Berlin. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat ihre ideologischen Scheuklappen abgelegt. Sie muss an ihren Taten gemessen werden.

Es gilt die alte Weisheit: Wahlkampf ist Wahlkampf. In den Mühen der politischen Ebene müssen Regierungschefs und -chefinnen durch die Mühlen des Pragmatismus. Das trifft auch auf die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zu, die an diesem Freitag Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin besucht.

Ja, es stimmt. Meloni ist Vorsitzende einer ultrarechten Partei, die man kritisch unter die Lupe nehmen muss. Die Fratelli d’Italia verfolgen einen strammen Migrationskurs. Das Verhältnis zur faschistischen Vergangenheit Italiens unter Diktator Benito Mussolini ist nicht geklärt. Und: Die 46-Jährige hat mit „Italien-zuerst“-Slogans die Wahl gewonnen, die wie ein Abziehbild des Amerika-Nationalismus unter Donald Trump wirkten.

Michael Backfisch, Politik-Korrespondent
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent © Reto Klar | Reto Klar

Meloni hat sich gegen die Putin-Freunde Berlusconi und Salvini durchgesetzt

Doch nun ist Meloni in Amt und Würden. Sie muss an ihren Taten gemessen werden. Für die Italienerin spricht, dass sie nicht auf der prorussischen Propaganda-Spur fährt, wie dies viele Rechtspopulisten in Europa tun. Italien trägt die Sanktionen gegen Russland mit und liefert Waffen an die Ukraine. Die Ministerpräsidentin hat sich gegen ihre Koalitionspartner – die Putin-Freunde Silvio Berlusconi und Matteo Salvini – durchgesetzt. Die Geschlossenheit des Westens ist ein wichtiges strategisches Pfund im Ukraine-Krieg.

Auch hat Meloni bislang nicht mit einer exzessiven Schuldenpolitik über die Stränge geschlagen. Dabei ist sie klug genug, sich in Brüssel keine Feinde zu machen. Sie benötigt die fast 200 Milliarden Euro aus dem europäischen Corona-Wiederaufbaufonds. Der Kanzler wird dies in kühler Abwägung zu schätzen wissen: In der aufgeheizten Geopolitik der „Zeitenwende“ braucht man Partner. Meloni hat eine Chance verdient.

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