Berlin. Im Münchner „Tatort“ will ein Eisbach-Surfer Geld als Drogendealer machen. Dafür kocht er den Wirkstoff aus Schmerzpflastern. Geht das?

Keine Suche nach dem Mörder, sondern nach verloren gegangenen Freunden: Der „Tatort“ aus München war etwas anders gestrickt als üblich – und für Kommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) eine Reise in die Vergangenheit.

Denn der verwundete Surfer, dessen Peiniger er und Kollege Batic (Miroslav Nemec) zunächst auf die Schliche kommen wollten, entpuppte sich als Freund aus einem früheren Leben. Mit Mikesch, Surfer der berühmten Eisbach-Welle im Englischen Garten, hatte Leitmayr 35 Jahre zuvor einen epischen Urlaub in Portugal verbracht – bevor er ihn und ihre beider Freundin Frida wortlos zurückließ.

Während Leitmayr sich ein bürgerliches Leben aufbaute, versuchte Mikesch sein freies Leben fortzuführen. Ohne Verpflichtungen, aber auch ohne festen Job. Das hat nun den kleinen Nachteil, dass er den Studienwunsch seiner Tochter Maya nur mit illegalen Geschäften unterstützen kann. Will heißen: Drogen verticken.

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Schmerzpflaster als Droge im „Tatort“: Ist das wirklich möglich?

Die Methode, die Mikesch dafür wählt, klingt höchst ungewöhnlich. Zusammen mit einem Kumpel organisiert er ausgemusterte Schmerzpflaster und kocht das Opioid heraus. Da drängt sich schnell die Frage auf: Ist das wirklich möglich?

Kurz gesagt: ja. Und es wird auch praktiziert – insbesondere in Bayern. Seit der Einführung Fentanyl-haltiger Matrixpflaster im Jahr 2004 beobachtete das Institut für Rechtsmedizin der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) einen starken Anstieg der Zahl der Drogentoten, bei denen dieses Opioid eine Rolle spielte.

Fentanyl wirkt mindestens 80-mal stärker als Morphin

Wurde 2004 noch kein Todesfall durch Fentanyl an der LMU dokumentiert, erreichte die Zahl während des Untersuchungszeitraums bis 2014 ihren Höhepunkt im Jahr 2013 mit 57 Toten. Insgesamt seien in den zehn Jahren 242 Todesfälle festgehalten, bei denen Fentanyl nachgewiesen werden konnte, heißt es in der 2018 in der Fachzeitschrift „Drug and Alcohol Dependence“ veröffentlichten Studie.

Laut dem European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA) wirkt Fentanyl mindestens 80-mal stärker als Morphin. Das Opioid steckt in der Klebeschicht der Schmerzpflaster und wird bei Kontakt mit der Haut über einen längeren Zeitraum freigesetzt. Eingesetzt wird es vor allem für Krebspatienten und Menschen mit starken chronischen Schmerzen.

Wie wird Fentanyl missbraucht?

Da das Opioid selbst in tagelang benutzten Pflastern noch bis zu 70 Prozent enthalten sein kann, suchen Drogenabhängige im Müll von Altenheimen und Kliniken nach ihnen. Oder sie probieren durch Ärztehopping mit vorgetäuschten Schmerzen die Pflaster selbst verschrieben zu bekommen.

Gelingt ihnen das, zerkauen sie sie entweder, um das Fentanyl über die Mundschleimhaut aufzunehmen, oder kochen den Wirkstoff aus, um sich den Sud anschließend zu spritzen.

Warum ist diese Praxis so gefährlich?

Fentanyl ist nicht nur ein besonders starkes Opioid, es lässt sich beim Missbrauch auch nicht sicher dosieren. „Auf den Pflastern sind die Wirkstoffe nicht gleichmäßig verteilt“, sagte Olaf Ostermann von der Münchner Drogenhilfe Condrobs e.V. dem Bayrischen Rundfunk (BR).

Kochten die Abhängigen nun ein Viertel des Schmerzpflasters aus, könne es sein, „dass auf diesem Viertel nicht ein Viertel Wirkstoff drauf ist, sondern vielleicht die Hälfte oder drei Viertel. Und dann hat man relativ schnell eine Überdosis, weil man das nicht erwartet hat.“

Warum ist Schmerzpflaster-Auskochen ein bayrisches Phänomen?

In einer Befragung des Robert-Koch-Instituts von 2016 unter Drogenkonsumenten gab etwa jeder fünfte Teilnehmer aus München an (21,3 Prozent), Fentanyl zu nutzen. Zum Vergleich: In Frankfurt am Main waren es 4,6 Prozent, in Hamburg 1,6, in Köln 1,2, in Essen 1,0 und in Hannover 0,4 Prozent.

Offizielle Erklärungen dafür gibt es nicht. Vermutet wird aber, dass viele Abhängige auf Fentanyl ausweichen, weil illegale Drogen in Bayern besonders schwer zu beschaffen sind. Auch Ostermann sieht einen Teil der Schuld bei der strengen Drogenpolitik.

„München hat nach Nürnberg mit Berlin die meisten Drogentoten auf die Einwohnerzahl gerechnet“, sagte er dem BR. „Unserer Meinung nach liegt das daran, dass sich aufgrund von Verfolgung und Repression viele Leute ins Private zurückziehen, alleine konsumieren und dann auch alleine sterben, weil niemand da ist, der Hilfe leisten kann.“

Welche Risiken birgt Fentanyl für Patienten und Angehörige?


Die Liste der Nebenwirkungen ist lang. Dazu zählen etwa Übelkeit, Schwindel und Schläfrigkeit, aber auch Atemnot und Depression. Gefährlich kann es für Angehörige werden, die zufällig mit den Schmerzpflastern in Berührung kommen. So heißt es in der Packungsbeilage des Fentanyl-Matrixpflasters von Ratiopharm: „Wenn ein benutztes oder unbenutztes Pflaster versehentlich auf einer anderen Person haftet, insbesondere auf einem Kind, kann dies tödlich sein.“

Wie sollte man benutzte oder unbenutzte Pflaster entsorgen?

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe hat einen Leitfaden für den Umgang mit opioidhaltigen Schmerzpflastern erstellt. Darin heißt es zum Beispiel, dass sie über die Behälter für benutzte Spritzen entsorgt werden sollen. In Privathaushalten sollten benutzte Pflaster in neutrales Papier eingewickelt werden.

Auch die Hersteller raten zu sorgsamem Umgang. Ratiopharm empfiehlt für sein Produkt: „Benutzte Pflaster sollen fest in der Mitte gefaltet werden, so dass die Klebeflächen aneinanderkleben. Dann sollen sie zurück in den Originalbeutel gesteckt und für andere Personen, insbesondere Kinder, unzugänglich aufbewahrt werden, bis sie sicher entsorgt werden.“

• Ein ganz anderes Drogenproblem haben Forscher in Großbritannien entdeckt: Flusskrebse auf Kokain: Forscher finden Drogen in Flüssen.

• Die beliebteste Droge in Deutschland bleibt weiterhin Alkohol. Laut einer Studie trinken Deutsche im Jahr etwa eine Badewanne voll Alkohol.