Berlin. Bei der Innenministerkonferenz in München geht es auch um die Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine. Die Not in den Kommunen wächst.

Es sind kleine Meldungen, lokale Nachrichten, die wenig durchdringen im Rauschen der großen Debatten über Krieg, Klima und Corona. Vor einigen Tagen meldet die Stadt Hannover, sie kaufe eine ehemalige Unfallklinik – und bringt dort Geflüchtete unter. Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen bittet die Kirchen um Hilfe bei der Flüchtlingsversorgung. Berlin will bis Jahresende 10.000 neue Plätze in Unterkünften schaffen. Turnhallen, Schulgebäude, Kasernen in der ganzen Republik werden wieder zu Notfallheimen. Es sind Meldungen, die erst in ihrer Häufigkeit ihre politische Wucht entfalten.

Lesen Sie auch: Flucht aus der Ukraine – die Regierung stolpert in die nächste Krise

Ab diesem Mittwoch tagen die Innenminister der Länder gemeinsam mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in München. Herbsttagung. Und wieder wird es um die Lage der Geflüchteten gehen. Schon Mitte Oktober, und zuletzt Mitte November, hatte es Krisengipfel von Bund, Ländern und Kommunen in Berlin gegeben. Immer geht es darum, wie der Bund den Kommunen am Limit doch noch mehr helfen kann, obwohl qua Gesetz die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten Aufgabe der Länder ist. Immer geht es darum, wie viel Geld der Bund den Ländern gibt, dafür, dass sie diese Aufgabe stemmen müssen.

Bei der Flüchtlingspolitik unter Druck: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
Bei der Flüchtlingspolitik unter Druck: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). © dpa | Michael Kappeler

Und nun will Innenministerin Faeser für den Sicherheitsgipfel in München noch ein Thema auf die Agenda setzen: Der Schutz der Einrichtungen. Im Innenministerium ist man besorgt, wie deutlich die Zahlen der Übergriffe auf Unterkünfte zuletzt wieder hochgeschossen waren. Im zweiten und dritten Quartal registrierte die Polizei bundesweit 46 Attacken – weitaus mehr als im Zeitraum der Vorjahre.

Knapp 200.000 Asylsuchende sind bisher in diesem Jahr nach Deutschland geflohen

Mehr als eine Million Menschen sind aus der Ukraine seit Beginn des Ukraine-Kriegs in Deutschland registriert. Ein Teil ist bereits wieder zurückgekehrt – trotz der Gefechte. Ein Teil ist weitergezogen in einen anderen EU-Staat. Hinzu kommen knapp 200.000 Asylsuchende, die über das Mittelmeer, den Balkan und vor allem aus anderen EU-Staaten wie Griechenland und Italien nach Deutschland geflohen und weitergereist sind. Das ist zwar ein leichter Anstieg etwa von geflohenen Syrern, Afghanen, Somaliern im Vergleich zum Vorjahr, wäre aber kaum eine Debatte in Deutschland. Entscheidend für die deutsche Asylpolitik ist, was in der Ukraine passiert. Und genau das ist nur schwer vorhersehbar.

Lesen Sie auch: Was die Ampel-Koalition bei der Migration ändern will

„Wir müssen damit rechnen, dass vor dem Hintergrund des Krieges und eines harten Winters in der Ukraine eher mehr als weniger Menschen in den kommenden Wochen und Monaten zu uns kommen werden“, sagt Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) unserer Redaktion. „Die aktuelle Lage bei der Aufnahme von Menschen aus der Ukraine und Asylbegehrenden aus anderen Ländern ist sehr herausfordernd.“

Städtetag fordert, dass Länder Plätze in Aufnahmeeinrichtungen „deutlich aufstocken“

Je länger der Krieg dauere, desto mehr Menschen würden die Ukraine verlassen müssen, sagt auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, unserer Redaktion. „Deshalb müssen die Städte umgehend einbezogen werden, wenn Bund und Länder über Fluchtbewegungen und Lagebilder sprechen. Die Städte brauchen außerdem klare Ansagen von Bund und Ländern, wie viele Plätze sie für den kommenden Winter vorhalten sollen. Auch wenn niemand die Zukunft vorhersagen kann, wir brauchen Planungsgrundlagen, damit Container aufgestellt, Betten gekauft und Zeltstädte errichtet werden können.“

Dedy fordert zudem, dass die Länder die Plätze in ihren eigenen Aufnahmeeinrichtungen „deutlich aufstocken und zusätzliche dauerhafte bezugsfertige Unterkünfte errichten“.

