Göttingen. Unter anderem das Präsidium der Göttinger Universität fordert den früheren Bundeskanzler auf, seinen Titel niederzulegen.

Die Georg-August-Universität Göttingen fordert den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) dazu auf, seine Ehrendoktorwürde niederzulegen. Das geht aus einem gemeinsamen Schreiben von Präsidium, Akademischem Senat und Dekaninnen und Dekanen hervor, das am Mittwochabend veröffentlicht wurde.

Das Schreiben im Wortlaut:

„In publica commoda – zum Wohle aller heißt es auf der Stiftungsmedaille der Georgia Augusta und in ihrem Leitbild, in dem sie sich verpflichtet, ihre Kräfte für die Gestaltung einer humanen, toleranten und friedlichen Welt einzusetzen. Sie bekennt sie sich damit uneingeschränkt zu Frieden und Gerechtigkeit in der Welt. Diesem Ziel dienen auch Forschung und Lehre. Allen Mitgliedern und Angehörigen und insbesondere den Trägerinnen und Trägern von Auszeichnungen der Universität bieten diese ethischen Grundsätze einen Orientierungsrahmen, an dem sich ihr individuelles und gesellschaftliches Handeln messen lassen muss.

Vor dem Hintergrund des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine, der einen Bruch des Völkerrechts darstellt, folgt die Stiftungsuniversität deshalb konsequent der politischen Vorgabe, alle Hochschul- und Forschungskooperationen sowie wirtschaftliche Transaktionen mit Russland auf Eis zu legen – mit zum Teil erheblichen Nachteilen für ihre Mitglieder und Angehörigen. Gleichzeitig heißen wir Forschende und Studierende, die der Krieg aus ihrer Heimat vertrieben hat, an der Universität willkommen und bemühen uns, ihnen einen sicheren Ort für ihr Studium, ihre Forschung und ihr Leben zu schaffen.

Für die Universität Göttingen ist es daher unverständlich, dass mit Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder ein herausragender Alumnus und Ehrendoktor unserer Universität auch nach Wochen erbitterter Kriegshandlungen und einer sich immer weiter zuspitzenden humanitären Katastrophe in der Ukraine den verbrecherischen Angriffskrieg nicht klar als solchen benennt und seine Tätigkeiten in russischen Unternehmen zumindest ruhen lässt. Ein Festhalten an Ämtern im Wirtschaftsapparat des Aggressors ist mit dem Leitbild der Universität Göttingen und ihren dort genannten Werten und Zielen unvereinbar.

Gespräche mit ihm, in denen er uns auch seine Bemühungen zur Beendigung des Krieges schilderte, konnten unsere Bedenken nicht ausräumen, auch wenn wir jede Anstrengung zu einer baldmöglichsten Beendigung des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges begrüßen.“

Gremien beraten über Aberkennung

Zuletzt war bekannt, dass die entsprechenden Gremien der Universität über eine Aberkennung berieten. Das ist ein ungewöhnlicher Vorgang. Nach Paragraf 24 der Promotionsordnung kann der Titel entzogen werden, wenn der Träger „sich durch sein späteres Verhalten der Führung eines Doktorgrades unwürdig erwiesen hat.“ So was ist noch nicht häufig vorgekommen. Ob Schröder seine Ehrendoktorwürde dafür ausreichend beschädigt hat, kann niemand einfach sagen. Normalerweise ist dafür der demokratisch gewählte Fakultätsrat zuständig, der die Auszeichnung auch beschlossen hat. Problem: Bei Schröder waren es mehrere, nämlich alle naturwissenschaftlichen Fakultäten der Göttinger Universität. Deren jeweiligen Räte müssen sich nun ins Vernehmen setzen, um eine Entscheidung herbeizuführen.

Die naturwissenschaftlichen Fakultäten der Uni Göttingen hatten Schröder 2005 die Ehrendoktorwürde verliehen, „weil er sich in seiner Zeit als Ministerpräsident von Niedersachsen außerordentlich für die Förderung der Naturwissenschaften an der Universität Göttingen eingesetzt hatte“, hieß es damals in einer Pressemitteilung der Uni. Darüber hinaus habe er als Bundeskanzler wichtige Anstöße für eine Debatte über die Biowissenschaften gegeben und damit zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Biotechnologie und Lebenswissenschaften beigetragen.