Berlin. Trauma aus der NS-Zeit: Der Film „Das Geheimnis der Freiheit“ erzählt das Leben des Krupp-Patriarchen Berthold Beitz als Psychodrama.

Es muss was dran sein an der Weisheit, wonach sich Gegensätze anziehen. Denn Berthold Beitz und Alfried Krupp von Bohlen und Halbach waren so gegensätzlich wie man nur sein kann und pflegten dennoch eine der folgenreichsten Männerfreundschaften der deutschen Wirtschaftsgeschichte.

Die unterschiedlichen Verhaltensweisen dieser beiden Persönlichkeiten in der NS-Zeit und die Frage, warum sie dennoch gut zusammenarbeiteten, dient als Hintergrundfolie eines Versuchs, das komplexe Leben von Berthold Beitz filmisch zu verarbeiten.

„Das Geheimnis der Freiheit“: Krupp-Patriarch Berthold Beitz

Der Film „Das Geheimnis der Freiheit“ spielt Mitte der 1970er-Jahre, als Berthold Beitz (Sven-Eric Bechtolf) sich wieder jene Macht zurückeroberte, die der 1967 verstorbene Alfried Krupp ihm per Testament zugedacht hatte.

Mit dem Tod des letzten Alleininhabers war die poröse finanzielle Substanz des Konzerns deutlich geworden, für einige Jahre hatten die Banken das Sagen. Eines von vielen dramatischen Kapiteln, die Beitz in den sechs Jahrzehnten an der Spitze von Krupp und später Thyssenkrupp erlebte.

Der Film konstruiert einen psychologischen Konflikt

Aber der Film konstruiert sich etwas Eigenes, das dann zugespitzt wird: einen psychologischen Konflikt, für den es kaum einen verbürgten Beleg gibt. Als junger Erdöl-Manager ab 1941 hatte Berthold Beitz im galizischen Boryslaw mit hohem persönlichen Risiko Juden vor dem Tod gerettet, indem er ihre Arbeitskraft gegenüber dem NS-Mordapparat als unentbehrlich darstellte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und erst recht nach seinem Einstieg bei Krupp 1953 musste Beitz aber mit vielen Deutschen zusammenarbeiten, die funktioniert und sich angepasst hatten oder sogar Täter waren.

Ein Trauma aus der NS-Zeit plagt den Industrie-Patron

Dieser Spagat, so jedenfalls die Film-These, muss ein Trauma zur Folge gehabt haben. Symbol dafür ist die junge jüdische Mitarbeiterin, die Beitz vor dem Abtransport in ein Vernichtungslager bewahrte und die wieder zurück in den Viehwaggon stieg, weil Beitz’ Macht es nicht vermochte, auch ihre Mutter zu retten.

Eine Szene, die der reale Beitz oft erzählte und die der Film-Beitz immer wieder alptraumhaft durchlebt – und die ihn in wachsende Verzweiflung bis hin zum Zusammenbruch unter der Dusche stürzt.

Der Historiker Golo Mann wird zum Therapeuten

Hier nun kommt Golo Mann (Edgar Selge) ins Spiel. Der renommierte Historiker soll auf Beitz’ Wunsch eigentlich nur ein freundliches Buch über seinen Heros Alfried Krupp schreiben, produziert sich aber schnell als eine Art Therapeut.

Beitz, der Gute, paktiere mit dem Bösen, etwa mit Alfried Krupp, dem Kriegsverbrecher. Beitz wolle Macht, weil er die eigene Ohnmacht in Boryslaw gespürt habe, insistiert Golo Mann.

ARD: Der Film orientiert sich eng an der Biografie

Dass man sich „eng an Biografisches hält“, wie ARD-Programmdirektor Volker Herres schreibt, ist bei solchen Szenen eine gewagte Behauptung. Weit eher trifft zu, was WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn in Widerspruch zu Herres nur eine Seite weiter im Film-Heft zum Besten gibt: nämlich dass der Film „versucht, eine Erzählung zu finden, die es so noch nicht gibt“.

Tatsächlich sind die Fakten oft andere. Golo Mann hat sein Manuskript nie beendet, er fand keinen Zugang zur Person Al­fried Krupp, die ihm eher langweilig als dämonisch erschien. Und dass ein zurückhaltender Mensch wie er Beitz auf die Couch legt – schwer vorstellbar.

Deutsche mit weißer Weste – und die Braunbefleckten

Dass die wenigen, die Hitler widerstanden, nach 1945 mit den vielen kleinen und großen Nazis beruflich zurechtkamen, erklärt sich aus dem Willen, das Land aus dem Dreck zu ziehen. Ob Berthold Beitz, Konrad Adenauer oder andere, die eine weiße Weste hatten: Sie glaubten zu wissen, dass es ohne die Braunbefleckten nicht gehen würde.

Sie hofften pragmatisch, dass diese nun im Sinne demokratischer Werte funktionierten. Sie hätten es allerdings auch nicht geschafft, alle zur Seite zu schieben, die sich schuldig gemacht hatten, denn das gesellschaftliche Klima und die Politik gingen noch lange in eine andere Richtung.

Berthold Beitz misstraute „seinen“ Deutschen

Dabei war Beitz nicht naiv, was „seine“ Deutschen anbelangt. Boryslaw hatte ihn für immer verändert, sein legendäres Misstrauen hatte hier seinen Ursprung. „Ich kenne die Deutschen“, sagte er einmal, „wenn man fest, klar und bestimmt auftritt, respektieren sie einen. Wenn man weich ist und verzweifelt, bringen sie einen um.“ Nur mit dieser Haltung habe er Menschen retten können.

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    Nur selten kommt in diesem Film der Beitz vor, wie ihn viele kennen, die ihm begegnet sind: der selbstbewusste Macher, der ruppige Machtmensch, der charmante Grandseigneur und – bis ins höhere Alter – der strahlende Sonnyboy.

    Der Grandseigneur ist nur selten zu sehen

    Hin und wieder blitzt davon etwas auf, etwa wenn Beitz erst Farah Pahlavi und dann ihren Mann, den Schah von Persien umgarnt, auf dass dieser Krupp dringend benötigtes Kapital im Tausch gegen eine Firmenbeteiligung zukommen lässt. Zumeist aber stolpert der Film-Beitz ziemlich bedröppelt durchs Leben. Um es sinngemäß mit WDR-Mann Schönenborn zu sagen: einen Beitz, den es so noch nicht gibt.

    • „Das Geheimnis der Freiheit“, Mittwoch, 20.15 Uhr, ARD