Khori. In Indien wirbt Außenministerin Annalena Baerbock für den Ausbau der Erneuerbaren. Das Land setzt auf Öl und Kohle – aus Russland.

Khori ist ein idyllischer Ort zweieinhalb Autostunden südwestlich von Neu-Delhi. Am Eingangstor der Nichtregierungsorganisation „Social Centre for Rural Initiative and Advancement“ (SCRIA) blühen Bougainvillea, daneben wachsen Agaven. „Hier ist die solarbetriebene Wasserpumpe“, sagt Sunder Lal, ein Mann im lilafarbenen Hemd. Der Chef von SCRIA deutet auf einen Lagerraum, auf dem sandigen Gelände dahinter laufen Kühe herum. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) steht neben Lal und lächelt. Es ist der zweite Tag ihrer Indienreise. In Khori befindet sich eines der wenigen Vorzeigeprojekte für erneuerbare Energien des Landes. Für Baerbock ein Heimspiel in der Ferne.

Das Projekt funktioniert so: Auf den Bürogebäuden von SCRIA sind Solarpanele angebracht. Sie erzeugen den Strom für die Büros und für die Bewässerung von Senffeldern. Das Regenwasser wird in Zisternen gesammelt und mit Hilfe der solarbetriebenen Wasserpumpe auf das Ackerland gebracht. Die Körner der Senfpflanzen werden verkauft und finanzieren SCRIA. Der landwirtschaftliche Teil speist sich völlig aus Solarstrom, der Gebäudetrakt bezieht 16 Stunden Solarstrom und bekommt acht Stunden Elektrizität aus dem herkömmlichen Netz. Doch SCRIA setzt sich auch für Frauenrechte ein, veranstaltet Workshops für den Umgang mit häuslicher Gewalt und vermittelt Mikrokredite für Frauen.

Annalena Baerbock wird in Khori von Sunder Lal (r), Leiter des Projektes „Social Center for Rural Initiative and Advancement“, mit Blumen begrüßt. In diesem Dorf werden Projekte zu regenerativen Energien und Regenwasserspeicherung umgesetzt.
Annalena Baerbock wird in Khori von Sunder Lal (r), Leiter des Projektes „Social Center for Rural Initiative and Advancement“, mit Blumen begrüßt. In diesem Dorf werden Projekte zu regenerativen Energien und Regenwasserspeicherung umgesetzt. © dpa | Carsten Koall

Indien: Bald das bevölkerungsreichste Land

Derartige Vorhaben sind bitter notwendig. Indien ist einer der größten Klimasünder – auch wegen der vielen Kohle- und Ölkraftwerke. Nach China, den USA und der EU verursacht das Land weltweit die meisten Treibhausgase. 1,4 Milliarden Menschen wohnen in Indien, ein Sechstel der globalen Bevölkerung. Im kommenden Jahr wird es China als bevölkerungsreichstes Land der Erde ablösen.

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Das bedeutet Druck in mehrfacher Hinsicht. Zum einen müssen die Menschen ernährt werden. Dies ist nur möglich, wenn die Wirtschaft wächst. Nach Schätzungen der Weltbank wird Indien in fünf Jahren nach den USA und China die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt sein – vor Japan und Deutschland.

Ausbau der Erneuerbaren: Deutschland will Indien helfen

Wirtschaftswachstum heißt aber: Noch mehr Energie wird gebraucht. Der Bedarf wird sich nach Schätzungen der Vereinten Nationen bis 2050 verdoppeln. Das ist der Grund, warum die Regierung in Neu-Delhi auf billiges Öl und Kohle setzt – beides liefert Russland. Indiens Abhängigkeit von Moskau liegt am antiquierten Energiemix des Landes. Dieser speist sich zu mehr als 90 Prozent aus fossilen Quellen. Allein auf die Kohle entfallen 64 Prozent. Kein Wunder, dass Neu-Delhi erst bis zum Jahr 2070 Klimaneutralität anpeilt.

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Die Bundesregierung will Indien helfen, die Trendumkehr hin zu erneuerbaren Energien zu schaffen. „Das Land hat gewaltige Entwicklungschancen, Lichtjahre beim Klimaschutz zu überspringen“, erklärt Baerbock in Khori. Bei den deutsch-indischen Regierungskonsultationen im Mai in Berlin wurde eine „Partnerschaft für grüne und nachhaltige Entwicklung“ ins Leben gerufen. Teil des Vorhabens ist eine Task Force für grünen Wasserstoff. Die zehn Milliarden Euro, die hierfür bis 2030 bereitgestellt wurden, sind jedoch nur ein erster Anfang. Um die Wirtschaft des aufstrebenden G20-Landes langfristig auf einen nachhaltigen Pfad zu bringen, braucht es mehr als Orchideen-Projekte wie in Khori.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.