Berlin. Rechtsextremisten trainieren auf Schießständen. Eine Kontrolle dieser Szene ist schwer. Die Regierung will das Waffenrecht verschärfen.

An einem Tag Anfang April sollen auf einer privaten Anlage bei Bayreuth Schüsse gefallen sein. Peter W. war nach Kenntnis der Ermittlungsbehörden dort, auch weitere Mitstreiter. Eine alte Panzerstraße führt hin zu dem ehemaligen Bundeswehr-Standort, der seit einigen Jahren wieder in Betrieb ist. „Kommen Sie und schießen Sie!“, heißt es auf einem Flyer.

Und: „Bei uns ist für das Schießen keine Mitgliedschaft erforderlich.“ Gäste können sich vor Ort versichern. Das ist rechtlich vorgeschrieben. Heißt aber auch: Nach dem deutschen Recht kann im Prinzip jeder über 18 Jahre auf eine Schießanlage, unter Aufsicht und mit geliehenen Waffen und Munition, Ausnahmen für Schießstätten regelt das Waffengesetz in Paragraf 12, Absatz 5, und die Richtlinie für diese Anlagen.

Vieles ist genormt, von Kalibergrößen über Geschossfangsysteme bis zur Höhe der Brüstungen. Wer eine Anlage betreibt, braucht eine behördliche Erlaubnis. Wer aber schießen will, nicht. Die Nutzung von Privatleuten unterliegt keiner Meldepflicht. Die Hürden sind nicht hoch. Gefährlich wird das, wenn Verfassungsfeinde auf diesen Anlagen für ihren „Tag X“ trainieren. Den Tag des Umsturzes des Systems.

Reichsbürger-Razzia: Anfang Dezember durchsuchte die Polizei mehr als 160 Objekte

Peter W. sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft. Er soll Mitglied einer mutmaßlichen rechtsterroristischen Vereinigung von sogenannten Reichsbürgern und Verschwörungsideologen sein. Der Generalbundesanwalt ermittelt. Die Gruppe soll eine gewaltsame Revolte geplant haben, dabei laut Ermittler auch Tote einkalkuliert haben. Wie viel Aussicht auf Erfolg ihrer radikalen Pläne die Clique hatte, müssen die Ermittlungen zeigen. Klar scheint: Die Affinität der Beschuldigten zu Waffen war hoch. Anfang Dezember durchsuchte die Polizei bundesweit mehr als 160 Objekte. Und entdeckte mehr als 90 Waffen.

Ein Bajonett mit einem eingearbeiteten Hakenkreuz sowie eine Reichsflagge, die bei einem Polizeieinsatz in Boxberg-Bobstadt sichergestellt wurden.
Ein Bajonett mit einem eingearbeiteten Hakenkreuz sowie eine Reichsflagge, die bei einem Polizeieinsatz in Boxberg-Bobstadt sichergestellt wurden. © picture alliance/dpa | Christoph Schmidt

Und sie stießen offenbar auf ein Training von Peter W. und weiteren Beschuldigten auf der Anlage bei Bayreuth Anfang April. Da ist W. aufgrund seiner rechtsextremen Verschwörungsideologie schon im Visier der Sicherheitsbehörden. Der Mittfünfziger ist ein früherer Elitesoldat, Fallschirmjägeroffizier und Jagdkommandoführer, bis zu seiner Festnahme arbeitete er als „Survival“-Trainer.

Auf der Webseite bietet er „Bushcraft“ und „Outdoor-Küche“, aber auch „Runenkunde“ an. In seinem Blog finden sich vereinzelnd szenetypische Vokabeln der Verschwörungsideologen wie „Impf-Apartheid“ oder „Plandämonie“. Peter W. machte kein Geheimnis aus seiner politischen Haltung. Und offenbar trainierte er auch an Schusswaffen. Eine Anfrage unserer Redaktion an ihn und seine Firma blieb unbeantwortet.

Allein der Deutsche Olympische Sportbund führt mehr als 14.000 Schützenvereine

Mehr als 5,3 Millionen Schusswaffen und Teile von Schusswaffen sind in Deutschland im Privatbesitz. Zumindest sind das die Pistolen und Gewehre, die offiziell im Nationalen Waffenregister gemeldet sind. Die Dunkelziffer an illegalen Schusswaffen und illegaler Munition dürfte hoch liegen, die Beschaffung aus dem europäischen Ausland ist noch immer sehr einfach, sagen Fachleute in den Sicherheitsbehörden.

