Braunschweig. Die katastrophalen Folgen der Waldbrände am Brocken erhöhen die Dringlichkeit der Frage: Wie gefährlich ist der Funkenflug der beliebten Bahn?

Das Thema hat Feuer. Nein, das war jetzt kein blöder Witz. Gemeint ist: Das Thema Brockenbahn ist sensibel, ein heißes Eisen, wie man so sagt. Ein Gesprächspartner, der den bei dieser Recherche ohnehin nicht seltenen Satz „…aber das haben Sie nicht von mir“ anschließt, sagt sogar, so richtig gefährlich würden Diskussionen dann, wenn es mit Frauen ums Thema Katzen geht – oder mit Männern ums Thema Eisenbahn.

Doch ganz abgesehen von Geschlechter-Klischees und Eisenbahnromantik, abgesehen auch von Vorverurteilungen und Naturschutzkonzepten ist die Debatte entbrannt. Es geht um die Frage, ob die Harzer Schmalspurbahnen im Allgemeinen und die Brockenbahn im Besonderen ein Waldbrandrisiko sind. Diese Debatte, besser: diesen Grabenkampf gibt es länger schon. Die katastrophalen Folgen der jüngsten Waldbrände am Brocken erhöhen jedoch in den Augen vieler Beobachter die Dringlichkeit des Themas. Thomas Hartwig aus Braunschweig zum Beispiel hat es in einem Leserbrief an unsere Zeitung so formuliert: „In Anbetracht der herrschenden, extremen Trockenheit halte ich es für unverantwortlich, mit einer Funkenflug verursachenden Dampflokomotive durch dieses Areal zu fahren. Gefühlt kam mir das vor, als wenn ich mit einer brennenden Kerze durch ein Dynamitwerk laufe. Der Betrieb der Bahnstrecke sollte insbesondere in diesen trockenen Wochen kritisch hinterfragt und notfalls eingestellt werden. Aber wie so oft geht es hier wohl auch wieder um Kohle – und mit Sicherheit nicht die, mit der die Bahn betrieben wird…“

48 Stationen, 260 Mitarbeiter

Kritisch hinterfragen? Klaro, aber zunächst soll es in Anbetracht der vielen Meinungen und gefühlten Wahrheiten mal um Fakten gehen: Die Harzer Schmalspurbahnen (HSB) sind eine Eisenbahngesellschaft, die mit dampfgetriebenen Lokomotiven eine große Touristenattraktion darstellt. Etwas über eine Million Fahrgäste werden in normalen Jahren gezählt. Der jährliche Umsatz durch den Verkauf von Fahrkarten und Souvenirs beträgt etwas über zehn Millionen Euro. Getragen wird die Gesellschaft von den Ländern Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie neun kommunalen Gesellschaftern. Das gilt auch für den Zuschussbedarf, den die Nahverkehrsgesellschaft Sachsen-Anhalt im Gespräch mit unserer Zeitung auf etwa 15 Millionen Euro pro Jahr taxiert. Das meterspurige Streckennetz ist 140 Kilometer lang. Die Brockenbahn ist nur ein kleiner, allerdings besonders lukrativer und imagerelevanter Teil des Ganzen. Es gibt 48 HSB-Stationen mit beträchtlichen Höhenunterschieden (Brockenbahnhof: 1125 Meter hoch gelegen, Bahnhof Quedlinburg: nur 121 Meter). 25 Dampflokomotiven (2 aus dem Jahr 1897, die meisten aus den Fünfzigern), aber auch 6 Diesellokomotiven sind unterwegs. Auf 6000 Tonnen Steinkohle wird der jährliche Bedarf geschätzt. 260 Mitarbeiter sind direkt bei den HSB beschäftigt.

Harzer Schmalspurbahn
Harzer Schmalspurbahn © Jürgen Runo | Jürgen Runo

Ein Gutachten der Hochschule Nordhausen, so fügt die HSB-Sprecherin Heide Baumgärtner jedoch an dieser Stelle telefonisch hinzu, habe ermittelt, dass indirekt über tausend weitere Arbeitsplätze an dem Betrieb der Schmalspurbahnen hängen. Sie selbst sei übrigens schon seit 1996 bei den HSB. „Ich liebe diese Bahn. Viele Menschen tun das“, sagt Heide Baumgärtner noch, und im Hintergrund tutet bzw. pfeift tatsächlich in der Sekunde ihres Bekenntnisses eine Lokomotive so schön charakteristisch dazwischen.

