Berlin. Absolventen der Naturwissenschaften bleiben an der Uni, gründen Start-ups oder gehen in die Industrie. Und sie machen überall Karriere.

Warum verkauft Goethes Faust dem Teufel seine Seele? Weil er erkennen will, was die Welt im Innersten zusammenhält. Doch trotz all seiner Gelehrtheit beißt er sich an dieser Frage die Zähne aus. Hätte er mal Naturwissenschaften studiert.

Schließlich sind es Naturwissenschaftler, die täglich neue Antworten auf Fausts Frage suchen und finden. Physiker, Chemiker und Biologen stoßen inzwischen sehr weit in das besagte Innerste der Welt vor. Oft forschen sie auf molekularer oder auf der Nanoebene. Es geht um Quantenmechanik, Gen-Scheren und organische Solarzellen, um Halbleiter, Hormone und magnetische Nanopartikel.

Promovierten Chemikern stehen alle Türen offen

Die Spezialisten für kleinteilige Zusammenhänge sind in Industrie und Forschung sehr gefragt. „Mit einem Doktor in Chemie stehen unseren Absolventen alle Türen offen“, sagt Michael J. Bojdys (37), der an der chemischen Fakultät der Humboldt-Universität den Forschungs­bereich Funktionelle Nanomaterialien leitet.

Dort wird zum Beispiel ergründet, wie sich endliche natürliche Ressourcen ersetzen lassen. „Wir beschäftigen uns mit gesellschaftlich hoch ­relevanten Themen und entwickeln technologische Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit“, sagt der promovierte Chemiker. „Dafür gibt es Geld und Jobs.“

Anschließend die Phase als Postdoktorand

Bojdys hat den klassischen Werdegang eines Naturwissenschaftlers zurückgelegt, der mit dem Abschluss eines Masters meist noch lange nicht zu Ende ist. Wenn auch kein Muss, schließt sich an die vier bis fünf Jahre Studium in vielen Fällen die Doktorarbeit an, für die man noch einmal drei bis fünf Jahre braucht.

Chemiker Dr. Michael J. Bojdys leitet den Forschungsbereich Funktionelle Nanomaterialien an der Humboldt-Universität Berlin.
Chemiker Dr. Michael J. Bojdys leitet den Forschungsbereich Funktionelle Nanomaterialien an der Humboldt-Universität Berlin. © Sebastian

„Danach kommt die schwammige Zeit des Postdoc“, sagt Bojdys. „Da kommt die Familie am Weihnachtsabend dann nicht mehr mit und fragt sich, studiert der jetzt noch oder arbeitet er schon?“

Ein bis zwei Jahre dauert die Phase als Postdoktorand. In dieser Zeit spezialisiert sich der Wissenschaftler, soll aber auch über den Tellerrand hinausschauen. Dafür gehen Postdoktoranden häufig ins Ausland oder mindestens an eine andere Universität. Wie Doktoranden beziehen sie schon ein Gehalt und arbeiten an befristeten, klar umrissenen Projekten.

Wissenschaftliche Unabhängigkeit

Bei einer Karriere in der Wissenschaft, das heißt an der Universität oder an Forschungseinrichtungen wie den Instituten der Max-Planck-Gesellschaft, wartet nach dem Postdoc die wissenschaftliche Unabhängigkeit, das Forscherleben. In diesem läuft heute viel über Drittmittelfinanzierung.

Gelder einzuwerben und Anträge zu schreiben gehört zwangsläufig dazu. „Stabilität, Sicherheit, Ruhe – wer das sucht, ist eher nicht kompatibel“, sagt Michael J. Bojdys. Unbefristete Stellen sind rar, es sei denn in Lehre und Forschungsadministration.

Gründer treffen sich auf dem Campus Adlershof

Wissenschaft ist international, man reist viel, lebt in verschiedenen Städten und Ländern. Nicht zuletzt ist das eine Belastungsprobe für Partnerschaften. „So ein Leben ist vor allem etwas für Menschen, die die Freiheit suchen, eigene Projekte zu entwickeln.“

Manch ein Naturwissenschaftler schafft das auch außerhalb der Uni und gründet eine eigene Firma. Wer Beispiele sucht, muss sich nur nach Adlershof begeben, in Deutschlands größten Wissenschafts- und Technologiepark.

