Berlin. Selbstjustiz im Vorort: Nach einer Einbruchserie gründen im „Tatort“ die Anwohner eine Bürgerwehr. Das geht nicht gut.

Hört man dieser Tage Worte wie Selbstjustiz und Treibjagd, denkt man sofort an Chemnitz, an Geflüchtete und Neonazis. Aber der Mensch als solcher ist bei vielen Themen schnell reizbar, findet er dann noch Verbündete und fühlt sich bestätigt, wird er ruckzuck unberechenbar.

Entsprechend rotten sich im „Tatort“ Männer und Frauen zusammen. Allerdings nicht im Kampf gegen oder für Zuwanderung oder andere Themen, die in Deutschland viele auf die Straße bringen. Sondern gegen, ganz klassisch, Einbrecher.

Bürgerwehr im Vorort

Tatsächlich haben sich in der nächsten Ausgabe der Krimi-Reihe die Bewohner eines Vorortes der Hansestadt zu einer Art Bürgerwehr zusammengetan. Recht und Ordnung, das muss doch möglich sein in diesem vermeintlich biederen Fleckchen Erde.

Treibjagd“ führt diesem Sonntag (20.15 Uhr) aufgewühlte Bürger vor, die sich – unzufrieden mit ihrer Polizei – ein digitales „Nachbarschaftsforum“ zu immer aggressiveren Worten und Handlungen anstacheln. Mit tödlichen Folgen für Räuber und Beraubte. „Internet ist was für Spacken“, schimpft dann auch der neben Julia Grosz (Franziska Weisz) zuständige Ermittler, Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring).

Dank der zahlreichen Shit-Stürme gegen die Behörde im Forum kein Wunder. Grenzen haben die Wutbürger dabei kaum: Sogar ein Foto von Falkes Wohnung und Posts seines Sohns Torben (Levin Liam) tauchen bald im Forum auf – woraufhin der junge Mann vor der Haustür krankenhausreif geschlagen wird.

Starker Tobak in beschaulicher Kulisse

Tatsächlich ist es starker Tobak, den die Regisseurin Samira Radsi (50, „Tatort“-Episode „Schlangengrube“) den Fernsehzuschauern nach dem Drehbuch von Benjamin Hessler und Florian Oeller da ins Wohnzimmer liefert.

Ausgehend von realen gesellschaftlichen Zuständen wie sich häufenden Einbruchserien, Bandenkriminalität und Wutbürgern, die Gesetz und Recht am liebsten in die eigenen Hände nehmen, spitzt die Produktion das Geschehen eher oberflächlich bis zum Grad des Unglaubwürdigen zu.

Spannend gerät der Krimi allerdings schon – etwa wenn Polizei und blutrünstige Vorortbewohner sich im Wald nahe einer Autobahn ein Rennen bei der Suche nach der bei einem Einbruch schwer verletzten Täterin Maja (Michelle Barthel) liefern. Die junge Frau, eine zu einem Clan gehörende Osteuropäerin, wird dabei ebenfalls von einer Menge Wut im Bauch angetrieben – gegen den Mörder ihres Geliebten nämlich.

Am Anfang stirbt ein Einbrecher – bewaffnet war er nicht

Ausgangspunkt der Geschichte ist der nächtliche Einstieg des Pärchens Maja und Kolya (Tilman Pörzgen) in das schlichte Eigenheim von Dieter Kranzbühler (Jörg Pose) am Rand der Hansestadt. Der Hausbesitzer erschießt Kolya – aber nicht aus Notwehr. Denn der Einbrecher hatte gar keine Waffe dabei. Die legt ihm Kranzbühler später in die Hand.

„Das war die Gelegenheit, auf die wir in der Siedlung immer gewartet haben“, gesteht der labil wirkende Täter seinem Bruder Bernd (Andreas Lust), der zu den Rädelsführern der Nachbarschaftshilfe gehört.

Ein zweiter Schuss, den Kranzbühler abgibt, streift Kolyas Gefährtin, die entkommen kann. Als einzige Zeugin des Mords steht sie nun jedoch in akuter Todesgefahr. Falke und Weisz, die Ermittler, gehören diesmal zu einer eigens eingerichteten „Sonderkommission“, die selbst Thorsten Falke für eine „PR-Maßnahme“ der nicht immer optimal agierenden Polizei hält.

Die ruhige Ermittlerin kommt weiter

Der kernige Hauptkommissar, der den Mehrfachtäter Kolya kurz zuvor wegen eines anderen Bruchs in Gewahrsam nehmen wollte, dann aber hat laufen lassen, scheint bei den Untersuchungen zunächst das Heft in der Hand zu haben. Allerdings machen bei seinen impulsiv geführten Verhören die Verdächtigen oft dicht.

Daher kommt es, dass Julia Grosz, die ja einmal traumatisiert und verschlossen von einem Afghanistan-Einsatz zurückgekehrt war, mehr und mehr ihre einfühlsame Seite entfalten darf.

Verhältnis im Team betont sachlich

Und somit für die Lösung des Falls wesentlich mehr erreicht. Anscheinend aber auch für das ursprünglich von ihrer Seite betont sachlich gehaltene Verhältnis zum Kollegen Falke. So bilden denn warmherzige Momente im Privatleben des Hauptkommissars, zu dem sein mit Selbstfindungsproblemen kämpfender Sohn und langer Abwesenheit wieder sein geliebter Kater Elliot gehören.

Immer wieder sorgt das Drehbuch für kleine Nervenkitzelmomente. Vor allem ist es aber die realitätsnahe Schilderung der Nachbarschaftswache, die den Reiz von „Treibjagd“ ausmacht: brave Menschen, die den Müll trennen, ihren Vorgarten pflegen und zu Mördern werden.

Fazit: Spannend, auch wenn die Ausgabe teilweise etwas überzeichnet ist. Schöne Milieustudie.

Sonntagabend, 20.15 Uhr, ARD, dann auch in der Mediathek des Senders. (dpa/ses/rpg)