Hoppla, schon wären wir ja doch wieder bei Gefühlen. Tja, die Brockenbahn: So herrlich altmodisch. So pittoresk. So fotogen. Dazu das Fauchen und Zischen. Und dann erst der Geruch… Wobei übrigens auch auch der Nationalpark-Chef Dr. Roland Pietsch und der in diesen Fragen immer relevante Geologe Dr. Friedhart Knolle sagen, dass sie diese Bahn lieben und für unverzichtbar halten. Aber trotzdem (Knolle sagt: „gerade deshalb“) finden sie, dass die Frage nach dem Waldbrandrisiko vorurteilsfrei geklärt werden müsse. „Es wäre wirklich meine dringende Bitte, dass dies geschieht“, sagt Pietsch. Der Nationalpark-Chef verweist auf eine Statistik, welche die Zahl der Brände im Nationalpark zwischen 1994 und 2022 den jeweiligen Forstabteilungen zuordnet. Ergebnis: eine „signifikante Häufung“ entlang der Strecke. Auch Knolle, Jahrgang 1955, bringt solche Zahlen in Umlauf. Knolle scheint ganz gut damit klarzukommen, dass er durch Aussagen, die Brockenbahn sei eine „heilige Kuh“ und die Untersuchung des Problems bestehe aus „beredtem Schweigen“, manche Aggression auf sich zieht. Der ehemalige Nationalpark-Sprecher gibt auch gleich zu, schon sein Vater und auch er selbst seien Anfang der 90er dagegen gewesen, dass die Bahn bis auf die Brockenkuppe fährt. „Aber das hier hat mit Gegnerschaft wirklich nichts zu tun. Natürlich weiß ich auch nicht genau, wie Brände entstehen. Schlackenbildung, Funkenflug beim Bremsen, Kohlereste aus der Wanne, es gibt mehrere Möglichkeiten“, sagt er. Und sowieso erwähnen alle Gesprächspartner, sogar übereinstimmend, dass die weggeworfenen Zigarettenkippen von Fahrgästen, die sich partout nicht ans Rauchverbot hielten, eine erhebliche Gefahr darstellen.

Ermittlungen in Magdeburg

Selbstverständlich hat ein Brand wie der jüngste am Brocken, mit Feuer auf 160 Hektar, mit einem schwerverletzten Feuerwehrmann und Löschflugzeugen aus Italien, nicht nur Debatten und Mutmaßungen, sondern auch polizeiliche Ermittlungen zur Folge. Zuständig ist der Zentrale Kriminaldienst der Polizeiinspektion Magdeburg. Man stelle sich auf umfangreiche und folglich längere Ermittlungen ein, heißt es aus Magdeburg. Ein anderer, in solchen Dingen erfahrener Ermittler sagt (mit der bewussten Bitte, nicht namentlich zitiert zu werden), er gehe „sowieso“ davon aus, dass sich keine genaue Ursache ermitteln lasse. Auch von einem „Feuerteufel“ war immer mal wieder die Rede, wobei es ebenso oft den Hinweis gab, dies seien geradezu klassische „Fake News“.

Zurück zur Bahn: „Wir beteiligen uns nicht an Spekulationen“, sagt HSB-Sprecherin Heide Baumgärtner zum Thema Brandauslösung. Fest stehe, dass die Schmalspurbahn keiner Untersuchung zufolge jemals der auslösende Faktor eines Brandes gewesen ist. „Aber sicher ist: Wir fahren mit Dampf“ – und da sperre man sich keineswegs gegen genauere Untersuchungen oder auch Diskussionen über alternative Antriebsarten. Auch jetzt gelte ja bereits, dass bei Waldbrandgefahrenstufe 5 zwischen Drei Annen Hohne und dem Brocken nur noch Dieselloks unterwegs sind. „Wir gehen allerdings schon davon aus, dass die Fahrgäste das so schätzen, wie es jetzt läuft“, sagt sie noch. Dies sei schließlich ein „Alleinstellungsmerkmal“ der HSB.

