Washington. Die Demokraten stehen vor den Midterms auf dem Papier gut da. In Wirklichkeit sind sie tief gespalten. Warum Biden gescheitert ist.

Auf dem Papier betrachtet, müsste es den Demokraten großartig gehen. Sieht man von George W. Bush 2004 ab, hat die Partei, die am Dienstag um ihre hauchdünne Vorherrschaft im Parlament in Washington kämpft, bei den vergangenen acht Präsidentschaftswahlen stets die Mehrheit der amerikanischen Wähler für sich gewonnen.

2020 holte Joe Biden mit rund 81 Millionen Stimmen so viele wie niemand zuvor. Allein, in solide Macht übersetzt sich das nicht.

USA: Wahlrecht begünstigt Konservative

Das Wahlrecht und die von den mehrheitlich republikanisch regierten Bundesstaaten ausgeübte Zuschneidung der Wahlbezirke („gerrymandering”) begünstigt die Konservativen.

Nur ein Beispiel: Die 50 republikanischen Senatoren repräsentieren heute rund 145 Millionen Amerikaner, die 50 demokratischen dagegen 186 Millionen. Ohne die Rückeroberung der Mehrheiten in den Bundesstaats-Parlamenten, wo meist Republikaner und von von ihnen entsandte Gouverneure den Taktstock halten, wird sich an dieser strukturellen Malaise wenig ändern.

Das ist der eine Teil der Wahrheit. Der andere: Das „große Zelt”, als das sich die Partei der Demokraten versteht, hat es zunehmend mit Gruppierungen und Flügeln zu tun, deren Unvereinbarkeiten immer krasser zutage treten.

Progressive, latent sozialdemokratisch angehauchte Vertreter wie Senator Bernie Sanders oder die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez trennen Welten von Abgeordneten aus dem unter der Globalisierung leidenden Ex-industriellen Herzland. Dort gelten Freihandel und Einschränkungen der laxen Waffengesetze als Teufelszeug.

Mit den „Kulturkriegern“ werden viele nur schwer warm

Paradebeispiel ist hier Joe Manchin. Der Senator aus West Virginia, ein erzkonservativer Demokrat, hat die milliardenschweren Hilfs-, Konjunktur- und Klimaschutzprogramme von Präsident Joe Biden fast im Alleingang erst verzögert und dann nachhaltig verwässert.

Die Interessen dieser Flügel auszutarieren, ohne dem Wähler Stillstand und eine zerrissene Partei zu präsentieren, ist bereits schwer genug. Aber es kommen noch weitere Störfaktoren hinzu, die das Wähler-Reservoir auf Abstand gehen lassen.

Mit der in den USA unter dem Etikett „Kulturkrieger” bekannten Fraktion von Politikern/-innen, die sich einer Einwanderungspolitik mit offenen Armen, mehr Rechten für Schwule, Lesben und Transgender-Menschen, restriktiven Maßnahmen gegen Polizeigewalt sowie den sozialen Bewegungen von „MeToo“ bis „Black Lives Matter” verschrieben haben, werden weite Teile der demokratischen wie auch der parteiunabhängigen Wählerschaft nicht wirklich warm.

Biden wollte die Spaltung überwinden

Aus diesen Schnittmengen eine kohärente Partei zu formen, würde in Deutschland in etwa dem Versuch ähneln die Programme von CSU und Linkspartei zu verschmelzen. Will sagen: Joe Biden, der sich selbst seit 50 Jahren der Arbeiterklasse und der Mittelschicht verpflichtet fühlt, macht es als Präsident immer irgendwem nicht recht.

Biden, sagt der Regierungskenner Charles Kupchan, versucht permanent, sowohl die Progressiven als auch die Konservativen nicht so zu verprellen, dass es sich auf das Stimmverhalten ihrer Wortführer im Parlament auswirkt. „So entsteht fast zwangsläufig das Bild einer Partei, die entschieden mehr mit sich beschäftigt ist als mit den Menschen im Land”, analysierte unlängst der TV-Sender MSNBC.

Biden hatte bei Amtsantritt versprochen, die Spaltung zwischen den Parteien und ihren Anhängern zu überwinden, die in den Chaos-Jahren der Trump-Regierung noch weiter zugenommen hat. In Umfragen bescheinigen selbst demokratische Wähler dem 79-Jährigen, bei dieser „Herkules-Aufgabe” gescheitert zu sein.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de