Und Trainingsmöglichkeiten gibt es überall. Allein der Deutsche Olympische Sportbund führt mehr als 14.000 Schützenvereine. Hinzu kommen Vereine, die in anderen Verbänden organisiert sind. Hinzu kommen vor allem aber private Schießanlagen wie die in Bayreuth. Deutschland ist ein Schützenland. Viele betreiben das Schießen als Sport, andere als Hobby, andere auf der Jagd.

Ein Problem aber wird es für die Sicherheitsbehörden, wenn die Falschen trainieren – und Staatsfeinde an Waffen üben. Wer Ermittlungen der vergangenen Jahre eng verfolgt, sieht immer wieder auffällige Verbindungen. Der rechtsextreme Todesschütze von CDU-Politiker Walter Lübcke: Mitglied im örtlichen Schützenverein. Der Attentäter von Hanau, der 2019 innerhalb weniger Minuten neun Männer und Frauen tötete: jahrelang Mitglied in einer Münchner Schützengesellschaft.

Waffenrecht: In Ländern wie Tschechien und Bulgarien sind rechtliche Auflagen geringer

Mit viel Aufwand ermittelten Polizei und Staatsanwaltschaft gegen das rechtsextreme Netzwerk „Nordkreuz“ – unter den Mitgliedern waren auch aktive und ehemalige Polizisten, Soldaten und Elitekämpfer. Im Mittelpunkt der Ermittlungen auch hier: ein Schießplatz in Mecklenburg-Vorpommern, auf dem die rechten Revolutionäre für ihre Umsturzpläne trainiert haben sollen. Verbindungen zu der Schießstätte wurden später auch dem damaligen Landesinnenminister nachgewiesen. Er musste zurücktreten.

Auch in den laufenden Ermittlungen gegen Peter W. und andere mutmaßliche Rechtsterroristen sind aktive und ehemalige Polizisten und Bundeswehr-Soldaten unter den Beschuldigten. Es sind potenzielle Täter mit Erfahrung an Waffen, mit Waffenscheinen und Waffenbesitzkarten. Mit Kontakten in die Behörden, und mit Drähten zu Schießplatz-Betreibern – auch ins europäische Ausland. In Ländern wie Tschechien, Polen oder Bulgarien sind die rechtlichen Auflagen geringer. Immer wieder erfahren die Sicherheitsbehörden von rechtsextremen Reisegruppen aus Deutschland in EU-Nachbarländer.

Bei Durchsuchungen im Schwalm-Eder-Kreis sichergestellte Waffen. Ende März fanden Ermittler über 20 Waffen, von scharfen Schusswaffen über Schreckschuss- und Dekorationswaffen bis hin zu Messern, Dolchen und Waffenzubehör sowie zwei sogenannte Reichsbürgerausweise.
Bei Durchsuchungen im Schwalm-Eder-Kreis sichergestellte Waffen. Ende März fanden Ermittler über 20 Waffen, von scharfen Schusswaffen über Schreckschuss- und Dekorationswaffen bis hin zu Messern, Dolchen und Waffenzubehör sowie zwei sogenannte Reichsbürgerausweise. © picture alliance/dpa/Polizeipräsidium Nordhessen | -

Und: In einer internen Analyse listet das Bundesamt für Verfassungsschutz, die es gemeinsam mit den Landesbehörden erstellt hat, 350 Rechtsextremisten und Reichsbürger, die regelmäßig auf Schießplätzen üben. Wie vollständig die Liste ist, ist unklar. 35 Prozent der rechtsextremen Schießstandbesucher haben keine waffenrechtliche Erlaubnis – und sind polizeibekannt. Fast die Hälfte der Schützen ist schon einmal straffällig geworden. Die ARD hatte zuerst über die BfV-Auswertung berichtet. Mehr als 1000 Reichsbürger haben die Behörden bereits die Waffenerlaubnis entzogen.

Grünen-Experte von Notz sieht ein „erhebliches Gefährdungspotenzial“

„Es ist schon auffällig, dass bei den Ermittlungen rechtsextremer Strukturen private Schießanlagen offenbar für die Ermittlungsbehörden immer wieder eine relevante Rolle spielen. Sie scheinen eine hohe Anziehungskraft auf den Umsturz planende Neonazis auszuüben“, sagt Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen und Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, unserer Redaktion.