Auch Thomas Balcerowski (CDU), der Landrat im Landkreis Harz und zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Eisenbahngesellschaft ist, wehrt sich entschieden „gegen Vorverurteilungen der Bahn“. Die Tatsache, dass die Brände im Bereich des Nationalparks so viel häufiger seien als in den kaum minder bewaldeten anderen Streckenabschnitten, müsse ebenfalls offen diskutiert werden. Sogar das Wort „Ablenkungsmanöver“ benutzt der Landrat in diesem Zusammenhang, und zwar in dem Sinne, dass desto weniger von der aus dieser Sicht brandgefährlichen „Totholz-Strategie“ des Nationalparks die Rede sei, je mehr man über die Schmalspurbahn rede – womit das Naturschützer-Argument, dass übers Totholz vor allem diejenigen so gern und so halbwahr sprechen würden, die nicht wollen, dass der Verdacht auf die „heilige Kuh“ Brockenbahn fällt, auf eine geradezu putzige Weise umgekehrt wird.

Selbst wenn die Debatte hier zumindest momentan auf einem toten Gleis zu landen scheint: Balcerowski äußert sich aufgeschlossen, der Frage mit intelligenter Technik zu Leibe zu rücken. Über Sensortechnik zur genaueren Beobachtung wolle man in der Eisenbahngesellschaft ebenso sprechen wie über wasserführende Leitungen an der Strecke, die im Falle eines Falles die Löscharbeiten entscheidend erleichtern könnten.

Wasserstoff? Oder Bio-Kohle?

Auch über alternative Antriebe spreche man selbstverständlich, sagt Balcerowski, zumal die Preise für Steinkohle sich in jüngster Zeit infolge des russisch forcierten Krieges verdoppelt hätten. Sogar aus Brasilien und Kasachstan führe man derzeit Kohle ein. Zur Verdeutlichung: Zwischen zweieinhalb und drei Tonnen Kohle verbraucht eine Lok am Tag. Natürlich wird dieser Verbrauch auch unter klimapolitischen Gesichtspunkten länger schon höchst kritisch gesehen.

Die gern erwähnte Wasserstoff-Lösung scheint nicht einfach umsetzbar zu sein. Ein Gutachten der Hochschule Nordhausen hat ergeben, dass dem hohen Gewicht und den steilen Anstiegen zufolge enorme Mengen an Wasserstoff auf der Lok gelagert werden müssten, was mit den gegenwärtigen Lokomotiven so gut wie unmöglich sei – zumal die Loks unter Denkmalschutz stehen. Auch die Idee von Wasserstoff-Tankstellen an der Strecke klingt nach anstrengenden Debatten. Dennoch: „Diese Bahn hat große Chancen und viele Möglichkeiten“, sagt sogar der kritische Friedhart Knolle, „sie muss aber auf jeden Fall mal in der Klimakrise ankommen.“ In der Schweiz etwa sei man sehr findig in solchen Dingen. Selbst „Fake-Dampf“ halte er, mit Rücksicht auf nostalgisch eingestellte Kunden, für bedenkenswert.

Die HSB-Sprecherin Baumgärtner hofft ebenfalls auf gute technische Lösungen. Eine kleinere Bahn in Sachsen experimentiere derzeit mit Leichtöl, das behalte man im Auge. Interessanter im Sinne des traditionellen Betriebs sei jedoch das Stichwort „Pyrolyse-Kohle“.

Pyro-wie-bitte? Als „Pyrolyse“ bezeichnet man die thermo-chemische Spaltung organischer Verbindungen. Insofern gelten solche Briketts als „Bio-Kohle“, da sie durch die Behandlung aus Altholz, Sperrmüll und sogar aus Kuhmist oder Pferdeäpfeln hergestellt werden. Die Kosten, auch das wurde in Nordhausen ermittelt, wären wohl enorm. Zudem scheint in der aktuellen Debatte über die Waldbrandgefahr derlei eher nicht den Durchbruch zu verheißen. Doch was ihr Öko-Image angeht, könnte die heiß geliebte Brockenbahn auf diese Weise so richtig Tempo machen.