Menschen an der polnisch-ukrainischen Grenze. Vor allem Kinder und Frauen fliehen aus dem Kriegsgebiet.
Menschen an der polnisch-ukrainischen Grenze. Vor allem Kinder und Frauen fliehen aus dem Kriegsgebiet. © AFP | WOJTEK RADWANSKI

Um die Kosten wird nun wieder gerungen – wie so oft zwischen dem Bund und den Ländern. Die Bundesregierung hilft nach eigenen Angaben mit 3,5 Milliarden Euro in diesem Jahr und noch einmal knapp drei Milliarden 2023. Zudem stellt der Bund rund 300 Liegenschaften mit knapp 70.000 Plätzen für Notunterkünfte bereit. „Auf dem Immobilienmarkt gibt es viel weniger Angebote als noch vor fünf, sechs Jahren – und schon damals war es eng“, sagt Minister Pistorius. Bis März will Niedersachsen „einige ehemalige Kasernen und Jugendherbergen“ für Geflüchtete bereitstellen.

Auch weitere Immobilien des Bundes sollen überprüft werden, ob sie zur Unterbringung in Not taugen. Das klingt auf den ersten Blick viel, doch manche Gebäude sind so klein, dass nur ein paar Familien Schutz finden, andere müssen aufwendig saniert werden, stünden erst in einiger Zeit bereit.

Viele Menschen in der Ukraine sind tagelang ohne Wasser und Strom

Die Not an Plätzen aber ist akut. Und mit Sorge blicken deutsche Innenpolitikerinnen und Sicherheitsfachleute auf die Wintermonate. Die Ukraine musste russische Angriffe auf Infrastruktur hinnehmen. Viele Menschen sind ohne Wasser und Strom. Bisher sieht man in den Sicherheitsbehörden keine neuen starken Fluchtbewegungen aus der Ukraine aufgrund dieser Angriffe. Aber Fachleute sagen: Vieles hängt davon ab, wie schnell die Ukraine repariert.

Auch deshalb investieren die EU-Staaten Milliarden an Hilfen in die Ukraine. Nicht nur militärisch, sondern auch humanitär. Allein das Deutsche Rote Kreuz hilft derzeit nach eigenen Angaben mit 7000 Heizöfen, 100 Generatoren und 20 mobilen Tankanlagen.

Mehr als 600 Millionen Hilfe für die Ukraine kamen schon in den ersten Monaten des Krieges aus Deutschland. Hilfsorganisationen arbeiten jetzt auch daran, Unterkünfte in den Teilen der Ukraine für Geflüchtete aus dem Land winterfest zu machen, in denen weniger Beschuss herrscht.

Doch eine andere Gewissheit wächst: Die Menschen aus der Ukraine, die schon hier sind, könnten bleiben. Noch im Mai erklärte Innenministerin Faeser, sie rechne damit, dass die Mehrheit der Ukrainerinnen und Ukrainer zurückkehren werde. Mittlerweile werden Stimmen lauter, die sagen: Viele Geflüchtete werden bleiben, vielleicht über Jahre. Vielleicht für immer.

Wenn die Menschen keine Hoffnung mehr haben, kehren sie nicht zurück.
Wenn die Menschen keine Hoffnung mehr haben, kehren sie nicht zurück. © dpa | Florian Bachmeier

„Wir sehen in der Migrationsforschung, dass die meisten Menschen nicht dann fliehen, wenn der Krieg am schlimmsten ist. Sondern dann, wenn sie ihre Hoffnung auf Frieden verlieren. So war es auch im Syrien-Krieg“, sagt Migrationsexperte Aladin el-Mafaalani im Gespräch mit unserer Redaktion. „Deutschland und die EU müssen sich darauf einstellen, dass Geflüchtete aus der Ukraine dauerhaft hierbleiben werden und auch ihr Leben hier aufbauen werden.“

Ukraine-Krieg: Herausforderung ist die Versorgung von mehr als 300.000 Minderjährigen

Ähnliche Töne schlägt der Städteverband an. Bund und Länder sollten sich verständigen, „wie die langfristige Integration finanziert werden soll und dürfen das nicht verschlafen“, sagt Hauptgeschäftsführer Dedy. „Wir brauchen zusätzliche Kitaplätze, mehr Schulen und Wohnraum. Diese Investitionen müssen die Städte jetzt planen. Notwendig sind konkrete Finanzierungszusagen.“

Gerade die vielen Kinder und Jugendlichen – mehr als 300.000 allein aus der Ukraine – zur versorgen, ist eine Herausforderung. Viele sprechen kein Deutsch, viele sind traumatisiert von Krieg und Flucht. Das deutsche Schulsystem, sagt Migrationsforscher Mafaalani, sei aber schon jetzt „auf Kante genäht“.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.