Berlin. Die Türkei hat ein Kopfgeld auf Can Dündars Ergreifung ausgesetzt. Doch der Journalist will sich nicht zum Schweigen bringen lassen.

Die Türkei macht Jagd auf Can Dündar. Der Journalist lebt seit 2016 im deutschen Exil. Er wurde in der Türkei wegen angeblicher Spionage und Terrorunterstützung zu mehr als 27 Jahren Haft verurteilt. Dündar war Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“, die Berichte über mutmaßliche Waffenlieferungen der türkischen Regierung an syrische Islamisten verfasst hat. Jetzt hat ihn das türkische Innenministerium auf die Terror-Liste gesetzt. Für Hinweise, die zu seiner Ergreifung führen, gibt es ein Kopfgeld von bis zu 500.000 türkischen Lira – das sind aktuell etwa 25.000 Euro.

Herr Dündar, fühlen Sie sich in Berlin noch sicher?

Can Dündar: Ich fürchte, es gibt keinen „sicheren Ort“ für die Gegner von Erdogan, denn sein Rachefeldzug hat keine Grenzen. Diese Fahndung nach Art des „Wilden Westens“ ist seine Methode, um Andersdenkende im Ausland einzuschüchtern. Aber zum Glück gibt es auch in Berlin lebende Demokraten; wir schützen uns solidarisch. Lesen Sie auch: Gericht verhängt Politikverbot für Erdogan-Rivalen Imamoglu

Was bedeutet das für Sie und Ihre Familie?

Dündar: Das bedeutet neue Unruhen, mehr Bedrohungen und zusätzliche Einschränkungen. Aber meine Familie und ich haben uns daran gewöhnt, mit ihnen zu leben. Das ist der Preis, wenn man einen Autokraten herausfordert.

Hat sich Ihr Leben verändert? Haben Sie Angst?

Dündar: Das ist es, was die türkische Regierung will: unser Leben einschränken, uns Angst machen, uns zum Schweigen bringen. Ich mache Lesungen, Vorträge, Diskussionsrunden unter Bewachung, aber ich habe kein aktives öffentliches Leben mehr. Für einen Journalisten ist es am wichtigsten, frei zu sein, frei schreiben und reden zu können, mit seinem Publikum in Verbindung zu bleiben. Ich kann mich nicht über mein eingeschränktes soziales Leben beklagen, da viele Journalisten in meinem Land im Gefängnis leiden. Auch interessant: EU besorgt wegen Handel der Türkei mit Russland

Der im Exil lebende langjährige Chefredakteur der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“, Can Dündar, gilt in der Türkei nun als Top-Terrorist.
Der im Exil lebende langjährige Chefredakteur der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“, Can Dündar, gilt in der Türkei nun als Top-Terrorist. © dpa | Arne Dedert

Warum sieht der türkische Präsident Erdogan Sie als eine so große Bedrohung an?

Dündar: Er wurde durch meine Geschichte auf frischer Tat ertappt. Das konnte er nicht schlucken. Mich ins Gefängnis zu stecken oder seine Anhänger zu ermutigen, mich zu verfolgen, ist nicht nur eine Strafe für mich, sondern könnte andere davon abhalten, heikle Themen wie seine internationalen Verbrechen oder die Korruptionsfälle in seiner Familie anzusprechen. Außerdem kontrolliert Erdogan zwar die meisten Medien in der Türkei, kann aber die Medien im Exil, die Millionen von Menschen aus der Ferne erreichen, nicht zum Schweigen bringen... Das ist die Bedrohung, der er vor den Wahlen ausgesetzt ist.

Welche Hoffnungen verbinden Sie mit den Wahlen – lässt sich jemand wie Erdogan überhaupt abwählen?

Dündar: Ich bin sehr hoffnungsvoll. Bei den letzten Kommunalwahlen hat er Istanbul verloren, nach 25 Jahren. Jetzt ist die Türkei an der Reihe. Die Menschen leiden unter der Wirtschaftskrise, und die Opposition hat sich zum ersten Mal gegen ihn zusammengeschlossen. Er wird sein Amt aufgeben müssen, aber das wird nicht so einfach sein. Er wird sein Bestes tun, um an der Macht zu bleiben, wie Trump und Bolsonaro... Aber - wie wir in den USA und Brasilien gesehen haben - wird das nicht ausreichen, um zu überleben.