Toronto. Donald Sutherland spielt im neuen Film „Das Leuchten der Erinnerung“ einen Demenzkranken. Ein Gespräch über die Tücken reifer Jahre.

55 Jahre im Geschäft, 200 Filme und Serien, darunter Klassiker wie „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ und Blockbuster wie „Die Tribute von Panem“: Donald Sutherland ist lebende Filmgeschichte. In dem hoch gelobten „Das Leuchten der Erinnerung“ (aktuell im Kino) spielt der 82-Jährige einen Demenzkranken, der mit seiner Frau (Helen Mirren) zu einem letzten Roadtrip im Wohnmobil aufbricht. Wir trafen den gebürtigen Kanadier während des Toronto-Filmfestivals. Seine Agentin hält sich im Hintergrund, weist ihn aber darauf hin, wenn er zu sehr mit seinen Gedanken abdriftet.

Mister Sutherland, wie war es, mit Helen Mirren zusammenzuarbeiten?

Donald Sutherland: Sie meinen Dame Helen Mirren! So viel Zeit muss sein. Ein absoluter Traum. Wir haben schon einmal zusammen­gearbeitet, vor 35, 40 Jahren. Sie ist brillant. Damals wie heute.

In „Das Leuchten der Erinnerung“ spielen Sie einen Demenzkranken und Helen Mirren Ihre an Krebs erkrankte Frau. Bei all der Schwere des Themas wirkt es doch so, als hätten Sie viel Spaß beim Dreh gehabt.

Donald Sutherland: O ja, wir haben das Filmteam mehr als einmal in den Wahnsinn getrieben. Wir drehten eine Szene, in der wir einfach im Wohnmobil an der Kamera vorbei in den Sonnenuntergang fahren sollten. Ich habe mich zu Helen gedreht, ihr tief in die Augen geguckt und zugeflüstert: „Wenn wir wollen, können wir einfach weiterfahren.“ Sie sagte: „Gib Gas!“ Ich habe das Pedal durchgedrückt. Sie können sich nicht vorstellen, was auf einmal für ein Chaos im Funkverkehr der Crew war.

Hatten Sie schon einmal das Bedürfnis, alles hinter sich zu lassen?

Donald Sutherland: Ja.

Warum haben Sie es nicht gemacht?

Donald Sutherland: Mein Agent hat mich davon abgehalten. Es hätte sehr teuer für mich werden können.

Was für eine Situation war das?

Donald Sutherland: Es war 1981. Ich sollte eigentlich „Die Nadel“ in Schottland drehen, war aber noch mit meinem Segelboot irgendwo im Mittelmeer und steckte 24 Stunden in einem Hurrikan fest. Eines unserer Segel war gerissen, wir waren aufgeschmissen. Wir hatten noch zwei Leute dabei. Aber die kotzten sich unter Deck die Seele aus dem Leib und schrien nach ihrer Mutti. Als der Sturm vorbei war und wir überlebt hatten, wollte ich gleich wieder los und die ganze Welt umsegeln. Ich habe meinen Agenten regelrecht angefleht, mich aus dem Projekt rauszuholen, aber er hat Nein gesagt. Mir blieb nichts anderes übrig, als den Film zu machen.

Haben Sie es bereut?

Donald Sutherland: Nein. Drei Monate später lief ich über das Rollfeld des Glasgower Flughafens zu meiner Maschine. Es war absoluter Nebel, typisch Schottland eben. Aus dieser undurchsichtigen Suppe kam auf einmal wie aus dem Nichts eine knapp 20 Jahre alte Flugbegleiterin, blieb entgeistert vor mir stehen und fragte mit großen Augen: „Sie sind Donald Su­therland, nicht wahr? Sie sind nicht annähernd so hässlich wie im Fernsehen.“ Das ist die Story meines Lebens!

Kann man sich auf eine Rolle wie die als Demenzkranker vorbereiten?

Donald Sutherland: Anfangs dachte ich, dass ich Leute mit Alzheimer und Gedächtnisverlust studieren werde. Ich habe aber bald verstanden, dass das der falsche Zugang ist. Das wäre zu einer Karikatur verkommen.

Was haben Sie stattdessen gemacht?

Donald Sutherland: Ich bin zu einer Organisation, die Betreuer vermittelt. Die haben zur Berufsvorbereitung Trainingsvideos, die zeigen, was passiert, wenn man dement wird, und wie man damit umgeht. Die habe ich mir alle angeguckt. Das hat mir immensen Druck genommen. Die unpassendste Reaktion auf Alzheimer ist es, sauer zu werden. Meine Frau im Film wird ständig sauer. Das bringt nichts. Das ist, wie wenn man jemanden ausschimpft, nur weil er eingepinkelt hat. Das passiert manchmal halt. Deshalb habe ich immer einen „Travel John“ dabei. Kennen Sie dieses Ding?

Nein.

Donald Sutherland: Das ist eine kleine Tüte mit einer Öffnung. Man pinkelt da rein und die Kristalle auf dem Boden machen aus der Flüssigkeit ein Gel.

Sie haben das immer dabei?

Donald Sutherland: Ja, ich bin alt, manchmal muss ich halt. Sie glauben gar nicht, wie oft mich das Ding schon vor peinlichen Situationen bewahrt hat. Neulich waren wir in der Oper und haben „Othello“ gesehen. Irgendwann musste ich. Aber statt dass die halbe Reihe aufstehen muss, weil ein alter Sack wie ich seine Blase nicht unter Kontrolle hat, habe ich mir den Seidenschal meiner Frau geschnappt, in den Schoß gelegt und den „Travel John“ rausgeholt. Meine Frau war allerdings richtig angepisst. Metaphorisch gesprochen.

Hatten Sie je Probleme damit, älter zu werden?

Donald Sutherland: Gucken Sie mich an! Das ist leider ein natürlicher Prozess, der unaufhaltbar ist. Altwerden ist nicht schön.

Sie hatten nie so etwas wie Sehnsucht nach ewiger Jugend verspürt?

Donald Sutherland: Nein. Das beste Alter ist immer das, das ich gerade habe. Ich weiß natürlich nicht mehr, wie es sich anfühlt, zwei Jahre alt zu sein. Aber wenn ich mir meinen Enkelsohn angucke, er ist jetzt anderthalb, kann es nur unglaublich sein. Allein sein Talent der Pro­blemlösung. Und selbst in dem Alter lässt er sich nicht verarschen. Da kann ich nur neidisch werden.