Berlin. Die Briten sind ihre Premierministerin los. Ein frischer Start täte dem Land und ganz Europa gut. Kann es den mit den Tories geben?

Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Der Rücktritt der britischen Premierministerin Liz Truss war so unausweichlich wie der der pünktliche Glockenschlag des Big Ben in London. Selten hat ein britischer Premier in so kurzer Zeit so viele inhaltliche und stilistische Fehler gemacht wie Truss.

Während wirtschaftlich starke Länder weltweit auf die Verwerfungen des Ukraine-Krieges und der Energiepreiskrise mit Entlastungspaketen für Bürger und Unternehmen reagierten, schwelgte die Britin in einer Maggie-Thatcher-Nostalgie. Zunächst wollte sie mit neuen Schulden die Steuern senken, wovon vor allen Top-Verdiener profitiert hätten. Ergebnis eines plumpen Wachstums-Fetischismus, der die vor allem in Krisenzeiten nötige soziale Symmetrie völlig außer Acht lässt.

Truss: Wie sie ihren Niedergang beschleunigte

Dann sollte der Haushaltsplan vorgezogen werden, um die verrücktspielenden Finanzmärkte zu beruhigen. Ein dilettantisches Manöver, das ebenfalls korrigiert werden musste. Doch Truss erklärte der staunenden Öffentlichkeit ihre 180-Grad-Wende nicht selbst. Sie schickte stattdessen ihren Finanzminister Jeremy Hunt vor und saß schweigend daneben. Ein Signal maximaler politischer Impotenz – in einer bildüberfluteten Mediengesellschaft ist das tödlich.

Truss‘ Autoritätsverlust verlief derart rasant, dass die Parlamentsabgeordneten ihrer Konservativen Partei von nackter Panik ergriffen wurden. Angesichts des drohenden Absturzes versuchte Truss, sich als Kämpferin zu stilisieren – und beschleunigte damit ihren Niedergang. Man muss es so hart sagen: Sie war von Anfang an eine Fehlbesetzung.

Großbritannien: Europa und Amerika brauchen das Land

Michael Backfisch ist Redakteur in der Funke Zentralredaktion.
Michael Backfisch ist Redakteur in der Funke Zentralredaktion. © Reto Klar | Reto Klar

Für Europa und Amerika besteht kein Anlass zur Schadenfreude. Großbritannien ist ein zu wichtiges Mitglied in der Allianz der Demokratien, die angesichts der vielen weltweiten Erdbeben zusammenstehen muss. Das gilt zuallererst für den Ukraine-Krieg, hinter dem Putins großer Feldzug gegen den Westen steckt. Es betrifft die Verwerfungen auf dem Energiemarkt ebenso wie den Umgang mit einem immer robuster auftretenden China. Geschlossenheit ist das Gebot der Stunde. Niemand kann ein Interesse an einem instabilen Großbritannien haben.

Das Land bräuchte jetzt einen Regierungschef, der nach den wilden Ausschlägen der letzten Jahre Ruhe ausstrahlt und Einheit vermittelt. Die Briten befinden sich seit 2016 im Dauerkrisen-Modus: Erst beschwor Premier David Cameron durch Führungsschwäche das Brexit-Referendum herauf. Dann wurde Theresa May zwischen den Mühlsteinen der EU-Austritts-Fanatiker und der Euro-Pragmatiker zerrieben.

Rücktritt von Liz Truss: Ihre Partei ist tief gespalten

Auf May folgte der clowneske Polit-Hallodri Boris Johnson, dem die Show vor der Kamera wichtiger war als das Regieren. Seine Corona-Parties, die schamlose Beförderung von in Misskredit geratenen Parteikollegen und windige Finanz-Transaktionen brachten die Briten permanent an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Selten war die Regierungsspitze in London moralisch so verkommen wie unter Johnson. Truss‘ Blitz-Scheitern ist nur der Endpunkt einer langen Kette des Führungsversagens.

Dass sich die Tories jetzt schnell auf jemanden mit parteiübergreifender Reputation einigen, ist zweifelhaft. Sie sind zu gespalten. Die Berichte, dass sich Boris Johnson schon für die Truss-Nachfolge warmlaufen soll, müssen als Alarmzeichen gewertet werden. Die sauberste Lösung bestünde in Neuwahlen. Ein frischer Start wäre für Großbritannien gut – und für die Kontinentaleuropäer auch.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.