Lützerath. In Lützerath hat die Polizei mit der Räumung begonnen. Klimaaktivisten wehren sich mit passivem Widerstand. Unser Reporter ist vor Ort.

Es ist zwanzig nach sieben, als eine Frau in der Dunkelheit des Mittwochmorgens durch den Morast stapft, in den der Regen den Boden im Lager der Klimaaktivisten verwandelt hat. „Mittlerer Alarm, die Cops werden versuchen, von allen Seiten in das Camp einzudringen“, ruft sie durch ein Megafon. Es ist der Weckruf für die Demonstranten, die die Räumung des Weilers verhindern wollen.

Eine gute Stunde später ist „Großer Alarm“: Polizisten stürmen auf den Erdwall, der zwischen der gewaltigen Grube des Tagebaus Garzweiler und dem Ortseingang liegt, drängen die Aktivisten darauf herunter und dringen in die Siedlung ein. Die Räumung Lützeraths hat begonnen. Mehr zum Thema: Bange Stunden in Lützerath – Kommt es zur Eskalation?

Lützerath, eine kleine Siedlung im Rheinischen Braunkohlerevier südlich von Mönchengladbach. Es ist der letzte Ort, der für die Braunkohle abgebaggert werden soll, die hier seit hundert Jahren aus dem Boden geholt wird. Sieben Gebäude, zwei Straßen, von den ursprünglichen Einwohnern verlassen. Seit gut zwei Jahren haben sich hier Klimaaktivisten niedergelassen, die leerstehenden Häuser besetzt und Baumhäuser in schwindelerregenden Höhen gebaut. Jahrelang wird juristisch und politisch über die Zukunft des Weilers gestritten.

Showdown in Lützerath: Klimaaktivisten gegen Polizei-Hundertschaften

Im Oktober einigen sich die nordrhein-westfälische Landesregierung, der Bund und der Energiekonzern RWE: Der Kohleausstieg wird auf 2030 vorgezogen, Lützerath aber soll zerstört werden. Die Polizei zieht Hundertschaften aus allen Bundesländern zusammen, fährt schweres Gerät wie Bagger und Wasserwerfer auf, baut eine Straße aus dem Tagebau Richtung Dorf, sperrt es weiträumig ab. Es ist der größte Polizeieinsatz in Nordrhein-Westfalen nach der später für rechtswidrig erklärten Räumung des Hambacher Forstes im Jahr 2018. Der kleine Wald sollte auch der Kohle zum Opfer fallen, blieb aber nach einer Gerichtsentscheidung stehen. Auch interessant: Kohleausstieg – Die Grünen und das Lützerath-Dilemma

Die Besetzer des Ortes halten die Entscheidung, Lützerath abzubaggern, für klimapolitisch falsch. „Unter dem Dorf liegen Unmengen Kohle. Die Klimakrise eskaliert schon jetzt, Menschen sterben durch diese Krise. Wir leben hier auf der Kohle, um zu verhindern, dass sie verbrannt wird“, sagt Mara, eine Sprecherin der Aktivisten, die für den Klimaschutz kämpfen. Viele, die in Lützerath sind, wollen gewaltfreien Widerstand leisten. Nicht alle bleiben friedlich. Bereits am Sonntag vor der Räumung gab es vereinzelte Auseinandersetzungen mit der Polizei. An diesem Tag kommen Tausende Unterstützer in den Weiler.

Klimaaktivisten und Polizei kommen sich bei strömendem Regen nahe.
Klimaaktivisten und Polizei kommen sich bei strömendem Regen nahe. © FUNKE Foto Services | Andre Hirtz

Demonstranten in Lützerath: Sozialer Ungehorsam für Klimagerechtigkeit

Am Mittwochmorgen sitzen Aktivisten auf dem Erdwall vor dem Ortseingang, vor ihnen Polizisten mit Schilden Am Mittwochmorgen sollen es noch gut 500 Demonstranten in Lützerath sein. Aktivisten sitzen im Regen auf dem Erdwall vor dem Ortseingang, vor ihnen Polizisten mit Schilden und Helmen, dahinter sind vor der Grube des Tagsbaus Lichtmasten aufgebaut, die die Szenerie grell ausleuchten. „Megafon-Check“, ruft einer, die anderen wiederholen es. „Wir brauchen noch mehr Menschen am Wall“, ruft der erste, die anderen geben es weiter. Es ist ihre Art, Informationen weiterzugeben. Andere Demonstranten sind mit Funkgeräten ausgestattet.

