Washington. In den USA kehren Männer im besten Erwerbsalter dem Arbeitsmarkt den Rücken und verschärfen den Fachkräftemangel. Was treibt sie an?

Spätestens seitdem der kurze, aber tiefe Konjunktureinbruch als Folge der Corona-Pandemie überwunden war, zerbrechen sich Ökonomen, Soziologen und andere Wissenschaftler den Kopf über die Gründe für die krasse Schräglage am US-Arbeitsmarkt: Mehr als zehn Millionen Jobs sind in der amerikanischen Wirtschaft unbesetzt, und es mangelt schlichtweg an der notwendigen Zahl von Erwerbsfähigen, um die Positionen zu besetzen.

Eine Studie der Federal Reserve Bank von Boston könnte eine Erklärung für das Missverhältnis geliefert haben: Immer mehr Männer in den „besten Jahren“ wollen nicht mehr arbeiten. Was sind ihre Beweggründe?

USA: Viele Männer kehren dem Arbeitsmarkt den Rücken

Die Arbeitslosenquote in den USA rutschte im Dezember von 3,6 auf 3,5 Prozent, womit aus der Sicht der Notenbank statistische Vollbeschäftigung erreicht ist. Anders sieht es aber aus, wenn man auf Männer im Alter zwischen 25 und 54 Jahren blickt. Sieben Millionen von ihnen haben dem Arbeitsmarkt den Rücken gekehrt.

Rick A. aus Great Falls im US-Staat Virginia sagt, dass er es schon immer genossen habe, ein „stay-at-home-dad“, also ein „zuhause bleibender Vater“, zu sein. Also fährt er die Kinder morgens zur Schule, holt sie nachmittags ab, bereitet deren Mittagessen vor und fährt dann entweder zum Fußballtraining, zum Reitunterricht oder den Baseball-Spielen der drei Kinder.

Für den ausgebildeten Gymnasiallehrer, der mit 38 Jahren den Job an den Nagel gehängt hat, ist das leicht. Schließlich sitzt Ehefrau Allison im Vorstand eines IT-Unternehmens und verdient ein siebenstelliges Jahresgehalt.Lesen Sie hier: Hakeem Jeffries – Tritt dieser Mann in Obamas Fußstapfen?

In 40 Prozent der US-Haushalten ist die Frau der Hauptverdiener

Im Wandel der herkömmlichen Rollenverteilung zwischen Ehepartnern sehen Experten einen der Gründe für das Fehlen von Männern im erwerbsfähigen Alter. Zwar verdienen nur wenige Haushalte so viel wie Allison das im Alleingang tut. Aber der Anteil der US-Haushalte, in denen die Frau der Hauptverdiener ist, liegt mittlerweile bei 40 Prozent und wird Prognosen zufolge in den kommenden Jahren weiter steigen.

In den USA nimmt die Zahl der nicht arbeitenden Männer zu.
In den USA nimmt die Zahl der nicht arbeitenden Männer zu. © AFP | Megan Jelinger

Es gibt aber auch andere Gründe dafür, dass die Quote der nicht arbeitenden Männer zwischen Mitte zwanzig und Mitte fünfzig bei etwa 11 Prozent liegt, also mehr als dem Dreifachen der Arbeitslosenquote.

Einige Kritiker, insbesondere republikanische Politiker schimpfen, dass Präsident Joe Biden während der Pandemie, als diese schon längst am Abklingen war, viel zu lange an großzügigen Staatshilfen für Arbeitslose festgehalten habe. „Der Mensch ist nun Mal ein Gewohnheitstier, und wenn er sich daran gewöhnt, nicht mehr arbeiten zu müssen, dann wird das so bleiben“ kritisierte der Republikaner Kevin Brady, der seine Karriere im Repräsentantenhaus nach 22 Jahren beendet hat, die Zuschüsse aus Washington.

Während der Corona-Pandemie wurde viel gespart

Da die erweiterte Arbeitslosenhilfe aber mittlerweile der Vergangenheit angehört, lässt sich mit dem republikanischen Argument nicht erklären, warum Millionen von Männern, die keinen anderen Verdiener im Haushalt haben, dem Jobmarkt fernbleiben.

Einige Ökonomen glauben, dass viele während der Pandemie immense Summen auf die hohe Kante gelegt haben, als nämlich der Staat großzügig Schecks verteilte und während der Lockdowns die Möglichkeiten, das Geld auch auszugeben, begrenzt waren. Das wiederum würde bedeuten, dass sobald die Ersparnisse aufgebraucht sind, die Mittzwanziger bis Mittfünfziger sich wieder auf Stellensuche begeben werden. Auch interessant: Wie Donald Trump die Republikaner ins Chaos gestürzt hat

Statusverlust von Männern ohne Studienabschluss

Ganz andere Beweggründe hingegen vermutet Pinghui Wu, eine Ökonomin bei dem Fed-Ableger in Boston. Sie spricht von dem Statusverlust bei Männern, die keinen Studienabschluss haben und denen folglich die Motivation fehlt. So sind seit 1980 die Bezüge von nicht-Akademikern in Relation zu allen Einkommen in der Altersklasse um 30 Prozent gesunken.

Laut Wu führt das in der Wahrnehmung der Betroffenen zu einem Verlust von Ansehen und Respekt, der demotivierend wirkt. Das wiederum, so eine Studie der Icahn School of Medicine, gehe unmittelbar mit Depressionen, der steigenden Zahl von Selbstmorden und Drogenmissbrauch einher.

Der sinnvollste Ansatz, so das Institut: Therapie zum festen Bestandteil der Berufsausbildung und -fortbildung zu machen und somit Anreize für den Wiedereinstieg in den Jobmarkt zu schaffen. Das wiederum würde den Weg bereiten für eine Schließung der Lücke zwischen Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt.