Berlin. Ende November wurden in Manching fast 500 wertvolle Münzen geraubt. Archäologen und Polizei suchen gemeinsam nach den Spuren der Täter.

Archäologen und Kriminalpolizisten haben etwas gemeinsam, wenn sie ihrer Arbeit nachgehen: Sie folgen Spuren und lüften so mitunter spektakuläre Geheimnisse. Im Grunde ist es auch so bei dem Goldschatz von Manching, der in der Nacht vom 21. auf den 22. November aus dem Museum der gleichnamigen Stadt an der Donau in Bayern gestohlen wurde.

Nur mit dem Unterschied: Die Archäologen untersuchten das mehr als 2000 Jahre alte Gold aus der Keltenzeit, seit es im Sommer 1999 gefunden worden war. Die Sonderkommission „Oppidum“, die das bayerische Landeskriminalamt (LKA) eingerichtet hat, beschäftigt sich erst damit, seit der Fund geraubt ist. Dennoch: Ermittler und Forscher folgen gemeinsam den Spuren, die die Diebe hinterlassen haben. Bis heute ist das Gold verschwunden. Lesen Sie auch: Das Grab von Tutanchamun: Jahrhundertfund und Mysterium

Der Metallwert des Schatzes wird auf rund 250.000 Euro geschätzt. Der Wert der Münzen, wenn man sie einzeln an Sammler verkaufen würde, betrage rund 1,6 Millionen Euro – der Wert für die Forschung sei unschätzbar.
Der Metallwert des Schatzes wird auf rund 250.000 Euro geschätzt. Der Wert der Münzen, wenn man sie einzeln an Sammler verkaufen würde, betrage rund 1,6 Millionen Euro – der Wert für die Forschung sei unschätzbar. © Archäologische Staatssammlung | Archäologische Staatssammlung

Keltenschatz: 483 hochkarätigen Goldmünzen

Der Goldschatz von Manching ist nicht der einzige, aber er ist der größte keltische Münzschatz, der im 20. Jahrhundert gefunden worden war. Er besteht aus 483 hochkarätigen Goldmünzen. Viele zeigen außergewöhnliche Prägungen. Dazu kommt ein über 200 Gramm schwerer Klumpen aus ebenso hochwertigem Gold.

Im 18. und 19. Jahrhundert waren zwar durchaus größere solcher Münzschätze gefunden worden, sagt Bernward Ziegaus, Münzexperte mit Schwerpunkt auf die Kelten und Leiter der Abteilung Numismatik der Archäologischen Staatssammlung München, aber viele Münzen hat man damals einfach eingeschmolzen. Auch interessant: Späte Bronzezeit: Mann vor 3500 Jahren am Schädel operiert

Ein ähnliches Schicksal droht dem Manchinger Goldschatz auch – zumindest wenn es den Dieben vor allem um schnelles Geld geht. Der Metallwert des 3,7 Kilogramm schweren Schatzes wird auf rund 250.000 Euro geschätzt. Der Wert der Münzen, wenn man sie einzeln an Sammler verkaufen würde, betrage rund 1,6 Millionen Euro, sagt Ziegaus. Der Wert für die Forschung sei unschätzbar, so der Numismatiker.

Ein Absperrband der Polizei wird im Kelten-Römer-Museum in Manching gespannt. Einbrecher haben dort im November Goldschatz erbeutet.
Ein Absperrband der Polizei wird im Kelten-Römer-Museum in Manching gespannt. Einbrecher haben dort im November Goldschatz erbeutet. © picture alliance/dpa | Peter Kneffel

In neun Minuten war der Schatz verschwunden

Das LKA teilt auf Anfrage mit, dass die Beamten zunächst die üblichen Methoden angewandt hätten: Funkzellenauswertung, Tatortbegehung, Zeugenbefragung. Die Umgebung und die Gewässer seien abgesucht worden. „Klassische Polizeiarbeit eben“, sagt LKA-Sprecher Fabian Puchelt unserer Redaktion. Mit Details zum Stand der Ermittlungen und zu den Methoden der Sonderkommission hält er sich aber zurück. „Aus kriminaltechnischen Gründen.“

Bekannt ist jedoch, dass die Videokameras im Museum zur Tatzeit nicht funktionierten. Das gilt auch für die Alarmanlage des Hauses. Die Diebe hatten zuvor in der Umgebung des Museums ein Glasfaserkabel im Erdreich gekappt, das für die technische Überwachung notwendig war. Mehr zum Thema: Rätsel um Gold gelöst: Edelmetall stammt nicht von der Erde

Dennoch rekonstruierten die Ermittler den gesamten Ablauf des Raubüberfalls. Zwischen dem gewaltsamen Öffnen der Zugangstür zum Museum bis zum Aufbrechen der Vitrine und der anschließenden Flucht durch dieselbe Tür vergingen gerade mal neun Minuten. Dann waren die Diebe mit dem Schatz verschwunden.

