Berlin. Die Mafia sieht Deutschland als Investitionsland und Rückzugsort. Deshalb sehen Experten einen konsequenten Kampf als so wichtig an.

Die Aktion hieß „Styx“ – wie der Fluss in der Unterwelt. Und in die Unterwelt sind sie eingetaucht, die italienischen Ermittler. Ihr Erfolg am Dienstagmorgen: 169 Festnahmen in Italien – und Deutschland. Allen wird Verbindung zur kalabrischen Mafiavereinigung ’Ndrangheta vorgeworfen. Denn ja, auch Deutschland ist Mafialand.

Spätestens seit dem Sechsfachmord von Duisburg 2007 dürfte das weithin bekannt sein. Auch wenn die ’Ndrangheta seither versucht hat, nicht mehr aufzufallen. Zu viel Beachtung stört bei der Geldwäsche.

Unter den jetzt Festgenommenen sollen Mitglieder des Clans Farao-Marincola aus der kalabrischen Gemeinde Cirò sein, aber auch italienische Regionalpolitiker und Geschäftsleute, die mit der Mafia kooperiert haben.

Haftbefehle in vier Bundesländern vollstreckt

„Die einzelnen Strafvorwürfe reichen von versuchtem Mord, Erpressung, Geldwäsche und Verstoß gegen das Waffengesetz über internationale Kfz-Verschiebung, illegalen Handel und illegale Verschiebung von Müll bis hin zu unlauterem Wettbewerb“, teilte das Bundeskriminalamt in Wiesbaden mit. Die in Deutschland „auf der Grundlage von EU-Haftbefehlen“ festgenommenen elf Männer waren im Alter von 36 bis 61 Jahren, betroffen waren Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen.

Dass es sich um einen großen Erfolg gegen die Mafia handelt, bestätigt Sandro Mattioli. „Jede Verhaftungswelle ändert etwas, weil dadurch immer ein Clan geschwächt wird“, sagt der deutsch-italienische Journalist, Mafia-Experte und Vorsitzende des Berliner Vereins „Mafia? Nein danke!“. Die jüngsten Festnahmen seien aber als besonders wichtig anzusehen über die reine Zahl der Verhaftungen hinaus. „Es sind durchaus wichtige Vertreter des Clans festgenommen worden.“

Großeinsatz gegen Mafia in Italien und Deutschland

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    Deutschland ist für Mafia Rückzugsort

    Die ’Ndrangheta – neben der sizilianischen Cosa Nostra und Neapels Camorra die größte Mafia-Vereinigung – hat sich längst international ausgebreitet und ist wie eine kriminelle Holding aufgebaut. Die Mafiosi machen mit illegalen Geschäften Geld – vor allem mit dem Kokainhandel. Gewinne investieren sie in legale Geschäftsfelder, in denen sie immer mehr Einfluss gewinnen. Schätzungen zufolge erwirtschaftet allein die kalabrische Mafia jährliche Umsätze im höheren zweistelligen Milliardenbereich.

    „Die ’Ndrangheta hat beschlossen, Deutschland nicht als kolonialisiertes Gebiet zu sehen, sondern als Investitionsfeld, als Rückzugsort“, schildert Mafia-Experte Mattioli. „Das funktioniert auch perfekt, weil die deutschen Gesetze leider nicht so beschaffen sind, dass die Mafia hier viel zu befürchten hätte.“

    Mafia bietet Gastronomen überteuerte Waren an

    Auch in Italien kam es zu Razzien gegen die Mafia.
    Auch in Italien kam es zu Razzien gegen die Mafia. © dpa

    Der Farao-Marincola-Clan hat der italienischen Polizei zufolge „operative Zellen“ in Frankfurt, Wiesbaden, München und Stuttgart gehabt, von wo aus unter anderem das Geschäft mit Wein, Molkereiprodukten und Öl organisiert worden sei. Wer in Deutschland Pizza essen geht, der kann also nicht sicher sein, dass sein Geld nicht bei der Mafia landet – die Verbrecher könnten den Gastwirten Wein oder Öl aus mafiatreuen Betrieben zu überhöhten Preisen aufgezwungen haben.

    Eine Art, Geld zu verdienen und die Kontrolle zu behalten. Eine andere sind beispielsweise Rechnungen für fiktive Dienstleistungen, die von Firmen in Steuerparadiesen an italienische Gastwirte geschickt würden, so Mattioli.

    In Italien ist Mafia aus einigen Branchen nicht herauszubekommen

    „Das eigentliche Problem in Deutschland ist aber nicht, dass die Mafia hier Schutzgeld erpresst“, betont er, „sondern dass sie im großen Stil Gelder investiert. Das halte ich für die größte Gefahr auch für unser Gemeinwesen.“ In Norditalien habe man das immer für ein süditalienisches Problem gehalten und heute habe man dort Wirtschaftszweige, aus denen die Mafia nicht mehr rauszukriegen sei.

    Optimistischer klang es beim Innenminister: Die Verhaftungen seien „ein wichtiger Erfolg gegen die Unterwanderung unserer Wirtschaft“, sagte Thomas de Maizière (CDU) und bezog sich auf Mafiaexperte Mattioli. „Wir lassen es nicht zu, dass kriminelle Organisationen Deutschland als Rückzugs- und Investitionsraumnutzen und hier ihr kriminelles Geschäft erledigen.“