Berlin. Die Politik ist doof, wir wussten alles schon immer besser: Bei „Anne Will“ stellte sich ein Gast gegen überhebliche Groko-Kritiker.

Ost und West, Jung und Alt, Stadt und Land, Arm und Reich: Bei „Anne Will“ sollte es am Sonntagabend um die gespaltene Gesellschaft gehen. Hat die große Koalition noch die Kraft, das Land zusammenzuhalten?, wollte die Gastgeberin wissen.

Passend dazu waren mit Franziska Giffey (SPD) und Volker Bouffier (CDU) zwei Politiker der Groko eingeladen. Außerdem mit dabei: Der Wirtschaftsforscher Clemens Fuest, die Journalistin Dagmar Rosenfeld und der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke.

„Anne Will“: Wie lange hält die Groko?

Was die Zukunft des Regierungsbündnisses angeht, war die Runde eher pessimistisch. Selbst Bouffier sprach von einer nur 50-prozentigen Chance, dass die Groko im nächsten Jahr noch bestehen wird. Die Unsicherheit gehe von der SPD aus, argumentierte der hessische CDU-Ministerpräsident. Da hatte er einen Punkt, schließlich wollten die Sozialdemokraten diese Regierung eigentlich nicht – und leiden seitdem kontinuierlich.

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    Ein gegensätzliches Argument brachte Clemens Fuest ein. „Ich kann mir gut vorstellen, dass die Groko hält“, sagte der Chef des ifo-Instituts. Schließlich müssten sowohl Union als auch SPD die Ergebnisse von vorgezogenen Wahlen fürchten.

    Die schwache Analyse

    Das klang plausibel. Weniger plausibel war, dass Fuest direkt im Anschluss zur Generalschelte ansetzte: Statt wichtige Themen zu verfolgen – etwa das Klima oder die Sorgen der Industrie und der Autohersteller – verliere sich die große Koalition im Kleinklein und verteile Geld mit der Gießkanne, kritisierte der Wirtschaftswissenschaftler.

    Das war zu kurz gesprungen, schließlich geht es dem Land insgesamt sehr gut. Und kümmert sich die große Koalition nicht gerade relativ vorbildlich und ohne Streit um das Megathema Pflege?

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    Fuests Rundum-Klatsche war jedenfalls in dieser Form unangebracht – und zugleich wegen des Verweises auf die Autohersteller, die angeblich von der Politik vernachlässigt werden, fast ulkig.

    Der wohltuende Ausraster

    Aufgespießt wurde das kurze Zeit später von Albrecht von Lucke. Mit einem wunderbaren Wutanfall machte der Politikwissenschaftler auf manche Verlogenheit in der aktuellen Debatte aufmerksam. Tenor: Natürlich haben sich alle Kritiker schon immer vorbildlich mit Fragen wie dem Klimawandel beschäftigt – nur die doofe Politik nicht.

    Mit Blick auf Fuests Kritik an der Klimapolitik der Groko hielt Lucke ihm vor, faktisch stets wirtschaftsnah und für die Autohersteller zu argumentieren. „Dabei haben sich die Autohersteller jahrelang über Umweltrichtlinien hinweggesetzt“, ärgerte sich der Politikwissenschaftler.

    Einen Seitenhieb bekam auch Dagmar Rosenfeld, Chefredakteurin der „Welt“, ab: Ihre Zeitung habe sich lange überhaupt nicht um die Klimafrage gekümmert. „Wir machen es uns als kommentierende Klasse zu leicht, wenn wir sagen: Wir haben es immer gewusst.“

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    Die interessante Analyse

    Die so Gescholtene brachte in der Debatte einen anderen interessanten Gedanken ein. Unter Verweis auf das Ergebnis der Europawahl warnte Rosenfeld davor, beim Klimathema von Einigkeit im Land auszugehen. Zwar seien die Grünen im Westen extrem stark gewesen; im Osten aber habe die AfD dominiert.

    Das nahm Rosenfeld zum Anlass, eine Lanze für die „Volksparteien“ Union und SPD zu brechen. Schließlich könnten diese vermitteln und integrieren, wo es derzeit eine Polarisierung zwischen radikalem Klimaschutz (Grüne) und gar keinem Klimaschutz (AfD) gebe.

    Das Fazit

    Unterm Strich verlief die Debatte bei „Anne Will“ dieses Mal zu beliebig. Um die politische Gestaltungskraft der Groko sollte es gehen; diskutiert wurden aber viele andere Dinge, etwa der Klimaschutz oder das Für und Wider eines Mietpreisdeckels.

    Was zum eigentlichen Thema hängen blieb, war aber eindeutig: Die große Koalition wird im Herbst ins Wackeln geraten, wenn nicht ein Wunder geschieht, das den prognostizierten Absturz von Union und SPD bei den anstehenden Landtagswahlen im Osten verhindert.

    Zur Ausgabe von „Anne Will“ in der ARD-Mediathek