Blick von oben: Im Museum in Manching war der Goldschatz in einer Bodenvitrine untergebracht. Daneben liegen drei Ringe aus Bronze, die zum Fundgehören. Sie dienten wohl als Verschluss eines Stoff- oder Lederbeutels, in dem das Gold ursprünglich vergraben worden war. Eine mögliche Rekonstruktion legten die Ausstellungsmacher ebenfalls in die Vitrine.
Blick von oben: Im Museum in Manching war der Goldschatz in einer Bodenvitrine untergebracht. Daneben liegen drei Ringe aus Bronze, die zum Fundgehören. Sie dienten wohl als Verschluss eines Stoff- oder Lederbeutels, in dem das Gold ursprünglich vergraben worden war. Eine mögliche Rekonstruktion legten die Ausstellungsmacher ebenfalls in die Vitrine. © Archäologische Staatssammlung | Archäologische Staatssammlung

Ermittlungen: Blick auf Auktionshäuser und Internetportale

Kaum jemand ist so vertraut mit dem Goldschatz wie der Numismatiker Ziegaus. Er leitete nach dem Fund zwischen 1999 und 2003 die wissenschaftlichen Untersuchungen der Münzen, bevor im Frühjahr 2006 das Manchinger Museum eröffnete und das Gold dort ausgestellt wurde.

Ziegaus sagt, er werde immer wieder von den Ermittlern um seine Einschätzung gebeten. „Das ist nicht nur meine Aufgabe, sondern auch mein Anliegen“, so der Wissenschaftler. Er selbst beobachte so gut es gehe die Angebote von einschlägigen Auktionshäusern und Internetportalen, über die antike Münzen verkauft werden, und wartet, ob vielleicht eine Münze aus dem Goldschatz auftaucht. „Aber wenn auf Münzbörsen solche Stücke über den Ladentisch gehen, kriegen wir das natürlich nicht mit. Da muss man viel Glück haben. Oder Kollegen, die uns informieren“, sagt er. Lesen Sie hier: Tutanchamuns neues Zuhause - ein Palast aus Glas und Beton

Legierung gibt Hinweise auf die Herkunft des Goldes

Eine zumindest geringe Chance für die Ermittlungen bietet die Legierung des Goldes. Denn der spezifische Goldanteil der Münzen bildet quasi einen Fingerabdruck des Schatzes. Es gibt in Gold immer Beimischungen, vor allem sogenannte Platinbegleitmetalle. Sie geben Hinweise auf die Herkunft des Goldes – im Manchinger Fall kommen die Münzen aus Böhmen, „wahrscheinlich aus Zentralböhmen; aber ein Teil des Goldes kommt vielleicht auch dem östlichen Mittelmeerraum“.

Dazu muss man wissen, dass die Kelten zu der Zeit, als der Schatz vergraben worden war, große Teile Europas besiedelten. Und Manching war eine von wenigen keltischen Metropolen. In dem sogenannten Oppidum – einem von einer Verteidigungsmauer umgebenen Stadtanlage – lebten 5000 bis 10.000 Einwohner. Der Ort lag zentral im damaligen keltischen Siedlungsraum, der vom heutigen Großbritannien bis ans westliche Schwarze Meer reichte und der sich politisch, wirtschaftlich und kulturell erstaunlich einheitlich gestaltete.

Keltisches Goldbäumchen gefunden in Manching worden. Vermutlich diente die Skulptur aus Holz und Blattgold kultischen und rituellen Zwecken.
Keltisches Goldbäumchen gefunden in Manching worden. Vermutlich diente die Skulptur aus Holz und Blattgold kultischen und rituellen Zwecken. © Stefanie Friedrich/Archäologische Staatssammlung | Stefanie Friedrich/Archäologische Staatssammlung

Kontakte bis nach Griechenland und Kleinasien

„Es hat sich ab dem 4. Jahrhundert eine Einheitskultur über ganz Europa und Mitteleuropa entwickelt“, sagt der Rupert Gebhard, Professor für Vor- und Frühgeschichte und Leitender Direktor von der Archäologischen Staatssammlung in München. „Das zeigt sich eben auch beispielsweise darin, dass es zum Bezahlen ein einheitliches Geldsystem in der keltischen Welt gab.“ Es gab Kontakte bis in den griechisch-hellenistischen sowie kleinasiatischen Raum.

