Washington. Bei den Midterms treten Dutzende Republikaner an, die Joe Biden für einen illegitimen Präsidenten halten. Wie gefährlich sind sie?

Mark Finchem (Arizona). Jim Marchant (Nevada). Kristina Karamo (Michigan). Drei Namen, die man sich merken sollte. Sie könnten in zwei Jahren die amerikanische Demokratie zum Einsturz bringen. Die republikanischen Kandidaten treten am nächsten Dienstag bei den US-Wahlen zum Kongress in ihren Bundesstaaten für den Job des „secretary-of-state” an, der vergleichbar ist mit dem eines deutschen Landes-Innenministers.

Gewinnen sie, steht es nach Einschätzung von unabhängigen Denkfabriken und Wahlbeobachtern um einen konfliktfreien Ausgang der nächsten Präsidentschaftswahl 2024 „katastrophal”. Der „secretary-of-state” ist der oberste Wahlaufseher in den 50 Bundesstaaten.

Er hat die Kontrolle über den modus vivendi beim Auszählen von Stimmzetteln. Und bei der Zertifizierung des Endergebnisses. Was wiederum darüber entscheidet, wem die Wahlmänner- und Frauen, die jeder Gliedstaat in das „electoral college” entsendet, am Ende ihre alles entscheidende Stimme geben.

Trump behauptet bis heute, die Demokraten hätten ihn massiv betrogen

Welche ungeheure Macht das verkörpert, zeigte vor zwei Jahren Brad Raffensperger in Georgia. Donald Trump hatte den Südstaat bei der Präsidentschaftswahl knapp verloren. Er hält aber bis heute an der toxischen Legende fest, die Demokraten hätten ihn massiv betrogen.

Von manipulierten Wahlmaschinen ist die Rede. Von korrupten Wahlbeamten in demokratisch regierten Bezirken. Von manipulierten Briefwahlunterlagen. Und, und, und.

Die Justiz tat die Vorwürfe früh als hanebüchenen Humbug ab. Das hielt Donald Trump, damals noch amtierender Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, nicht davon ab, Raffensperger (Republikaner wie er selbst), am Telefon dazu zu nötigen, nachträglich rund 12.000 Stimmen zu organisieren, um Joe Biden den Sieg noch streitig machen zu können. Raffensperger widersetzte sich der Aufforderung zum Wahlbetrug. Wäre es anders gewesen, wer weiß.

Dass es in zwei Jahren anders würde, daran lassen die eingangs genannten Finchem, Marchant, Karamo (und acht weitere republikanische Aspiranten auf den secretary-of-state-Posten) keinen Zweifel.

Die „election denier” sind längst ein Machtfaktor geworden

Der Verschwörungstheoretiker Finchem sagt klipp und klar, dass unter ihm das Wahlergebnis 2020 in Arizona nie durchgegangen wäre. „Käme Finchem ans Ruder, müsste sich Donald Trump 2024 in Arizona keine Sorgen machen”, berichten Journalisten in Phoenix, „selbst wenn er wieder verlöre.” Träte Trump nicht an, würde ein anderer Republikaner von „klandestinen Machenschaften“ profitieren.

Finchem, ein rustikaler Cowboy-Hutträger, ist einer der exponiertesten „election denier”, übersetzt: Wahlergebnis-Leugner. Das sind Menschen, die seit der Präsidentschaftswahl 2020, seit Donald Trump wider besseren Wissens behauptete, von Joe Biden und den Demokraten über den Tisch gezogen worden zu sein, der eigenen Demokratie den Krieg erklärt haben.

Obwohl alle Sonderprüfungen und rund 60 Gerichtsurteile bis hin zum Supreme Court in Washington bestätigt haben, dass es bei der Wahl keine substanziellen Unregelmäßigkeiten gegeben hat, füttern Leute wie Finchem, wiederum angefüttert von Trump, hartnäckig die von TV-Sendern wie Fox News und Zigtausenden in sozialen Medien kolportierte Gegen-Erzählung.

Was nicht sonderlich ins Gewicht fiele, wäre es nur ein kleine Gruppe Verirrter.

In Wahrheit aber sind die „election denier” längst ein Machtfaktor. „Washington Post” und das Wahlportal „FiveThirtyEight” haben akribisch vermittelt, dass unter den 552 antretenden Republikanern (für den Kongress in Washington und die Führungsposten in den Bundesstaaten) rund 300 hinter Trumps Lüge von der „gestohlenen“ Wahl 2020 stehen und Joe Biden für einen illegitimen Präsidenten halten.

Mehr zum Thema: Angst vor Gewalt von Trump-Anhängern: Wahllokale rüsten auf

Kämen Sie ans Ruder, würde das „gesamte demokratische System ausgehebelt”, sagt Lawrence Norden, Experte des renommierten Brennan-Centers; und zwar unabhängig von der Frage, ob Donald Trump 2024 ins Rennen geht oder einer seiner Möchtegern-Nachfolger (Stichwort: Ron DeSantis/Florida). „Wenn man nicht darauf vertrauen kann, dass neutrale Leute unsere Wahlen managen, dann haben wir keine freien und fairen Wahlen mehr.”

Wahlkampf-Organisationen der Demokraten unterstützen Extremisten

Bizarrer Randaspekt: Bei den parteiinternen Vorwahlen haben Wahlkampf-Organisationen der Demokraten rund 44 Millionen Dollar (44,5 Millionen Euro) in Wahlwerbung für Extremisten wie Finchem & Co. gesteckt – in der Annahme, sei seien bei der echten Wahl am 8. November leichter zu schlagen als moderate Konservative.

In Pennsylvania zum Beispiel hat der Demokrat Josh Shapiro, der Gouverneur werden will, 840.000 Dollar in Werbung gesteckt, die seinem republikanischen Konkurrenten Doug Mastriano helfen sollte. Mastriano war beim blutigen Sturm aufs Kapitol im Januar 2021 dabei, als gewalttätige Trump-Anhänger die Zertifizierung des Biden-Sieges verhindern wollten.

Zu erwarten ist laut US-Medien, dass die Fraktion der Wahl-Leugner die „midterms” nächste Woche als Testlauf nutzen wird. Das heißt: Überall da, wo Ergebnisse herauskommen sollten, bei denen Demokraten knapp die Oberhand behalten, wird mit gerichtlichen Anfechtungsklagen gerechnet. Etliche Top-Kandidaten der Republikaner haben bereits öffentlich erklärt, Wahlergebnisse nur dann zu akzeptieren, wenn sie gewinnen. Jeder andere Wahlausgang sei ein Indiz für Betrug.

Genau mit dieser Losung war Donald Trump im Sommer 2020 aufgetaucht. Viele Monate vor der Wahl, die er mit rund sieben Millionen Stimmen Unterschied zu Joe Biden verlieren sollte.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.