Seit 60 Jahren gibt es das „Wort zum Sonntag“, Pfarrerin Annette Behnken spricht es seit sechs. Ihren Glauben hatte sie einst verloren.

Für Fernsehzuschauer gibt es am Samstagabend ein Ritual: Noch kurz in die „Tagesthemen“ reinschauen, und der Spätfilm kann kommen. Wenn nicht noch „Das Wort zum Sonntag“ wäre – diese kleine Unterbrechung, die manche dazu nutzen, die Spülmaschine auszuräumen oder sich die Zähne zu putzen.

60 Jahre schon gibt es diese Ansprache der Pastoren ans Fernsehvolk, die wie aus der Zeit gefallen wirkt: fünf Minuten, in denen uns Geistliche kurz ins Gewissen reden, endlich mit der Umweltverschmutzung auf­zuhören oder auch sonst ein besserer Mensch zu werden. Auch die evangelische Pfarrerin Annette Behnken gehört zu denen, die auf sympathische Art die Moralpredigt ins Wohnzimmer bringen (ARD, 22.35 Uhr).

„Wie die Jungfrau zum Kinde“ ist sie dazu gekommen

Egal, um was es geht – ob Krieg oder Frieden, Liebe oder Tod –, immer spürt man das Bemühen, nah am Leben zu sein. Dass soll auch die Sprache zeigen: „Fake News“ heißt es dann – und nicht mehr biblisch „falsches Zeugnis“. Manchmal wirken diese Übersetzungen auf den Punkt gebracht, manchmal ein wenig aufgesetzt in diesem Fernsehstudio, das auf charmante Weise den Geist des Gestrigen verströmt.

Seit 2012 gehört Annette Behnken (49) zum „Wort zum Sonntag“-Team. „Wie die Jungfrau zum Kinde“ ist sie dazu gekommen. Vorher hatte sie nur hin und wieder mal Radio-Andachten gehalten. „Dann wurde ich zu einem Casting eingeladen“, sagt sie. Und war gebucht, „weil ich angeblich nicht so pastoral bin“, dafür sehr telegen, so das Urteil.

Behnken handelte sich Shitstorm ein

Sie selbst schätzt an sich viel eher ihren Mut. Und den hat die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern oft bewiesen. Auch als sie es wagte, offen über Homosexualität zu sprechen, die für sie „ganz normal“ ist.

Einen echten Shitstorm jedoch hat sie sich eingehandelt, als sie davon redete, dass es nicht nur Mann und Frau auf der Welt gebe, wie es die Bibel vorgibt, sondern eine „Vielfalt von Geschlechtern“. Die Geschlechterrolle werde nicht nur von den Hormonen, sondern in erster Linie von den sozialen Faktoren bestimmt, so ihre Meinung, die viele erheblich vor den Kopf stieß.

Behnken verlor ihre dreijährige Tochter

Anlass für sie, sich über das Thema zu ereifern, war ein Bluttest, den Fußballspielerinnen über sich ergehen lassen mussten, um zu beweisen, dass sie Frauen sind. Darüber kann sie sich immer noch aufregen: „Ob Frau oder Mann – das lässt sich doch nicht am Testosteronspiegel festmachen?“ Außerdem müssten sich „Männer solcher Tests auch nicht unterziehen“. Dass ihre Position auf viele Gläubige verstörend wirkt – das nimmt sie in Kauf. Sie hat sich nie darum gekümmert, was sie sagen darf, sondern das gesagt, was sie meint und was sie fühlt.

Einmal hatte ein Gefühl sogar dazu geführt, dass sie das, was ihren Beruf ausmacht, komplett hinterfragt hat. Es war sozusagen ein Frontal­angriff, als sie vor zwölf Jahren nicht mehr weiter wusste und sagte: „Ich habe den Glauben an Gott verloren.“

Keinen Trost habe sie gespürt, keine Erklärung gehabt für das, was ihr widerfahren war: Sie hatte ihre kleine Tochter verloren, die nur drei Jahre alt geworden ist. Sie stellte sich eine Frage, von der sie weiß, dass sie sich unchristlich anhört, aber die in ihr war und rausmusste: „Warum gerade ich?“ Sie ließ ­Gedanken zu, die aus dem Mund einer Pastorin wie eine Provokation wirkten. Sätze wie „Meine ­Güte, wie lange noch?“ seien ihr durch den Kopf gegangen, als ihr Kind mit der Kraft am Ende war.

Behnkens Zweifel machen sie glaubwürdig

Ein Sauerstoffmangel bei der Geburt hatte dazu geführt, dass ihre Tochter schwerstbehindert auf die Welt kam. Sie konnte nichts alleine, gar nichts. „Natürlich fragt man sich, warum ein Gott das zulässt.“ Das Ungewöhnliche war, dass sie diese Zweifel öffentlich machte. Und immer noch dazu steht. Vielleicht auch, weil sie damit zeigen kann, dass auch ein fester Glaube nicht bedingungslos ist. „Ja, ich war wütend auf Gott.“

Ihre ­Ein­­stellung hat sich geändert. Heute sagt sie: „Es war schön, dass unsere Tochter bei uns war, dass wir ihr so nah sein konnten. Man erlebt den Tod hautnah – das gibt einem auch eine neue Stärke. Man möchte dann das Leben noch intensiver annehmen.“ Die Zweifel, die Lebenserfahrung machen auch ihre Glaubwürdigkeit als Pastorin aus.

Von ihrem Mann ist sie getrennt. „In so einer Krise lernt man sich sehr gut kennen.“ Und man lernt auch, dass jeder Neues wagen muss. Auch beruflich hat sie sich verändert. Nach sechs Jahren ­Gemeindepastorin bei Hannover arbeitet sie jetzt als Studienleiterin der Evangelischen Akademie Loccum an der Weser. Was geblieben ist aus der Zeit des Verlusts, sei die Freude, am Leben zu sein. Die will sie teilen: mit ihren Töchtern – und den Zuschauern am Samstagabend.