Das Bundesinnenministerium schreibt zur Bedeutung der Schießplätze wenig auf Nachfrage, verweist darauf, dass die Schießanlagen eben legal seien. Sagt aber auch: „Bei entsprechenden Schießtrainings in Gruppen erfolgen diese häufig mit einem gewissen ‚Eventcharakter‘, dienen der Vernetzung und sollen den Zusammenhalt der Gruppe fördern. Der Ertüchtigungscharakter kann eine Gefahr für die Öffentliche Sicherheit darstellen.“

Immer wieder wurde das Waffenrecht in den vergangenen Jahren verschärft, zuletzt 2020. Mittlerweile soll ein Waffenbesitzer alle fünf Jahre überprüft werden, zudem können die Verfassungsschutzbehörden und die Waffenbehörden enger Informationen austauschen. Sportschützen müssen strengere Nachweise bringen.

Fordert von den Behörden, genauer hinzuschauen, auch bei Betreibern von Schießsportanlagen: Linken-Innenexpertin Martina Renner.
Fordert von den Behörden, genauer hinzuschauen, auch bei Betreibern von Schießsportanlagen: Linken-Innenexpertin Martina Renner. © imago/Christian Ditsch | Christian-Ditsch.de

Grünen-Politiker Von Notz warnt vor einer möglichen Rekrutierung für die Szene durch gemeinsame Schießübungen. Er sieht ein „erhebliches Gefährdungspotenzial“ und fordert, dass die Sicherheitsbehörden diesen Bereich „gerade im europäischen Kontext stärker als bisher in den Blick nehmen müssen“.

Ähnlich sieht es die Innenexpertin der Linksfraktion im Bundestag, Martina Renner: „Schießplätze, die durch Anlage und Ausstattung geeignet sind, verschiedene Elemente militärischen Schießens zu trainieren, spielen für Terror-Vorbereitungen der extremen Rechten eine wichtige Rolle.“ Auch Renner fordert eine „besondere Kontrolle“, etwa auch mit Blick auf die Eignung der Betreiber.

Ob Schießbücher richtig geführt sind, kann eine Behörde kaum prüfen

Noch immer weist das Waffenrecht Lücken auf, die Kontrolle ist aufgeteilt in Hunderte örtliche Behörden, vor allem die Landratsämter. Und ob gegen einen Besucher einer Schießanlage ein Waffenverbot vorliegt, kann der Betreiber vor Ort kaum wissen. Auch ob die Schießbücher mit Namen und Daten richtig geführt sind, kann eine Behörde kaum prüfen.

Sie lehnen die Bundesrepublik ab und wollen ein neues „Reich“ errichten. Gefährliche Ideologie der Reichsbürger.
Sie lehnen die Bundesrepublik ab und wollen ein neues „Reich“ errichten. Gefährliche Ideologie der Reichsbürger. © dpa | Patrick Seeger

Im Januar will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) das Waffenrecht verschärfen. Noch einmal, muss man sagen. Faeser will den Austausch der Behörden bei der Prüfung von Waffenscheinen und Waffenerlaubnissen noch enger fassen. Und: Die Gesundheitsämter sollen stärker in die Kontrolle eingebunden werden, Daten über psychische Erkrankungen weitergegeben werden.

Das ist brisant, geht es doch um sehr intime Informationen. Details will Faeser in einem Gesetzentwurf vorlegen, dabei soll es auch um Datenschutz gehen. Doch nicht alle Fachleute sind von schärferen Gesetzen überzeugt. Vielmehr gehe es darum, die bestehenden Vorschriften besser durchzusetzen.

Der Betreiber des Schießplatzes bei Bayreuth ist nicht im Fadenkreuz der Ermittler

Fälle wie die Ermittlungen gegen das Nordkreuz-Netzwerk zeigen, dass Aufsichtsbehörden vor Ort nicht genau genug hinschauen, oder das Personal dafür fehlt. Und noch immer ist Waffenrecht nationales Recht. „Um Missbrauch und Gefahren durch Rechtsextremisten zu verhindern, braucht es vor allem einen engeren Austausch in Europa – und ein einheitliches europäisches Waffenrecht“, hebt Olaf März hervor, Experte beim Bund Deutscher Kriminalbeamter.

Die Aufsicht über die Schießanlagen führt im Fall Peter W. das Landratsamt Bayreuth. Auf Nachfrage verweist das Amt an den Generalbundesanwalt, man äußere sich nicht zu laufenden Ermittlungen. Rechtliche Verstöße gegen den Betreiber der Schießstätte liegen nicht vor. Der Betreiber ist nach Informationen unserer Redaktion auch nicht Teil der Ermittlungen gegen die Reichsbürger-Gruppe, wird nicht beschuldigt. Der Schießstand kann im Normalbetrieb weiterlaufen.