Essen. Nikolai Kinski über den schwierigen Weg, seine Schauspielkarriere aufzubauen – und nicht nur als Sohn von Klaus Kinski zu gelten.

Die Augen? Der Mund? Fast zwangsläufig versucht man in Nikolai Kinskis Gesicht die Spuren zu entdecken, die sein Vater hinterlassen hat. Klaus Kinski, der Bürgerschreck des deutschen Films. So legendär sind dessen Wutausbrüche, dass es fast enttäuschend ist, wie ruhig sein Sohn daherkommt. „Hallo, ich bin Nikolai“, stellt er sich höflich vor. Mit seinen großen Augen und den feinen Gesichtszügen wirkt er jünger als 42 Jahre, fast noch knabenhaft.

Nikolai Kinski ist 15, als sein Vater 1991 an einem Herzinfarkt stirbt. Kurz zuvor hatten sie noch zusammen den Film „Kinski Paganini“ gedreht: fast so, als hätte der Vater damit den Staffelstab an den Sohn übergeben. „Ich habe mir nie etwas anderes überlegt, als Schauspieler zu werden“, sagt Kinski im Gespräch mit unserer Redaktion. Dass er sich damit besonders den Vergleichen mit seinem Vater aussetzt, ist ihm sicher bewusst. Darüber reden möchte er nicht. Einsilbig reagiert er auf Fragen dazu.

Eltern trennen sich kurz nach der Geburt

Nikolai wird 1976 in Paris als einziger Sohn von Klaus Kinski geboren. Seine Mutter ist das aus Viet­­nam stammende französische Model Minhoi Loanic. Kurz nach seiner Geburt trennen sich die Eltern. Der Junge bleibt bei seiner Mutter und entdeckt die Welt. „In den ersten Jahren meiner Kindheit bin ich mit meiner Mutter und meinem Stiefvater eigentlich nur gereist. Ich finde, Reisen ist das Tollste, was man mit Kindern machen kann“, sagt Kinski rückblickend.

Anfang der 80er-Jahre ziehen sie nach Kalifornien. Vater Klaus möchte seinem „Babyboy“, wie er den Sohn nennt, nah sein und zieht hinterher. Mit 18 beginnt Nikolai Kinski ein Schauspielstudium in Los Angeles, später geht er nach New York, wo er Theater spielt.Deutschland ist für ihn bis dahin ein fremdes Land. Zu seinen älteren Halbschwestern Nastassja und Pola, die ihrem Vater Klaus Kinski sexuellen Missbrauch vorwirft, hat er kaum bis gar keinen Kontakt.

2004 siedelt er ganz nach Deutschland über

Erst 2001 kommt er erstmals nach Berlin, um aus Gedichten seines Vaters zu lesen — ohne selbst deutsch zu sprechen. 2004 siedelt er ganz nach Deutschland über. „Ich hatte das Bedürfnis, meine Wurzeln zu entdecken, und wusste nur, dass ich das ausprobieren muss, sonst hätte ich das bereut.“Was er kennenlernt, ist ein Land, in dem sein Vater eine Legende ist — und in dem der eigene Name ausreicht, um Aufmerksamkeit zu erregen.

Für einen jungen Schauspieler ist das zweifellos gut. Für einen Mann, der als selbstständiger Künstler gesehen werden will, eher schlecht. Ist das nun Fluch oder Segen? „Der Name Kinski gehört einfach zu mir und zu meiner Geschichte. Das kann ich weder als Vor-, noch als Nachteil beschreiben“, erklärt er trotzig. Und außerdem: Die Frage habe er schon oft gehört.

Er lernt akzentfreies Deutsch

Nikolai Kinski bei der Berlinale 2018. (Photo by Pascal Le Segretain/Getty Images)
Nikolai Kinski bei der Berlinale 2018. (Photo by Pascal Le Segretain/Getty Images) © Getty Images | Pascal Le Segretain

Eigentlich könnte er etwas gelassener sein. Denn Name hin oder her: Es ist zweifellos beeindruckend, wie sich Kinski behauptet hat. Er lernt akzentfreies Deutsch, ist unter anderem im „Tatort“, in „Krupp — Eine deutsche Familie“ und in internationalen Kinoproduktionen wie „Yves Saint Laurent“ zu sehen. Am Sonntag zeigt das ZDF die erste Folge des Zweiteilers „Ein Sommer in Vietnam“ (20.15 Uhr), mit Kinski und Inez Bjørg David in den Hauptrollen. Der Film war für ihn eine Chance, wieder etwas über sich selbst zu lernen. Denn das Geburtsland seiner Mutter war ihm bis vor Kurzem so fremd wie Deutschland früher. „Aber es gab während meiner Reise doch ein unerklärliches Gefühl von Verbundenheit mit Vietnam. Ganz intuitiv habe ich gemerkt, dass da noch mehr ist.“ Das Suchen nach mehr ist vielleicht sein größter Antrieb.

„Mein ganzes Leben ist eine Selbstfindung“

Egal ob als 18-Jähriger in Los Angeles, als junger Mann in Berlin oder in der Heimat seiner Mutter: Er will immer sich selbst entdecken. „Mein ganzes Leben ist eine Selbstfindung. Wie bei einer Zwiebel muss man immer wieder eine Schicht abnehmen, um Neues zu entdecken und sich weiterzuentwickeln.“Er wolle sich immer ganz bewusst mit seinen Grenzen und Ängsten konfrontieren. „Denn dann lerne ich am meisten über mich selbst.“

Und dann ist da vielleicht doch eine Spur, die sein Vater hinterlassen hat: Auch er hat die Konfrontation gesucht. „Aber wie sich das äußert, die Art und Weise, ist bei uns völlig anders“, sagt Nikolai Kinski. Und dann spricht er doch noch über seinen Vater – ohne dessen Namen zu nennen. „Ich habe viel Zeit darauf verwendet und gebraucht, mich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Aber jetzt kann ich das akzeptieren. Auch die ganzen spannenden, interessanten oder nervigen Dinge, die damit verbunden sind. Das alles ist eben Teil meiner Identität.“