Berlin. Das Nabelschnurblut enthält anpassungsfähige Stammzellen, die Eltern spenden oder einlagern lassen können. Doch wie sinnvoll ist das?

Sie ist das erste Band zwischen Mutter und ihrem Kind: die Nabelschnur. Über sie wird das Ungeborene an die Plazenta angedockt und ununterbrochen mit Sauerstoff und allen wichtigen Nährstoffen versorgt, die das Baby für eine gesunde Entwicklung benötigt. Nach der Geburt wird die Nabelschnur abgeklemmt und mit einer Schere durchtrennt. Somit wird das Gewebe, das über Monate so eine wichtige Arbeit geleistet hat, zu einem Abfallprodukt.

„Dabei ist es viel zu schade, die Nabelschnur einfach zu entsorgen“, sagt Joannis Mytilineos, medizinischer Geschäftsführer des Zen­tralen Knochenmarkspender-Registers Deutschland (ZKRD). Denn die Nabelschnur, genauer gesagt das Blut darin, enthält wertvolle Stammzellen, ähnlich denen, die auch im Knochenmark vorkommen.

Zusätzlich sind die Stammzellen in der Nabelschnur jung und unbelastet, sie sind also besonders anpassungsfähig“, erklärt Mytilineos. Nabelschnurblut kann also unter bestimmten Voraussetzungen auch dann mit sehr gutem Erfolg transplantiert werden, wenn es nicht einhundertprozentig zum Empfänger passen sollte, dies erweitert den Kreis der transplantationsfähigen Patienten erheblich. Zudem würden junge Stammzellen nach heutiger Erkenntnis weniger stark den Körper des Empfängers attackieren.

Laut der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS) können Stammzellen aus Nabelschnurblut bereits bei über 80 Erkrankungen erfolgreich eingesetzt werden. Am häufigsten werden Nabelschnurpräparate derzeit für die Therapie von Blutkrankheiten wie Leukämie sowie von Stoffwechsel- und genetischen Erkrankungen eingesetzt, denn diese sind in der Lage, die Blutbildung und das Immunsystem eines Patienten zu erneuern. Manche Forscher glauben sogar, in Zukunft mit ihrer Hilfe Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson heilen zu können. „Das ist aber noch sehr spekulativ“, sagt Mytilineos.

Entnahme des Nabelschnurblutes ist schmerzlos und risikofrei

Zu den weiteren Vorteilen der Stammzellen aus dem Nabelschnurblut zählt die schnelle Verfügbarkeit gegenüber der weit aufwendigeren Transplantation von Stammzellen erwachsener Spender „Auch die unkomplizierte Entnahme des Nabelschnurblutes ist positiv zu bewerten“, erläutert Mytilineos. Sofern die Mutter volljährig ist und die Schwangerschaft ohne Komplikationen verlief, kann nach der Geburt das Blut aus der Nabelschnur entnommen werden. „Dies geschieht nach dem Abnabeln des Babys, ist somit risikofrei und schmerzlos“, sagt Mytilineos. Ob das Kind vaginal oder via Kaiserschnitt entbunden wurde, spielt hierbei keine Rolle.

Insgesamt kommen heute aber nur bei etwa drei bis vier von 100 Stammzell-Transplantationen Zellen aus Nabelschnurblut zum Einsatz. Ein großer Nachteil verhindert noch eine breitere Anwendung in der Medizin. „Das Nabelschnurtransplantat kommt von Neugeborenen, da ist natürlich nicht so viel Blut drin und somit auch nicht so viele Stammzellen.

Für einen erwachsenen Menschen ist das grenzwertig“, erklärt Mytilineos. Das reiche zwar oft für die Behandlung von kranken Kindern, aber für Teenager oder Erwachsene ist es in der Regel zu wenig. Diese brauchen meist noch eine zusätzliche Spende. „Trotzdem ist es sinnvoll eine Entnahme des Nabelschnurbluts in Erwägung zu ziehen“, ist sich Mytilineos sicher.

Nabelschnurblut wird in Stickstofftanks unterhalb von -150 Grad gelagert

Laut DKMS werden aus der Nabelschnur zwischen 60 und 200 Milliliter Blut entnommen und in einem sterilen Beutel gesammelt. Ein Kurier bringt es anschließend in eine Blutbank. Die Mitarbeiter überprüfen, ob die Probe alle Qualitätskriterien erfüllt. Erst dann werden die Stammzellen isoliert und in Stickstofftanks unterhalb von -150 Grad gelagert.

