Peking. Neujahr in China ist Hauptreisezeit. Es droht zum Superspreader-Event zu werden. Das Ausmaß der Katastrophe soll niemand erfahren.

Seit Tagen bereits sind die Bahnhöfe und Flughäfen in Chinas Metropolen wieder gefüllt. Täglich machen sich Millionen Chinesen auf den Weg, um die Verwandtschaft in ihren Heimatorten zu besuchen. Denn Samstagnacht möchten sie gemeinsam das „Jahr des Hasen“ begrüßen.

Für viele Familien ist es das erste Wiedersehen seit drei Jahren, nachdem die letzten Neujahrsfeste aufgrund der rigiden Reisebestimmungen ins Wasser gefallen sind. Für 2023 werden während der 40-tägigen Saison immerhin bis zu zwei Milliarden Einzeltrips erwartet.

Doch auch wenn die Wahrsager des Landes ein „Jahr der Harmonie“ erwarten, stehen die nächsten Wochen vor allem im Schatten von Corona. Denn nachdem in den großen Städte während der letzten Wochen eine beispiellose Infektionswelle mit mehreren hundert Millionen Ansteckungen gewütet hat, befürchten die Behörden nun eine ungleich schwerwiegendere Belastungsprobe in den Hinterlandprovinzen.

Corona in China: Auf dem Land ist das Versorgungslage prekär

Die regionalen Unterschiede im Gesundheitssystem sind in der Volksrepublik eklatant: In Peking und Shanghai erreichen die Kliniken zwar das Niveau von Industrienationen, doch in den wirtschaftlich rückständigen Gebieten ist die Versorgungslage prekär.

Oftmals fehlt es in den Dorfkliniken an ausgebildetem Personal und grundlegenden Medikamenten, die nächstgelegenen Intensivbetten liegen meist mehrere Autostunden entfernt. Für viele unterprivilegierte Senioren ist ein Krankenhausaufenthalt ohnehin ein abstrakter Luxus, da sie die Rechnungen mit ihrer mageren Rente nicht bezahlen können.

Dichtes Gedränge am Bahnhof von Schanghai: Das chinesische Neujahrsfest ist Hauptreisezeit und könnte zum Superspreader-Event werden.
Dichtes Gedränge am Bahnhof von Schanghai: Das chinesische Neujahrsfest ist Hauptreisezeit und könnte zum Superspreader-Event werden. © AFP | HECTOR RETAMAL

Auch Staatschef Xi Jinping zeigt sich besorgt. Am Mittwochabend hat er sich erstmals über die Corona-Situation geäußert: „Ich mache mir am meisten Sorgen um die ländlichen Gebiete und die Bauern. Die medizinischen Einrichtungen sind in ländlichen Gebieten relativ schwach“.

Corona: Experten rechnen mit 36.000 Toten am Tag

Gleichzeitig verhindert die Regierung mit beispielloser Intransparenz, dass die Bevölkerung die Corona-Lage vor Ort realistisch einschätzen kann. Nachdem die täglichen Corona-Zahlen zunächst höchst unzuverlässig und dann vollständig eingestellt wurden, berichteten die Behörden jüngst von rund 60.000 Covid-Toten seit den Öffnungen Anfang Dezember. Dabei handelt es sich jedoch weiterhin um ganz offensichtlich geschönte Daten.

Lesen Sie auch: In diesen Ländern ist der Corona-Impfnachweis noch Pflicht

Akkurater dürften die derzeitigen Modellrechnungen ausländischer Datenanalysten sein. Das Londoner Unternehmen „Airfinity“ hat prognostiziert, dass rund 600.000 Personen in den letzten anderthalb Monaten an dem Virus gestorben sein dürften – das Zehnfache der offiziellen Zahlen. Gegen Ende des Monats dürfte die Omikron-Welle in der Volksrepublik demnach seinen Höhepunkt erreicht haben – mit etwa 36.000 Toten am Tag.

Chinas Zensurbehörde kündigt Kampagne an

Solche Prognosen widersprechen auf drastische Weise dem Propaganda-Narrativ der Regierung. Diese hat stets behauptet, die Volksrepublik China habe die Pandemie weltweit als einziger Staat erfolgreich gemeistert hat.

Wie tragisch die Situation in den Provinzen ausschaut, lässt sich nur durch vereinzelte Berichte erfassen. Denn die Zensurbehörden haben eine einmonatige Kampagne zum Neujahrsfest angekündigt, während der man besonders fokussiert gegen „Gerüchte“ und „düstere“ Postings auf den sozialen Medien vorgehen wird. Dementsprechend ist das Leid der Patienten in den Notaufnahmen kein Thema.

Auch Interessant: Schrumpfender Riese: Warum China in Schwierigkeiten gerät