Essen. Ex-Fußballer Thomas Hitzlsperger hat sich vor fünf Jahren geoutet. Homosexualität sei heute kein so großes Tabu mehr, sagt er nun.

Die Homo-Ehe ist umgesetzt, es gibt gleichgeschlechtliche Paare, die Kinder adoptieren. Und dann, wie aus der Zeit gefallen, gibt es die Welt der Profi-Fußballer, in der sich kaum einer traut, zu seiner Homosexualität zu stehen.

Der Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger ist eine Ausnahme: Vor fünf Jahren hat er sich öffentlich als homosexuell bekannt.

Und jetzt hat er eine Bilanz der letzten Jahre gezogen: Homosexualität sei kein so großes Tabu mehr, „wie es vielleicht vor fünf Jahren war“, sagte er im Interview mit der Radio-Sport-Recherchegruppe der ARD und macht den Fans ein Kompliment.

Aus seiner Sicht habe sich vor allem in den Köpfen etwas geändert. „Ich glaube, dass die Fußball-Fans viel aufgeklärter, viel aufgeschlossener sind“, sagt er in dem Interview. Zwar gehe es nicht ohne Beleidigungen ab, doch die gebe es immer im Alltag.

Grundsätzlich, so meint er, hätten Spieler, die sich outen wollen, „von den Fans nicht so viel zu befürchten“. Es sei mehr eine Angst, die nur in den Köpfen einiger existiere, „die aber nicht real“ ist.

Wie viel Toleranz gibt es unter den Fans?

Thomas Hitzlsperger im Trikot der Nationalelf bei einem Spiel des DFB-Teams gegen Dänemark im März 2007.
Thomas Hitzlsperger im Trikot der Nationalelf bei einem Spiel des DFB-Teams gegen Dänemark im März 2007. © WAZ | Photo: Andreas Mangen

Die Zeit also sei reif, sich zu bekennen. Doch das sieht Katja Sabisch, Professorin für Genderstudies an der Ruhr-Universität Bochum, anders. „Auf der Führungsebene des Deutschen Fußball-Bundes ist das Thema in der Tat angekommen.“ Doch auf der Ebene der Praxis, also eben bei den Fans, sei von Toleranz nur wenig zu spüren.

Studien hätten einen Trend in die gegenläufige Richtung ergeben. Sabisch spricht von „einer härteren Gangart“, als sie gesamtgesellschaftlich zu beobachten ist.

Plakate gegen Schwule, blöde Sprüche – all das habe sich in Stadien, vor allem in der letzten Zeit, verschärft. „Vor einigen Jahren war das in der Tat ein wenig besser.“

Zwar gebe es mittlerweile vermehrt schwul-lesbische Fanclubs, auch würden Regenbogenfahnen gegen Homophobie durch die Stadien wehen – doch von einem echten Trend zu mehr Toleranz sei man weit entfernt.

Frankfurt-Präsident Peter Fischer rät Profis von Coming-out ab

Auch Patrick Arnold von der Landesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte NRW spricht von Diskriminierung Homosexueller auf den Fußballplätzen. Oft geraten Ultras in Verdacht. „So ein Verhalten kommt aber längst nicht nur bei ihnen vor. Da gibt es sogar einige, die auf Distanz zu solchen Äußerungen gehen“.

Peter Fischer, der Präsident von Eintracht Frankfurt.
Peter Fischer, der Präsident von Eintracht Frankfurt. © dpa | Andreas Arnold

Es sei eher ein Phänomen, das aus der Mitte der Gesellschaft komme. Und „Schwuchtel“ sei das „gängigste Schimpfwort im Stadion“. Hitzlsperger kennt diese dummen Sprüche. Es komme aber darauf an, wie man das bewertet. Er sagt, man müsse ein „breites Kreuz“ haben: „Mit Beleidigungen und Beschimpfungen muss jeder Spieler umgehen können.“

Wissenschaftlerin Sabisch sagt, sie sei, was das Outing betroffener Fußballer angeht, sehr vorsichtig. „Fußball ist das Feld der traditionellen Männlichkeit. Ich bin da sehr skeptisch, ob es ratsam ist, sich öffentlich zur Homosexualität zu bekennen.“ Sich vor 60.000 Menschen im Stadion zu outen, sei ein Wagnis.

Eine Haltung, wie sie ähnlich Eintracht Frankfurts Präsident Peter Fischer formuliert hat. Auch er rät von einem Coming-out ab. Zwar würde er einen Spieler unterstützen, gleichzeitig riet er aber von diesem Schritt ab. „Proaktiv zu sagen: ,Mach das jetzt endlich, wir brauchen jetzt mal einen‘, das würde ich nicht tun“, sagt er. Die Gesellschaft sei noch nicht so weit.

Schlechte Berater als größtes Problem

Genau diese Haltung des „Einerseits-Andererseits“ verhindere eine nötige Veränderung, meint Hitzlsperger. Es sei im Profi-Fußball immer das Problem, „dass die Menschen Ratgeber und Berater um sich herum haben, die auch davon abraten. Die Erfahrung habe ich auch gemacht“, so sagt er in dem ARD-Interview.

Man müsse da auf seine eigene Stimme hören. „Auch mich wollten Leute beschützen. Das war falsch.“

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Hitzlsperger sagt, dass das Leben für ihn „sehr, sehr gut“ weitergegangen sei. Er kann es kaum fassen, dass Fußballer in Zeiten von sexueller Vielfalt sich immer noch verstecken sollten. Er selbst aber hatte sich damals erst öffentlich bekannt, als seine Fußballerkarriere vorbei war.

Doch heute sei die Zeit da – nicht nur fürs Outing, sondern auch dafür, sich gegen Intoleranz und Doppelmoral aufzulehnen. „Arbeitet nicht immer mit den Ängsten – das ist genau das falsche Signal“, sagte Hitzlsperger.