Berlin. Der Dresdner Tatort „Die Zeit ist gekommen“ handelt von einer Geiselnahme. Wie häufig kommt es wirklich dazu? Die wichtigsten Fakten.

Keine Drogen, keine Partys mehr – die jungen Eltern Anna und Louis Bürger wollen mit ihrem Sohn Tim endlich ein neues Leben anfangen. Doch dann wird der Polizist Jan Landrock ermordet und Louis Bürger gilt als tatverdächtig. Er muss in Untersuchungshaft, beteuert aber immer wieder: „Ich bin unschuldig.“

Im Gefängnis hat er schon einmal gesessen. Vor Jahren hatte er einen Mann für Geld zusammengeschlagen. Noch einmal viele Jahre in Haft? Das will Louis Bürger auf jeden Fall verhindern. Also flieht er – mit Unterstützung seiner Frau. Bevor die beiden die Stadt verlassen können, müssen sie aber ihren Sohn Tim aus dem Kinderheim abholen. Die Ermittler haben das geahnt und machen sich ebenfalls auf den Weg zum Kinderheim.

Louis Bürger befindet sich nun in einer Zwickmühle, das Kinderheim ist von Polizisten umzingelt, eine Flucht unmöglich. Also macht er die Heimleiterin und eines der Kinder kurzerhand zu seinen Geiseln.

Geiselnahmen werden nicht nur gerne in Krimis wie dem Dresdner Tatort „Die Zeit ist gekommen“ inszeniert, sondern passieren auch in der Realität immer wieder. 2019 gab es laut Polizeilicher Kriminalstatistik 33 Geiselnahmen bundesweit, ein Jahr zuvor ebenfalls. Wir klären die wichtigsten Fragen zu dieser Straftat – mit Unterstützung von Christian Pfeiffer, Kriminologe und ehemaliger Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen.

Welche Gründe gibt es für eine Geiselnahme?

Angespannt nähern sich Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski) dem Ort der Geiselnahme.
Angespannt nähern sich Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski) dem Ort der Geiselnahme. © MDR/W&B Television/Michael Kotschi | MDR/W&B Television/Michael Kotschi

Was veranlasst einen Menschen dazu, eine andere Person zu seiner Geisel zu machen? Welches Ziel verfolgt er damit? Christian Pfeiffer teilt Geiselnahmen in vier verschiedene Gruppen ein.

Es gebe politisch, familiär und finanziell motivierte und solche, die von psychisch-kranken Personen begangen würden. Politisch war etwa die Entführung des Flugzeugs „Landshut“. Terroristen machten 1977 die Passagiere der Lufthansa-Maschine zu ihren Geiseln, nach einer Landung in Mogadischu konnten diese befreit werden.

Sollte ein Vater seine Kinder als Geisel nehmen, damit seine Frau sich nicht von ihm trennt, dann handelt es sich um eine familiär motivierte Geiselnahme. Besonders bekannt sind vor allem Geiselnahmen, die finanzielle Gründe haben, wie ein Bankraub. Kommt hier die Polizei aus Sicht des Bankräubers zu früh, werden zum Beispiel die Mitarbeiter zu Geiseln.

Was zeichnet einen Geiselnehmer aus?

Ein Blick in die Polizeiliche Kriminalstatistik zeigt, dass Geiselnehmer mehrheitlich männlich sind. „Geiselnehmer zeichnet ein Streben nach Macht aus. Sie wollen Herr des Geschehens sein“, sagt Christian Pfeiffer. Die Täter könnten sich nicht damit abfinden verloren zu haben. Also drehen sie den Spieß um: Aus Ohnmacht wird Macht. Sie sind es jetzt, die das Sagen haben, die andere unterdrücken können.

Wie hat die Polizei vorzugehen?

Das Ziel der Polizei sollte es sein, die Geiselnahme zu lösen, ohne dass Blut fließt. Die Festnahme des Geiselnehmers und natürlich die Rettung der Geiseln stehen im Vordergrund. „Während früher die Festnahme oberste Priorität hatte, steht heute Menschenleben retten an erster Stelle. Da hat sich was verändert“, sagt Pfeiffer.

Aus Sicht der Polizei sei es klug bei einer Geiselnahme auf Zeit zu spielen. Am Anfang sei der Geiselnehmer nämlich noch topfit, irgendwann werde der Täter aber müde und eventuell unaufmerksam. Das sei die Chance für die Polizei, die mit mehr Leuten und im Schichtbetrieb arbeite.

Eine Geiselnahme zu entschärfen hält Christian Pfeiffer für eine „menschlich riesige Herausforderung“. Die Kunst sei es, mit dem Geiselnehmer in Kontakt zu treten, sich auf ihn einzustellen, mit ihm zu verhandeln. Ein Nervenspiel für beide Seiten. Hin und wieder würden Vermittler oder aber Bezugspersonen des Täters hinzugeholt, die ihn überzeugen sollten aufzugeben.

Die verbesserten technischen Möglichkeiten machten es der Polizei außerdem zunehmend einfacher, Geiselnahmen zu bewältigen. „Sie kann den Geiselnehmer besser abhören und austricksen. Geiselnahmen enden daher inzwischen seltener mit dem Tod der Geisel oder des Geiselnehmers.“ Die Situation könne daher in der Regel zugunsten des Opfers und des Rechtsstaates entschieden werden.

Wie verhalte ich mich bei einer Geiselnahme richtig?

Im Tatort schnappt sich der 17-jährige Nico das Küchenmesser, um auf Louis Bürger loszugehen. Christian Pfeiffer hält das für eine schlechte Idee – es sei denn, es besteht eine akute Lebensgefahr. Ansonsten verstärke eine solche Aktion oder der Versuch den Geiselnehmer zu entwaffnen nur seine Wut. Die Opfer sollten sich also nicht gegen den Geiselnehmer stellen, sondern vielmehr den Versuch starten ihn menschlich zu erreichen, „Mit ihm in Kontakt zu treten, das machen Opfer häufig schon instinktiv.“

Ansonsten gelte: ruhig bleiben, die Anweisungen des Geiselnehmers befolgen und darauf vertrauen, dass die Polizei ihren Job macht. Für die Geiseln kann die Situation sehr traumatisch sein, nicht selten braucht es hinterher therapeutische Unterstützung.

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