1000 Unternehmen und potenzielle Arbeitgeber

Neben den mehr als 6000 Studenten der Humboldt-Uni, die das Quartier bevölkern, haben sich gut 1000 Unternehmen mit rund 17.000 Beschäftigten angesiedelt. Einer der Gründer dort ist der promovierte Geologe André Kempe, Jahrgang 1971. Er hat sich auf Materialwissenschaften spezialisiert und betreibt ein Labor für Materialcharakterisierung.

Wie Bojdys ist Kempe in der Nanowelt unterwegs. Im Coworking Space der Wista-Gründerwerkstatt in Adlershof baut er mit seinem Partner Ioannis Karaka­tsanis, Jahrgang 1982, die nächste Firma auf.

Nanotechnik plus künstliche Intelligenz

Mit dem Start-up ProMetronics gewannen sie ein Stipendium und auch schon erste Kunden. „Was wir anbieten, ist eine Produktionsoptimierung für funktionale Oberflächen“, sagt Kempe. „Der Clou dabei ist, dass wir zum ersten Mal Nanotechnik und künstliche Intelligenz miteinander verzahnen.“

Funktionale Oberflächen haben zum Beispiel Laborschalen, die in der Stammzellforschung oder für Labortests benötigt werden. Sie müssen speziell beschichtet sein. Es ist teuer und schwierig, dafür die richtige Materialstruktur herzustellen.

Ad hoc Fehler im Prozess korrigieren

Im Schnitt ist ein Fünftel der Produktion unbrauchbar. Eine Verschwendung von Geld, Zeit und Ressourcen. ProMetronics will das ändern. Mit einer Sensorik, die auf Nanoebene arbeitet, sollen Fehler sofort erkannt und der Produktionsprozess ad hoc korrigiert werden.

Die in solchen Prozessen anfallenden Datenmengen werden dann in einer „Knowledge Base“ gesammelt, das wachsende Gehirn einer künstlichen Intelligenz. Je mehr Daten zur Auswertung zur Verfügung stehen, desto bessere Algorithmen wird ProMetronics entwickeln können und umso genauer können die Gründer künftig Materialeigenschaften voraussagen.

Naturwissenschaftler kooperiert mit Ingenieur

Im Prinzip ist der Naturwissenschaftler Kempe damit bei der Softwareentwicklung gelandet. Da er nicht noch ein Informatikstudium draufsatteln wollte, kam die Partnerschaft mit Karakatsanis zustande.

Interdisziplinarität ist auch für Naturwissenschaftler wichtig. Der jüngere Diplom-Elektroingenieur kennt sich mit Elektronik aus, kann programmieren und hat sich auf Informationsverarbeitung mittels Maschinenlernen spezialisiert.

Nanotrend wird lange anhalten

Gemeinsam verknüpfen die beiden Gründer Kempe und Karakatsanis Materialphysik und Prozessparameter. „Dabei habe ich mich während des Studiums schon gefragt, Mensch, was machst du denn eigentlich mit diesem Fach einmal?“, erzählt Kempe.

„Andererseits kam gerade der Nanotrend auf und mein Doktorvater prophezeite mir damals schon, dass ich mich damit mein ganzes Leben würde beschäftigen können.“

Karrieren sind nicht garantiert

Der Ehrlichkeit halber muss gesagt werden, dass erfolgreiche Karrieren für Naturwissenschaftler nicht garantiert sind, insbesondere wenn man sein Privatleben dem Beruf nicht völlig unterordnen will. Susanne Pribbenow, Jahrgang 1983, hat diese Erfahrung gemacht.

Biologin Dr. Susanne Pribbenow.
Biologin Dr. Susanne Pribbenow. © Privat

Die Biologin promovierte am renommierten Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin zum Hormonmonitoring von Tieren.

Auch der Doktor ist kein Selbstläufer

Die weltweit führende Stellung des IZW auf diesem Spezialgebiet bedeutet aber auch, dass anderswo entsprechende Stellen rar sind. „Man muss das nicht beschönigen, der Doktor ist kein Selbstläufer“, sagt Pribbenow. „Ich habe mich nach meiner Promotion weltweit auf Stellen beworben und trotzdem nichts gefunden.“

Kommen dann wie bei ihr eine Babypause und Ortsgebundenheit hinzu, verringern sich die Optionen weiter. Über den Quereinstieg ist sie Lehrerin für Naturwissenschaften geworden. Susanne Pribbenow will aber wissenschaftlich arbeiten.

Darum hat sie einen Plan B: „Wenn der Einstieg in die Wissenschaft nicht gelingt, werde ich über den Tellerrand hinaus in die Indus­trie schauen.“ (Sebastian Blottner)