Hinter dem Erdwall haben Aktivisten von „Die Kirche im Dorf lassen“ einen Unterstand aufgebaut. „Wir sind für die Bewahrung der Schöpfung und für ein gutes Leben für alle. Man kann es auf das Kürzel bringen: für Klimagerechtigkeit“, sagt Negen Jansen, eine Mittsiebzigerin. Sie sagt, sie stünde auch aus Solidarität mit den vielen jungen Menschen hier. „In den vergangenen Tagen haben wir immer wieder deeskalierend wirken können. Mal schauen, was heute passiert.“ Lesen Sie auch: Lützerath: Räumung läuft – Molotow-Cocktails fliegen

Lützerath: Barrikaden, Sitzblockaden, Baumhäuser, Beethoven

Kurze Zeit später durchbricht die Polizei die Sitzblockaden. Die Beamten gehen robust vor, stoßen Menschen von dem glitschigen Erdwall, setzen vereinzelt Knüppel ein. „Wir sind friedlich, was seid ihr“, rufen die Aktivisten. Dann fliegen Steine und Flaschen. „Hört auf“, rufen einige Demonstranten, und: „Keine Gewalt“. Der Bewurf stoppt. Die Polizei dringt in den Ort ein, verteilt sich auf dem weitläufigen Areal, sichern die Zuwegung ab. Die Lage ist unübersichtlich. Eine Drohne steht surrend über Lützerath, um die Lage zu beobachten.

Die Hausbesetzer in Lützerath zeigen nicht nur fürs Klima Flagge.
Die Hausbesetzer in Lützerath zeigen nicht nur fürs Klima Flagge. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Die Besetzer ziehen sich in die Häuser zurück, klettern in die Bäume, hängen sich in Tripods, aus drei Baumstämmen errichteten Konstruktionen. Sie wollen es der Polizei so schwer wie möglich machen, sie zu räumen. In den vergangenen Wochen haben sie Gruben gegraben, Barrikaden errichtet. Vor dem Hof des Landwirts Eckhard Heukamp, der den Ort Ende vergangenen Jahres als letzter Einwohner verlassen hat, haben sie eine Mauer aus Containern errichtet. Auf der Mauer sitzen Aktivisten, viele in Schwarz, alle maskiert. Wieder fliegen Gegenstände. „Nichts werfen, das ist eine friedliche Blockade“, ruft einer. Aus einem Lautsprecher schallt Beethoven: „Für Elise.“

Nicht immer ist der Widerstand in Lützerath friedlich

Einige Meter weiter fliegen an einer Barrikade zwei Brandflaschen, Flammen lodern auf. Böller explodieren auf dem Gelände. Kurze Zeit später beruhigt sich die Lage. Immer wieder rufen Demonstranten Parolen. Manche sind alt: „Hoch die Internationale Solidarität“, andere sind neu: „Polizei, NRW, Schlägertrupp von RWE“ oder „Überall Polizei, nirgendwo Gerechtigkeit“. Am häufigsten rufen sie: „Lützi bleibt!“

Einige Aktivisten diskutieren mit den Polizisten: „Ihr glaubt vielleicht, ihr macht das richtige, macht ihr aber nicht, wir stehen ja auch hier für euch und eure Kinder“, sagt einer zu dem Beamten vor ihm. Der schaut ihn regungslos an. Andere Demonstranten beschimpfen die Polizisten, werfen ihnen vor, kein Rückgrat zu haben, sich zu Erfüllungsgehilfen von RWE zu machen. Einige Beamte lassen sich auf Gespräche ein, versuchen zu erklären, dass sie allein geltendes Recht durchsetzen würden.

Dieser Klimaaktivist demonstriert beim passiven Widerstand Schwindelfreiheit.
Dieser Klimaaktivist demonstriert beim passiven Widerstand Schwindelfreiheit. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

In den Stunden darauf räumt die Polizei einzelne Barrikaden ab, es sind Höhenretter im Einsatz, die Menschen aus den Tripods holen. Die Beamten führen Demonstranten ab, einige tragen sie. „Du bist nicht allein“ rufen diejenigen, die zurückbleiben. Die Abgeführten sind illegal hier, Lützerath ist Privatbesitz von RWE. Manche verlassen das Gelände freiwillig, ihnen drohen keine Verfahren. Bagger reißen im Auftrag von RWE einige der Barrikaden nieder, der firmeneigene Werkschutz stellt sich schützend vor sie. Ein Bagger bleibt im Schlamm stecken und muss herausgezogen werden, was für hämisches Gelächter unter den Demonstranten sorgt.

Weitere gewaltsame Zwischenfälle seitens der Demonstranten bleiben zunächst aus. Ein Polizeisprecher spricht gegen 15 Uhr vom einem „weitgehend friedlichen Verlauf“ der Räumaktion. Er sagt auch: Es müsse „lobend erwähnt“ werden, dass Aktivisten deeskalierend auf Gewaltbereite eingewirkt hätten.

Demonstrantin in Lützerath: "Es fühlt sich an, als ob wir Verbrecher wären"

Vor einer der Hütten steht eine junge Frau, sie spielt auf einer Gitarre und singt. Sie nennt sich Pustekuchen und ist seit zwei Tagen in Lützerath. Sie sagt, sie sei vor zwei Tagen von der Polizei ins Gesicht geschlagen worden. „Es ist ein beängstigendes Gefühl“, sagt sie, „es fühlt sich an, als ob wir Verbrecher wären, obwohl wir aus einem guten Grund hier sind.“

Wie lange der Einsatz in Lützerath noch dauern wird, ist unklar. Viele der Strukturen sind immer noch besetzt, in den Häusern haben sich Menschen verschanzt. Manche sollen sich festgeklebt oder angekettet haben. Zahlen über Verletzte oder festgenommene Demonstranten liegen noch nicht vor.