Berlin. Christin Pinzer hat einen künstlerischen Beruf gewählt: Bühnenmalerin. Aus Liebe zum Theater, sagt sie. Mit allen Vor- und Nachteilen.

Die Wände sind großflächig bebildert. Ein Porträt von Sophie Scholl. Eine Malerei von der Ruine des Palasts der Republik und, weiter hinten, Gerhard Richters berühmte „Betty“.

Auf dem Boden liegen große Leinwände. Menschen in beschmierten Overalls räumen ihr Werkzeug weg. Es ist Freitag, 13 Uhr: Feierband für die rund 20 Bühnenmaler beim Bühnenservice Berlin. In der Werkstatt des Tochterunternehmens der Stiftung Oper werden Szenenbilder für die drei Berliner Opernhäuser, das Staatsballett und das Deutsche Theater gemacht.

Sie geben Wänden eine Steinoptik


„Wir Bühnenmaler legen als Letzte Hand an“, sagt Christin Pinzer (32). Sie geben Wänden ihre Steinoptik, verwandeln einen Sperrholzboden zu Marmor oder bringen ihre Bilder an.

Die Gemälde an den Werkstattwänden sind natürlich nicht die Originale. Widerstandskämpferin Sophie Scholl und den Palast der Republik hat Pinzer geschaffen. Den Richter hat eine Kollegin reproduziert.

Auf einer Fläche von insgesamt 25.000 Quadratmetern arbeiten Bühnenmaler, Schlosser, Tischler, Plastiker und Dekorateure gemeinsam – an Bühnenbildern für rund 70 Produktionen pro Jahr. In der großen Montagehalle wird am Ende alles zusammengebaut.

Gutes Auge, ruhige Hand, Kreativität


Für ihre großflächigen Arbeiten braucht Christin Pinzer eine ruhige Hand, ein gutes Auge, Kreativität und eine Arbeitszeit von mindestens zweieinhalb Tagen. Es kann aber auch mehrere Wochen dauern.

Sie arbeitet nach Fotovorlagen, die Bilder sind bis zu 14 mal 20 Meter groß. Die Leinwand liegt auf dem Boden, der Pinsel ist mit einem Stil verlängert. Zwischendurch steigt die Malerin auf eine Leiter oder auf die Galerie, um das Bild mit Abstand betrachten zu können – Szenenbilder müssen aus der Ferne wirken.

Von Barock bis Fotorealismus


Pinzer beherrscht Barockmalerei ebenso gut wie Architekturmalerei oder Fotorealismus. Und sie muss Holz- und Steinstrukturen nachbilden können. „Alle diese Techniken lernen wir in der Ausbildung“, sagt sie.

Die schloss sie im vergangenen Jahr mit sehr guten Noten ab – und mit der Auszeichnung der Industrie- und Handelskammer „Beste Azubi 2018“. Die Berliner Morgenpost berichtete. Jetzt hat Pinzer einen befristeten Vertrag beim Bühnenservice.

Alte Meister kopieren, Fotorealismus und Sägespäne


Wie man Holz und Stein naturalistisch nachmalt, das weiß sie schon seit dem ersten Lehrjahr. Im zweiten lernte sie, wie man alte Meister kopiert und auf große Formate überträgt.

Im dritten Jahr stand Fotorealismus auf dem Stundenplan. Zudem lernte Pinzer mit Materialien wie Sägespänen und Spachtelmasse zu arbeiten.

Mit Erasmus-Stipendium nach Island


Sie hängt sich rein, wenn sie etwas will. Während ihrer Ausbildung war sie mit einem Stipendium des EU-Programms Erasmus+ in Reykjavík an einem kleinen Theater. „Kleinere Theater sind viel enger mit den Produktionen verbunden, die an ihrem Haus stattfinden.“

Direkt nach der Ausbildung kehrte sie mit dem Stipendium noch einmal für fünf Wochen nach Reykjavík zurück. Jetzt war sie das erste Mal alleine für das Bühnenbild verantwortlich.

Das erste Mal alleinverantwortlich


Eine große Herausforderung: Sie musste eine raumgreifende Marmorimitation für Wände und Boden erstellen. „Die sollten aussehen wie Lammfleisch“, sagt sie. Hier half es, dass sie sich im dritten Ausbildungsjahr intensiv mit Techniken auseinandergesetzt hat.

„Da hatte ich Zeit zu experimentieren.“ Talent hat sie sowieso, sonst hätte sie die Aufnahmeprüfung nicht bestanden: Der Bühnenservice nimmt jedes Jahr nur eine oder einen Azubi auf, und das bei großer Bewerberzahl.

Geschichte an der HU studiert


Schon als Kind hat Christin Pinzer viel gemalt. Und noch während sie ihr Geschichtsstudium an der Humboldt-Universität abschloss, fing sie mit der Ausbildung an. Die Liebe zum Theater hatte sie durchs Jobben an verschiedenen Bühnen entdeckt.

„Diese Welt hat mich fasziniert“, sagt sie. Sie wollte Teil davon werden. Dass es den Beruf der Bühnenmalerin überhaupt gibt, erfuhr sie erst dort.

Der Beruf droht auszusterben


„Ich habe mich bewusst für den Beruf entschieden“, betont sie. „Obwohl ich weiß, dass er vom Aussterben bedroht ist und wohl wissend, dass man nicht reich wird.“

Die Digitalisierung hat hier ihre Spuren hinterlassen, viele Produktionen verwenden das weniger kostenintensive Druckverfahren für ihre Bühnenbilder oder erzeugen Effekte mit Licht und Videos. „In meiner Berliner Berufsschule, die Azubis aus dem gesamten norddeutschen Raum bündelt, waren wir zu sechst in der Klasse“, erzählt sie.

Leidenschaft wiegt schlechte Bezahlung auf


Und die Bezahlung? Pinzer zuckt mit den Schultern. „Die Mindestgage liegt für ausgebildete Bühnenmaler bei 2000 Euro monatlich, alles andere ist Verhandlungssache.“

Ihre nächste Produktion ist „Roxy“ für die Komische Oper, für die sie eine kitschige Architekturmalerei mit Glitzer herstellen wird. Den Effekt ihrer Arbeit sieht sie sich oft in Generalproben an. Und auch, wenn Bilder, an denen sie lange gesessen hat, mal nur kurze „Auftritte“ haben.

„Es ist wirklich toll, zu sehen, wie die Schauspieler sich in dem Bühnenbild bewegen, das ich erschaffen habe.“

Hintergrund: Die Theaterkultur in Deutschland.