Berlin. Vor einem Blackout stehen kleine Stromausfälle – der sogenannte Lastabwurf. Was heißt das und wie wahrscheinlich wird es im Winter?

Als Robert Habeck vor einigen Tagen vor die Presse trat, um vorzustellen, wie es mit den Atomkraftwerken Neckarwestheim und Isar II weitergehen soll, bemühte er sich um Einordnung: „Mitnichten“, sagte der grüne Wirtschaftsminister, würden die beiden Meiler im Ernstfall alle Probleme in der Stromversorgung lösen. Stattdessen würde es weitere Maßnahmen brauchen, wenn es im Winter wirklich knapp werden sollte: Energiesparen, sagte Habeck, flexible Nutzung und auch den Lastabwurf. Aber was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Anders als beim sogenannten Blackout – dem unkontrollierten, großflächigen Zusammenbruch der Stromversorgung – gehen zwar auch beim Lastabwurf die Lichter aus. Allerdings nur für eine kurze Zeit, in einem begrenzten Gebiet und kontrolliert durch die Stromnetzbetreiber. Das Chaos eines Blackouts soll durch diese Abschaltungen vermieden werden. Nötig werden kann das in zwei verschiedenen Szenarien.

Strom: Es gibt zu wenig zur Zeit

Das erste: In Zeiten mit sehr hoher Nachfrage wird mehr Strom verbraucht als in dem Moment produziert werden kann, es gibt also zu wenig Strom. Lastunterdeckung heißt das in der Fachsprache. Das zweite Szenario: Es gibt zu viel Strom, jedenfalls an einer Stelle.

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Schon im Normalzustand sind die Übertragungsnetzbetreiber einen großen Teil der Zeit damit beschäftigt, Engpässe im Netz auszugleichen. Windenenergie, die im ersten Halbjahr 2022 etwa 25 Prozent der deutschen Stromerzeugung ausmachte, in Spitzenzeiten aber deutlich mehr, entsteht vor allem in Norddeutschland. Gebraucht wird der Strom aber vor allem in den industriellen Zentren Süddeutschlands – und das Netz dazwischen ist nicht gut genug ausgebaut.

Lastabwurf ist die letzte Maßnahme, um größere Ausfälle zu verhindern

Zu viel Strom, der von Norden nach Süden fließen soll, schafft einen Netzengpass. Um den zu korrigieren, nehmen die Netzbetreiber vor dem Engpass Strom aus dem Netz, und speisen ihn dahinter wieder ein. „Wenn allerdings hinter dem Engpass kein Kraftwerk zur Verfügung steht, kann es regional auch auf diese Art zu einer Unterdeckung und als letztes Mittel zum Lastabwurf kommen“, sagt Solveig Wright, Sprecherin von Übertragungsnetzbetreiber Amprion.

Das Atomkraftwerk im niedersächsischen Emsland kann deshalb zum Jahresende vom Netz gehen, es wird für die Netzstabilität nicht gebraucht. Die beiden süddeutschen Kraftwerke möglicherweise aber schon.

Lastunterdeckung: Keine Netzstabilität garantiert

Im zweiten Stromstresstest im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums hatten Amprion und die drei anderen Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland Leistung und Netzstabilität untersucht. Heraus kam, dass auf beiden Feldern in diesem Winter Lücken auftreten könnten. Im ungünstigsten der drei geprüften Szenarien kamen die Betreiber auf in 91 Stunden, in denen es im Winter in Europa zu einer Lastunterdeckung kommen könnte, in Deutschland waren es drei bis 12. Und selbst mit dem weiteren Einsatz der beiden süddeutschen Atomkraftwerke könnten 4,6 Gigawatt Kapazität fehlen, um Netzstabilität zu garantieren.

Trotzdem bleibe der Lastabwurf die letzte Maßnahme, die die Netzbetreiber im Ernstfall einsetzen, betont Wright. Davor stünden eine ganze Menge andere Möglichkeiten, um Netz und Versorgung stabil zu halten. Kraftwerke in der Reserve stehen für solche Fälle ebenso zur Verfügung wie Strom aus dem Ausland. Und bevor für ganze Stadtteile das Licht ausgeht, kontaktieren die Netzbetreiber große Verbraucher wie Industriebetriebe und bitten sie, auf der Basis von vorher getroffenen Absprachen freiwillig kurzzeitig den Verbrauch zu reduzieren.

In anderen Ländern sind solche Ausfälle keine Seltenheit

Erst wenn all das nicht ausreicht, steht am Ende der Kette der Lastabwurf – örtlich begrenzte, zeitweise Stromausfälle. „In der Praxis heißt das: Es trifft nicht alle zur selben Zeit, sondern in ganz Deutschland werden kleine Stellen dunkel, damit das Stromsystem als Ganzes sicher bleibt“, sagt Amprion-Sprecherin Wright. Die Abschaltungen würden in einem solchen anteilig gleich auf alle Netze verteilt, überall müsste also ein bisschen Last aus dem System genommen werden. Erfahrungen aus europäischen Nachbarländern, sagt Wright, würden zeigen, dass es dabei um wenige Stunden gehe.

In anderen Ländern ist das keine Seltenheit, Südafrika etwa erlebt derartige Ausfälle immer wieder. Im US-Bundesstaat Kalifornien warnt der Netzbetreiber öffentlich, wenn der Verbrauch zu hoch werden droht, damit Verbraucherinnen und Verbraucher Geräte vom Netz nehmen können und sich Stromausfälle vermeiden lassen.

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Doch auch wenn die Lage der Atomkraftwerke in Frankreich in diesem Winter wohl kritisch sein wird – dass es in Deutschland zu derartigen Abschaltungen kommt, bleibe extrem unwahrscheinlich, sagt Christoph Maurer, Stromnetz-Experte und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Consentec. Kälte, wenig verfügbare erneuerbare Energien, Probleme im Gasnetz, dazu vielleicht noch Ausfälle von Braunkohlekraftwerken – es müssten einige Faktoren aufeinandertreffen, damit es soweit komme.

Mit einer direkten Warnung können Betroffene nicht rechnen

„Aus Sicht des einzelnen Verbrauchers ist das Risiko, dass man zwei Stunden kein Strom hat, weil ein Bagger eine Leitung durchtrennt hat, sehr viel größer als das eines systemischen Problems“, sagt er. Völlig ausschließen könne man allerdings auch das nicht.

Und Betroffene, sagt Maurer, könnten in einem solchen Fall wohl auch nicht mit einer direkt an sie gerichteten Warnung rechnen. Allenfalls eine allgemeine Warnung, dass es zu derartigen Ausfällen kommen könnte, sei denkbar. „Das könnte Leute dann auch zum Energiesparen anhalten, und die Abschaltung vielleicht verhindern.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.