München. Terrorgefahr oder doch nur ein falscher Verdacht? In dem sehr starken Münchener „Tatort“ kommen Batic und Leitmayr an ihre Grenzen.

Man sieht nichts, und das ist natürlich Absicht. Das erste Bild ist schwarz, irgendwer ruft wohl nach der Polizei, keiner hat die Übersicht. Dann wird es hell: Ein Mann liegt in einer Blutlache tot auf dem Boden eines Linienbusses, es ist der Kontrolleur. Fahrgäste ducken sich verängstigt in den Sitzreihen, einer telefoniert mit dem Handy, wenig später Blaulicht und Polizeisirenen, ein Sondereinsatzkommando befiehlt den Businsassen, mit erhobenen Händen auszusteigen. Es ist der starke Auftakt eines sehr starken Münchener „Tatorts“. Ein „Tatort“, der seinen Titel 90 Minuten lang lebt: „Unklare Lage“.

„Tatort“ aus München: Erinnerung an echten Anschlag bei Einkaufszentrum

Vor dreieinhalb Jahren tötete ein 18-Jähriger bei einem Münchener Einkaufszentrum neun junge Menschen – gezielt Menschen mit Migrationshintergrund – und brachte sich anschließend selbst um. Während der Täter flüchtig war, brach Panik in der Stadt aus, angefüttert von Tausenden Twitter-Nachrichten aufgeregter Menschen. Fakten und Gerüchte ergaben ein explosives Gemisch. Stunden, die Holger Joos zweifellos zu seinem Drehbuch inspirierten.

Der Todesschütze aus dem Bus, ein frustrierter Schulabbrecher mit einem Rucksack voller Munitionsmagazine, wird zwar wenig später selbst von der Polizei erschossen, aber dass er ein Funkgerät bei sich hatte, ist der Treibstoff für allgemeine Verunsicherung: Was hatte er vor, und: Hat er einen Komplizen?

Batic und Leitmayer: Die Unsicherheit erzeugt die größte Spannung

Für die alten Haudegen Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) wird die Suche nach der Wahrheit nicht nur zum Wettlauf mit der Zeit. Der Fall zieht seine Faszination für den Zuschauer vor allem aus der Unsicherheit, die auch sie und ihre Kollegen in der Einsatzzentrale ergreift: Droht wirklich Terror oder verrennen sie sich in einer Theorie?

Nemec und Wachtveitl überzeugen bei diesem Drahtseilakt, mit dieser Unruhe, die die beiden Ermittler bei ihrer Hetze durch die Stadt ergriffen hat – so intensiv hat man sie lange nicht erlebt: Wie ist das, fragt der Film, wenn alte Routine auf neue Verhältnisse prallt, auf eine Welt voller Halbwahrheiten, die sich nicht bändigen lässt? Wie lassen sich all die Widersprüche auflösen?

„Tatort“ bleibt beunruhigend nah an den Menschen

Regisseurin Pia Strietmann verdichtet das in einem – besonders für einen deutschen Fernsehfilm – enormen Erzähltempo zu einem packenden Echtzeitkrimi, in dem sie und Kameramann Florian Emmerich beunruhigend nah an den Menschen bleiben und das wachsende Chaos in der Stadt passend bebildern.

Die etwas wackeligen Aufnahmen der Handkamera übertragen die wachsende Nervosität vollendet, ziehen den Betrachter ins Geschehen. Auch das Funktionieren des Polizeiapparats mit all seinen Risiken, schnell und dann womöglich auch falsch zu entscheiden, bildet dieser „Tatort“ in kurzen, spannenden Szenen wohl ziemlich realistisch ab.

„Wir hatten heute 2000 Tätersichtungen“, wird der entnervte Assistent Kalli (Ferdinand Hofer) irgendwann sagen, der als Verbindungsmann für Batic und Leitmayr in der Einsatzzentrale sitzt. Ratlosigkeit macht sich überall breit. Und löst sich auch nicht so recht auf.

• „Tatort“, ARD, Sonntag, 26. Januar, 20.15 Uhr

„Tatort“ München – mehr zum Thema:

Erst kürzlich lief bereits ein Fall mit Batic und Leitmayr. Nach dem Münchner „Tatort“ fragte man sich, wie realistisch die thematisierten Schmuggel-Senioren wirklich sind. Und weil die ARD-Krimireihe in diesem Jahr 50 wird, ermitteln die Münchner zum „Tatort“-Jubiläum in Dortmund.