Rheda-Wiedenbrück. Mit „Wenn jetzt Sommer wär“ wurde Ingo Pohlmann deutschlandweit bekannt. Jetzt erscheint sein neues Album. Es ist melancholischer.

In der Kneipe werden oft neue Ideen geboren. Mal tolle Konzepte, mal Schnapsideen. Ingo Pohlmann (44) kennt beides. Mit Ende 20, noch vor seinem Durchbruch, jobbte er in einer Kneipe hinterm Tresen – seine Gitarre stets griffbereit. „Das Kellnern gehörte auch zur Show“, erinnert er sich lachend. Der Sänger brachte damals Musik und Publikum in die kleine Hamburger Bar. „Rocker vom Hocker“ wurde als offene Bühne zum Live-Erfolg. Gut 15 Jahre ist das her.

„Das war eine Schmiede“, sagt Pohlmann, dessen Nachname auch sein Künstlername ist, über den Ort, an dem seine Solokarriere begann – als Singer-Songwriter. So findet dieses Gespräch an einem Frühlingsnachmittag natürlich auch in einer Eckkneipe statt. „Wenn jetzt Sommer wär“ – dann säße man wohl schon draußen.

Neues Album heißt „Weggefährten“

Pohlmann, 2006 mit jenem Hit auch über Szeneviertel hinaus bekannt geworden, sitzt auf einem Hocker an einem Hochtisch, vor sich ein großes Bierglas. Er ist zu Fuß gekommen. Einmal im Redefluss, bestellt Pohlmann ein zweites Bier. Alkoholfreies Weizen, wohlgemerkt.

„Ich hab aufgehört, Alkohol zu trinken.“ Seit eineinhalb Jahren. In diesem Zeitraum hat er auch an seinem neuen Soloalbum „Weggefährten“ gearbeitet, der ersten Platte seit vier Jahren. Er sei auch nicht mehr so viel unterwegs, jetzt mit Mitte 40.

„Viele, die ich kenne, sind keine Alkoholiker, aber es sind alles Sozialtrinker, genau wie ich es war!“ Sobald man in der Kneipe sei, werde getrunken. „Partys hab ich als Musiker ohne Ende, irgendwann muss man sich bändigen können.“ Das war auch eine künstlerische Entscheidung. Und: Zwei Katertage, das war mindestens einer zu viel.

Pohlmann ist Westfale und lebt in Hamburg

Jetzt, mit dreijähriger Tochter und Freundin Sophie Rosentreter – früher Model und MTV-Moderatorin, heute Demenz-Beraterin –, schreibt er seine Lieder anders als in der Vergangenheit. Andere Lebensumstände, andere Texte. „Früher hat man einfach in den Tag und die Nacht hineingelebt“, Pohlmann lacht laut, „dann passiert irgendwie irgendwas, und das hat man halbwegs nüchtern am nächsten Tag auf Papier gebracht.“

Die Leichtigkeit ist auf dem neuen Album „Weggefährten“ nicht gänzlich verschwunden, aber es ist zum Teil melancholischer, nachdenklicher geworden. „Sagen wir mal so“, fügt Pohlmann an, „ich kämpfe immer noch für den Optimismus!“ Der Blues schwingt indes mit, auch wenn es keine reine Blues-Platte ist. „Manche scheuen ihn ja, weil er nicht so populär ist, aber aus Blues ist letztlich viel erwachsen“, meint er.

Auch wenn er seit Jahren in Hamburg lebt, Ingo Pohlmann ist eigentlich Westfale, Ostwestfale. Er wurde in Rheda-Wiedenbrück geboren. Und die Ostwestfalen gelten als bodenständig, aber ziemlich wortkarg. Der langhaarige Pohlmann jedoch, gelernter Maurer mit später in Münster nachgeholtem Fachabitur, scheint sein Herz auf der Zunge zu tragen. Er hat einen deutlichen Hang zum Alltagsphilosophieren und sieht sich zugleich als Weltbürger.

„Für mich fängt das mit Philosophie an und der Reflexion, Mensch zu sein – noch vor dem Nationalen. Mich als Mensch auf dieser Erde zu begreifen, das ist total wichtig. Und das auch aus einer evolutionären Quelle heraus gibt einem ein Lebensgefühl, das macht einen zum Weltbürger.“ Diese Art Philosophie sei auf der Platte oft vertreten, meint er.

Seit Jahren engagiert er sich für den Umweltschutz

Auch bei der Single-Auskopplung, dem poppig-rockigen „Himmel und Berge“ mit dem Ende des Refrains: „Und wir fliegen in dasselbe Licht. Ich grüße dich aus der Ferne. Denn sofern wir uns verstehen, sind wir uns nicht.“ Das sei für ihn fast der wichtigste Ausspruch, meint Pohlmann, langjähriger Unterstützer der Trinkwasser-Initiative Viva con Agua und von Sea Shepherd, einer gemeinnützigen Organisation zum Schutz der marinen Tierwelt. „Die Welt wird von Menschen vernichtet, dagegen müssen wir etwas machen“, sagt Pohlmann mit Entschiedenheit.

Hat Pohlmann, der Maurer und praktizierende Alltagsphilosoph, eine Uni überhaupt mal von innen gesehen? „Doch einmal. Ich habe meinem Vater ja gesagt, dass ich nach Hamburg ziehe, um Bau­wesen zu studieren.“ Er sollte die Firma übernehmen, sein älterer Bruder war kurz zuvor an Krebs gestorben. Ingo war 25, hatte die Lehre und drei Gesellenjahre hinter sich. „Ich war kurz in dieser Hochschule, wollte mich anmelden und hab gesehen, was für eine verdammt schwierige Mathematik die da lehren. Bloß nicht!“