Berlin. Die Festnahmen in Brüssel zwingen die EU zum Handeln. Ein schärferes Anti-Korruptions-Programm muss folgen, schreibt Chefredakteur Jörg Quoos.

Wenn es ein Drehbuch für einen Film gewesen wäre, hätte man es ablehnen müssen, weil es so schlecht und klischeehaft ist: Schöne Politikerin, eine Sozialistin, ist in Wahrheit korrupt bis in die blondierten Haarspitzen. Natürlich stammt sie aus Griechenland und hortet das Schmiergeld gleich säckeweise in ihrer Wohnung. Das Geld? Stammt von einem finsteren Scheich, in dessen Reich ein Menschenleben wenig zählt und der sich Ansehen und Unterstützung von europäischen Volksvertretern dreist erkaufen will.

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Leider handelt es sich nicht um ein schlechtes Drehbuch. Nach Lage der Dinge hat es sich wohl ähnlich im EU-Parlament, dem Herzstück der europäischen Demokratie, zugetragen. Die Vorwürfe gegen die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments wiegen bereits jetzt so schwer, dass ihre Partei sie aus allen Ämtern gefeuert hat. Das macht man nicht mit einer Parteifreundin, die unschuldig ist oder reingelegt wurde.

Korruption: Auch in Europa sind Politikerinnen und Politiker offenbar käuflich

Der Skandal um die Vizepräsidentin lenkt das Schlaglicht auf ein Thema, das in der öffentlichen Debatte erstaunlich wenig Raum einnimmt. Wenn über Korruption in Politik und Verwaltung gesprochen wird, geht es meist um ferne Länder und man sorgt sich um Investitionen oder Entwicklungsgelder.

Jörg Quoos ist Chefredakteur der Funke Zentralredaktion.
Jörg Quoos ist Chefredakteur der Funke Zentralredaktion. © Dirk Bruniecki

Jetzt wird auch dem Letzten klar: Auch in Europa kann man offenbar Politikerinnen oder Politiker kaufen – nur der Preis muss stimmen. Eva Kaili hielt am 21. November im Parlament in Straßburg eine Rede, die sich wie ein Werbeclip für Katar anhörte und in der sie Politiker geißelte, die Katar „drangsalieren“ würden. Persönlich reiste sie an den Golf, um den katarischen Arbeitsminister öffentlich für seine Reformen zu loben.

Auch wenn bislang nur inoffiziell bestätigt wird, dass Katar hinter der Bestechung stehen soll, wäre es nicht verwunderlich. Selbst der Bundeswirtschaftsminister hat den Ausrichter der WM schon öffentlich folgenlos als korrupt bezeichnet. Und was man in Katar unter „Freundschaft“ versteht, wissen wir spätestens, seitdem Bayern-Manager Karl-Heinz Rummenigge am Zoll mit zwei sündhaft teuren Rolex erwischt wurde, die er geschenkt bekommen hatte. Welcher Freund in Katar vor der WM so großzügig war, wollte Rummenigge lieber nicht verraten. Immerhin zahlte er knapp 250.000 Euro Strafe für das Zollvergehen und ist seitdem vorbestraft.

Anti-Korruptions-Programm: Brüssel muss in die Offensive gehen

Auch in Deutschland gehört das Thema Korruption deutlich akzentuierter auf die Tagesordnung als bislang. Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit erstellt das BKA jährlich einen Lagebericht zur Korruptionsentwicklung. Der jüngste Bericht macht nachdenklich: Er verzeichnet ein Plus von Korruptionsstraftaten von 35 Prozent gegenüber dem Vorjahr, es gab 13 Prozent mehr Tatverdächtige. Und unter den „Nehmern“, also den Bestochenen, waren laut 55 Prozent Amtsträger. Es besteht demnach Handlungsbedarf.

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In der EU kümmert sich OLAF um Korruption in eigenen Reihen. Hinter dem Vornamen unseres Kanzlers verbirgt sich die französische Bezeichnung „Office de Lutte Anti-Fraude“. Schon lange verlangen Kritiker der Brüsseler Szene, dass diese Anti-Betrugs-Behörde bei Korruption genauer hinsieht und dem Treiben von 25.000 Lobbyisten mehr Aufmerksamkeit schenkt.

Spätestens nach dem spektakulären Fall von Eva Kaili muss Brüssel in die Offensive gehen und ein schärferes Anti-Korruptions-Programm vorlegen. Europa hat es ohnehin schon schwer genug. Ein großes öffentliches Misstrauen in ihre Institutionen ist das Letzte, was die EU jetzt braucht.