Eltern, die Nabelschnurblut entnehmen lassen möchten, stehen heutzutage zwei Möglichkeiten zur Verfügung. Das Blut kann man kostenlos einer öffentlichen Blutbank spenden, wie etwa die von DKMS. Das gespendete Blut wird dort anonym in einem öffentlichen Register gelistet. „Die entnommenen Stammzellen können dazu eingesetzt werden, Kranken zu helfen“, erläutert Mytilineos. Man müsste jedoch bedenken, dass die Möglichkeit, das Nabelschnurblut für eine öffentliche Stammzellbank zu spenden, längst nicht in allen Entbindungskliniken besteht, vor allem aufgrund der strengen arzneimittelrechtlichen Auflagen.

Die Eltern können sich auch dafür entscheiden, das Nabelschnurblut von einer privaten Blutbank einlagern zu lassen – als mögliche Vorsorge für das eigene Kind. Dabei kostet die sogenannte Kryokonservierung (Einfrieren des Nabelschnurblutes in flüssigem Stickstoff) für die Dauer von bis zu 20 Jahren je nach Anbieter zwischen 1500 und 4000 Euro. Die Kosten müssen Eltern selbst tragen, denn es gibt keine Übernahme oder Zuschüsse von den Krankenkassen.

Ein Geschäft mit der Sorge der Eltern?

Private Anbieter werben dabei offensiv und versprechen durch die Einlagerung eine Art „biologische Lebensversicherung“, die die Tür zu einer Vielzahl an Therapiemöglichkeiten öffnen soll. Doch die Ansichten von kommerziellen Anbietern und Medizinern liegen hier oft weit auseinander. „Es wird durchaus auch ein Geschäft mit der Sorge der Eltern betrieben, etwas zu versäumen oder etwas nicht zu tun, was sie vielleicht später bereuen können“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Henrich, Direktor der Klinik für Geburtsmedizin an der Charité.

Dabei sei es derzeit noch sehr unwahrscheinlich, dass das eigene Kind im Falle einer Erkrankung tatsächlich von seinem eigenen Nabelschnurblut profitieren kann. „Die Therapie mit eigenen Nabelschnurblutstammzellen bietet zum jetzigen Stand der Forschung wohl keinen wesentlichen Vorteil gegenüber der Therapie mit fremdgerichtetem Nabelschnurblut“, erklärt Dr. Henrich.

Bei den meisten Krankheiten, die man derzeit mit Nabelschnurblut behandeln kann, werden allogene – also fremde – Präparate eingesetzt. Keine eigenen Stammzellen. Eigene Zellen seien nämlich in vielen Fällen nur sehr eingeschränkt für eine Therapie geeignet, weil sie unter Umständen Spuren einer Krankheit bereits in sich tragen. Außerdem seien bei einer Krebsbehandlung fremde Stammzellen sogar besser geeignet, da auch das fremde Immunsystem an der Bekämpfung der Krankheit beteiligt ist.

Viel Potenzial auf dem Gebiet der Stammzellenforschung

„Wenn man in die zitierte Fachliteratur schaut, findet man zwar immer wieder vereinzelte Fall-Berichte, die vielversprechend waren. Doch es fehlen eindeutig große klinische Studien, die den Nutzen von eigenem Nabelschnurblut belegen“, erläutert der Geburtsmediziner. Medizinische Fachgremien wie etwa die Internationale Gesellschaft für Stammzellforschung sehen eine Wahrscheinlichkeit geringer als eins zu 20.000, die eigenen Stammzellen zu benötigen. „Den Eltern, die sich für eine private Einlagerung entscheiden, muss klar sein, dass der eigene Gebrauch des Nabelschnurblutes sehr unwahrscheinlich ist und man sich die Gesundheit in der Zukunft damit nicht sichern kann. So weit ist die Forschung noch nicht“, sagt Dr. Henrich.

Trotz dieser Bedenken weist Dr. Henrich darauf hin, dass es auf dem Gebiet der Stammzellforschung noch sehr viel Potenzial gibt. „Man kann nie ausschließen, wie rasant sich die Forschung entwickelt. Auf lange Sicht könnten sich hier viele neue Möglichkeiten eröffnen. Man hätte vor 20 Jahren ja auch nicht gedacht, dass man per Facetime nach Chicago telefonieren kann“, gibt der Mediziner zu bedenken.

Ob die Eltern das Nabelschnurblut nun spenden oder privat einlagern, sei ihnen überlassen. „Schade nur, wenn das wertvolle Blut ganz verloren geht“, sagt Joannis Mytilineos von ZKRD.