angeklagt. Für Oberstaatsanwalt Torsten Elschenbroich gibt es keinen Zweifel: Ein Fehler bei den Bauarbeiten hat den Einsturz ausgelöst.

3. März 2009: Das Historische Stadtarchiv in Köln liegt in Trümmern, Rettungskräfte sind mit Spürhunden unterwegs zum Unglücksort.
3. März 2009: Das Historische Stadtarchiv in Köln liegt in Trümmern, Rettungskräfte sind mit Spürhunden unterwegs zum Unglücksort. © picture-alliance/ dpa | dpa Picture-Alliance / Jörg Carstensen

Laut Anklage lief es so ab: 2005 stoßen Arbeiter beim Ausheben einer U-Bahn-Haltestelle auf einen Gesteinsblock. Der muss weg, damit eine Betonwand gebaut werden kann. Aber dem Bagger brechen die Greifzähne ab. Der hier angeklagte Polier gibt die Anweisung: „Wir machen weiter, bis das Ding auseinanderfliegt!“ Das tut es aber nicht.

Erforderliche Prüfungen nicht vorgenommen

Also bleibt der Brocken in der Erde. Der angeklagte Polier soll den Vorfall nicht gemeldet und ihn im Baustellenprotokoll vertuscht haben. Mit fatalen Folgen: Laut Elschenbroich wurde dadurch „die technische Ursache für den Einsturz gesetzt“. Denn jetzt hat die unterirdische Schlitzwand ein Loch.

Am 3. März 2009 passiert es dann: Die Erdplombe, die sich an der Fehlstelle gebildet hat, fliegt plötzlich wie ein Korken raus, und große Mengen von Sand, Kies und Wasser ergießen sich in die Grube.

Dem Archiv wird gleichsam der Boden entzogen. Mitsamt zweier Nachbarhäuser stürzt es ein. Die anderen vier Angeklagten neben dem Polier waren für die Überwachung der Bauarbeiten zuständig.

Schaden beläuft sich auf 1,2 Milliarden Euro

Ankläger Elschenbroich ist überzeugt: Alle vier hätten die Unregelmäßigkeiten erkennen und beheben lassen können – wenn sie ihre Aufgaben vernünftig erledigt hätten. Doch sie hätten die erforderlichen Prüfungen nicht vorgenommen, es habe „zahlreiche Versäumnisse“ gegeben.

Im Gerichtssaal sitzen viele Experten, unter anderem von den beteiligten Baufirmen. Sie wissen: Nach dem Strafprozess kommt irgendwann das Zivilverfahren. Und dann geht es um eine Menge Geld. Nach Angaben der Stadt beläuft sich der Schaden auf 1,2 Milliarden Euro.

Angeklagte und Anwälte im Prozess um den Einsturz des Kölner Stadtarchivs im Landgericht in Köln.
Angeklagte und Anwälte im Prozess um den Einsturz des Kölner Stadtarchivs im Landgericht in Köln. © dpa | Oliver Berg

Die Baufirmen bestreiten, dass man den Einsturz auf die Schadstelle zurückführen kann. Vielmehr komme auch ein sogenannter hydraulischer Grundbruch als Ursache infrage – ein durch Erdverschiebungen herbeigeführtes Naturereignis. Da wäre dementsprechend niemand haftbar zu machen.

Im März 2019 verjährt das Verfahren

Aber jetzt geht es erst mal nicht ums Geld, sondern um Schuld. Der Verteidiger der KVB-Bauüberwacherin sagt, seine Mandantin treffe keine strafrechtliche Schuld. Denn sie sei bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben „auf eine Mauer aus Verschweigen, Manipulation und Fälschung“ gestoßen. Somit habe sie auch gar nicht erkennen können, „dass sich tief in der Erde ein sorgsam gehütetes Geheimnis der ausführenden Baufirmen verbarg“.

Der Verteidiger des Poliers betont, die objektive Aufklärung dürfe nicht dem Zeitdruck zum Opfer fallen, unter dem das Verfahren steht. Denn wenn bis Anfang März 2019 kein Urteil gesprochen ist, tritt die absolute Verjährung in Kraft – und die Akten werden zugeklappt.