Berlin. Wahlen in Thüringen: Linke und AfD triumphieren, die Volksparteien sind pulverisiert. Anne Will versuchte das Ergebnis zu analysieren.

Georg Pazderski versteht die Welt nicht mehr. Dabei hätte der stellvertretende Bundesvorsitzende der AfD doch allen Grund zur Freude. Am Sonntag holte seine Partei bei den Landtagswahlen in Thüringen ein herausragendes Ergebnis. Fast ein Viertel der Wähler gab ihr die Stimme. Am Abend saß Pazderski bei Anne Will – und das Lachen war ihm vergangen.

In Thüringen stand ein Rechtsaußen an der Spitze

„30 Jahre nach dem Mauerfall – wofür stehen die Ergebnisse im Osten?“, lautete das Thema der Sendung und Pazderski hätte am liebsten über eine vermeintlich verfehlte Asylpolitik oder die innere Sicherheit gesprochen. Die Brot-und-Butter-Themen der AfD. Doch schnell befand er sich im Verteidigungsmodus.

Thüringen ist nämlich besonders. Hier stand kein Konservativer auf Platz eins der Landesliste. Sondern Björn Höcke. Der AfD-Rechtsaußen Höcke, der den mächtigen „Flügel“ anführt, die Gruppe der Radikalen in der Partei. Selbst dem Bundesvorstand war das Treiben des Thüringers in der Vergangenheit unheimlich, ein Ausschluss scheiterte aber.

AfD-Politiker: Verfassungsschutz wird instrumentalisiert

Und heute? Alles kein Problem mehr. „Wir stehen auf dem Boden des Grundgesetzes“, sagte Pazderski. Höcke habe einen erfolgreichen Wahlkampf geführt. Ein Problem ist er offenbar nicht. Dass der Verfassungsschutz den „Flügel“ ins Visier genommen hat, kann der AfD-Vize nicht verstehen.

„Der Verfassungsschutz wird instrumentalisiert gegen eine Partei, die erfolgreich ist“, so Pazderski. Und weiter: „Die AfD ist das größte Demokratieprojekt der letzten Jahre“. Eine Aussage, die ein Raunen durchs Publikum gehen ließ.

Je direkter Pazderski angegriffen wurde, desto dünnhäutiger reagierte er. Die Schriftstellerin Ines Geipel, die mit Blick auf DDR-Vergangenheit und Wende-Umbrüche von roter und brauner Radikalisierung sprach, blaffte er an: „Wenn Sie Probleme haben mit Ihrer Vergangenheit in der DDR, dann ist das Ihr Problem!“.

Warum haben so viele Thüringer rechts gewählt?

Warum die AfD aber in Thüringen – trotz ihres radikalen Frontmannes – so erfolgreich war, konnte niemand beantworten. „Auch ich stehe oft ratlos da, warum sie gewählt wird“, sagte Cornelius Pollmer, der Ostdeutschland-Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“.

Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, die auch in der Runde saß, hatte eine Erklärung parat: Deutschland sei ein sozial ungerechtes Land. Daher der Frust. Doch der Soziologe Oliver Decker relativierte: Das Ökonomische allein sei dafür nicht ausreichend.

Die Runde kreiste immer wieder um die Frage, welche Lehren sich nun aus dieser Wahl ziehen lassen. Wenn es eine gibt, dann wohl die: Personen entscheiden. Die Bindung an Parteien lässt nach. Doch Bodo Ramelow, der linke Ministerpräsident, hat seinen Amtsbonus ausgespielt.

Auf Plakaten stand am Ende nur noch sein Name. Ohne das Logo seiner Partei. So oder so: „Die Linke in Thüringen ist kein extremer Rand“, sagte „SZ“-Journalist Pollmer. Damit nehme der Landesverband eine gewisse Sonderstellung in der Partei ein. Ramelow ist kein Radikaler. Eher ein Pragmatiker, der auch auf dem linken Flügel der Sozialdemokratie zuhause sein könnte.

CDU-Ministerpräsident schließt Zusammenarbeit mit Linken nicht aus

An ihm und der Linken, so viel jedenfalls steht fest, kommt keine Partei bei der Regierungsbildung vorbei. Es würde zwar für AfD und CDU reichen – aber nur auf dem Papier. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, der selbst in einer sogenannten „Kenia-Koalition“ aus CDU, SPD und Grünen regiert, schloss daher ungewöhnliche Wege nicht aus.

Auf Anne Wills Frage, ob es denn nun an der Zeit sei, auch eine Koalition aus Linken und CDU in Erwägung zu ziehen, sagte er: „Natürlich muss man neu nachdenken“. Dass die Parteien der Mitte keine Mehrheit mehr hinter sich versammelten, sei einzigartig. Ein klares Dementi sieht anders aus, wie auch Anne Will bemerkte.

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Haseloff schob noch hinterher, dass eine solche Koalition die Union zerreißen könnte – sofern sie ungeplant daherkommt. Doch die politische Lage im Osten könnte es notwendig machen. Union und SPD sind schwächer als anderswo, Linke und AfD stärker. „Ostdeutschland ging es noch nie so gut wie heute“, sagte Ministerpräsident Haseloff zwar.

Doch die Zahlen sprechen mitunter eine andere Sprache. Das Durchschnittsvermögen im Westen beträgt 182.000 Euro. Im Osten sind es nur 88.000 Euro. Und auch bei Renten und Löhnen hinkt der Osten hinterher – noch immer.

30 Jahre nach dem Fall der Mauer wäre es wohl an der Zeit, auch das Ökonomische wieder stärker in den Blick zu nehmen.