Keltische Söldner, Krieger und Händler brachten von dort Gold mit nach Mitteleuropa, das zum Beispiel in Böhmen unter Umständen zusammen mit Gold aus den regionalen Flüssen oder Bergen in Münzen geprägt wurde.

Geldsystem: Goldmünzen waren überall gleich schwer

Die keltischen Münzen waren nicht alle gleich, aber alle erfüllten bestimmte Voraussetzungen. „Die Goldmünzen waren die größten Münzen in diesem Geldsystem“, so Gebhard. „Sie waren überall gleich schwer.“

Lässt sich dieses Wissen über den Goldgehalt und die Legierung denn auch in der Arbeit der Kriminologen anwenden? Gebhard sagt, es gebe „zumindest eine theoretische“ Möglichkeit. „Natürlich gibt es identische Münzen, die aus der gleichen Quelle in Böhmen stammen. Die müsste man analysieren, und dann kann man sie schon vergleichen“, sagt Gebhard. Mehr zum Thema: Hygiene bei den Kelten – Volksstämme waren reinlicher als gedacht

Das würde vielleicht sogar funktionieren, wenn das Gold eingeschmolzen worden wäre. Schwierig sei es jedoch, wenn die Diebe dem eingeschmolzenen Metall weitere Zusätze beimischen würden. „In dem Moment, in dem das Ganze umgeschmolzen ist, kriegen Sie im Endeffekt eine neue Gesamtlegierung und können nicht mehr kriminalistisch auf das Gold schließen.“

Frontalansicht eines Pferdekopfes aus Eisenblechen gefunden ebenfalls in Manching. Die Forscher gehen davon aus, dass auch diese Figur kultischen Zwecken diente. Es sei ein einmaliger Fund ohne vergleichbare Objekte, was die Bedeutung der Skulptur herausstellt.
Frontalansicht eines Pferdekopfes aus Eisenblechen gefunden ebenfalls in Manching. Die Forscher gehen davon aus, dass auch diese Figur kultischen Zwecken diente. Es sei ein einmaliger Fund ohne vergleichbare Objekte, was die Bedeutung der Skulptur herausstellt. © Stefanie Friedrich/Archäologische Staatssammlung | Stefanie Friedrich/Archäologische Staatssammlung

Das Forschungspotenzial war groß

Eine andere Möglichkeit wäre, die Anteile der Bleiisotopen in den Münzen zu bestimmen – mit der sogenannten Bleiisotopenanalyse. Auch bei dieser Methode können Aussagen zur Herkunft des Goldes gewonnen werden. Eine solche Analyse wurde schon an einzelnen, keltischen Münzen verschiedenster Herkunft durchgeführt, jedoch leider noch nicht am Manchinger Keltenschatz. Weiteres zum Thema: Ältestes Schwert der Welt in Japan überraschend entdeckt

„In dieser Richtung hätte großes Forschungspotenzial bestanden“, sagt der Numismatiker Ziegaus. Aber seit er 2003 seine Untersuchungen an dem Münzschatz abgeschlossen hatte, stand der Schatz für solche Untersuchungen als kompletter Fund nicht zur Verfügung.

Goldmünzen des Keltenschatzes von Manching.
Goldmünzen des Keltenschatzes von Manching. © Archäologische Staatssammlung | Archäologische Staatssammlung

Ziegaus: „Forschung ist ja etwas, was weitergeht“

Damals gab es viele Methoden noch nicht, mit denen Ziegaus heute hätte arbeiten können. Ein weiteres Beispiel ist eine – wie der Forscher es nennt – „Reihenuntersuchung mit einem Elektronenmikroskop oder anderen optischen Möglichkeiten“. Auch sie habe nicht stattgefunden. Unter den damaligen technischen Voraussetzungen war sie noch zu langwierig und zu teuer.

„Man muss immer abwägen und fragen, kann sich das Museum eine solche Spezialuntersuchung erlauben? Oder belässt man es exemplarisch bei einigen Stücken und spart sich die langen Reihenuntersuchungen für nächste Schritte auf?“

Solange der Schatz nicht wieder auftaucht, wird es diese nächsten Schritte nicht geben. Der Manchinger Schatz sei „der bisher einzige erhaltene keltische Goldmünzfund gewesen, den man in dieser Größenordnung für weitere Untersuchungen zur Verfügung hätte stellen können“, sagt Ziegaus. „Forschung ist ja etwas, was weitergeht, das hört ja nicht an einem Punkt auf, vor allem, wenn man an die neuen Möglichkeiten des Einsatzes von KI denkt“, sagt er.

Der Verlust der Münzen sei deshalb riesengroß – nicht nur für ihn, sondern für alle anderen und künftigen Numismatiker. Die Suche nach dem Schatz geht weiter.