Hamburg. Das Phänomen Markus Lanz: Wetten, dass niemand im deutschen Fernsehen so schlecht behandelt wurde? Wie die Show sein Leben geprägt hat.

Er gilt als „Deutschlands härtester Talkmaster: Markus Lanz. Wie wurde der Mann, der unter schwierigsten Verhältnissen in Südtirol aufgewachsen ist, so erfolgreich? Was macht er anders als seine Kolleginnen und Kollegen? Wer ist dieser Markus Lanz? „Abendblatt“-Chefredakteur Lars Haider hat für sein Buch „Das Phänomen Markus Lanz“ mit 50 Politikern, Wissenschaftlern, Journalisten und Weggefährten über den Südtiroler gesprochen.

Markus Lanz: Der Gottschalk-Nachfolger

Beim Deutschen Fernsehpreis im Jahr 2021 war Thomas Gottschalk eingeladen, um die Auszeichnung für die beste Schauspielerin/den besten Schauspieler vorzunehmen. Doch als er von Moderatorin Barbara Schöneberger auf die Bühne gerufen wurde, konnte Gottschalk sich zwei Sätze über den Mann nicht verkneifen, der zuvor den Preis in der Kategorie „Beste Information“ erhalten hatte.

„Darf ich die Gelegenheit nutzen, Markus Lanz zu gratulieren“, sagte er, kaum dass die Fernsehkameras auf ihn gerichtet waren. „Gibt ja Sachen, die er kann.“ ... Die zwei vermeintlich harmlosen Sätze von Thomas Gottschalk waren nicht witzig gemeint, und kaum jemand im Saal dürfte vergessen haben, wie böse Markus Lanz in der Vergangenheit mitgespielt worden war. Wenn doch, dann wurden er oder sie von Gottschalk ziemlich plump daran erinnert.

Markus Lanz (l.) wurde 2012 Nachfolger von Thomas Gottschalk als Moderator der Kultshow „Wetten, dass ..“. Zwei Jahre später wurde die Sendung eingestellt. Lanz wurde verspottet und beschimpft.
Markus Lanz (l.) wurde 2012 Nachfolger von Thomas Gottschalk als Moderator der Kultshow „Wetten, dass ..“. Zwei Jahre später wurde die Sendung eingestellt. Lanz wurde verspottet und beschimpft. © IMAGO / Sven Simon

Es gibt keinen Menschen im deutschen Fernsehen der jüngeren Vergangenheit, der so übel verspottet und beschimpft wurde wie Markus Lanz. Die Kritik, die er mehrere Jahre ertragen musste und die 2014 ihren Höhepunkt erreichte, als er als Nachfolger von eben jenem Thomas Gottschalk bei „Wetten, dass ..?“ scheiterte und die Sendung daraufhin eingestellt wurde, hatte etwas von „Wer will noch mal, wer hat noch nicht?“.

Wenn man mit Journalistinnen und Journalisten heute über diese Zeit spricht, ist von einer „Hetzjagd, die sich verselbstständigt hat“ die Rede. Horst Lichter, neben Lanz eines der bekanntesten Gesichter des ZDF, spricht von „übelster Nachrede“. Markus Lanz selbst hat zu all dem, was damals über ihn geschrieben wurde, gesagt: „Einmal in der Welt, zementieren sich Klischees unabhängig von der Realität. Das bewegt mein Weltbild nicht ernsthaft, sonst müsste ich mir die Kugel geben.“

Lanz: Spott und Kritik von allen Seiten

Damals war Lanz zum Abschuss freigegeben, es gehörte fast zum guten Ton, sich über ihn lustig zu machen. 2013 hieß es in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Markus Lanz hat jetzt 500 Ausgaben seiner Talkshow im ZDF absolviert. Gern würde er 500 weitere machen. Doch davor kann man nur warnen.“

Im „Spiegel“ hatte der Medienkritiker Stefan Niggemeier schon ein Jahr vorher geschrieben: „Markus Lanz hat eine rasante Karriere gemacht vom Moderator von RTL-Boulevardmagazinen wie Explosiv, der die erste Fernseh-Liveübertragung einer Brustvergrößerung direkt vom OP-Tisch kommentieren durfte, zum wichtigsten Unterhaltungsmenschen im ZDF. (…) Lanz ist vielleicht der größte Streber im deutschen Fernsehen. (…) Überraschenderweise hat Lanz neuerdings den Ruf, auch kritisch nachhaken zu können. Das muss daran liegen, dass er es geschafft hat, aus der Zwangsstörung von Menschen, die das Haus nicht verlassen können, ohne wieder und wieder und wieder überprüft zu haben, dass der Herd aus ist, so etwas wie eine Interviewtechnik zu machen.“

Im Internet legte Niggemeier nach: „Ich habe im ,Spiegel‘ versucht zu erklären, was Markus Lanz für mich so unausstehlich macht. Es sind ja nicht nur diese Posen, das Finger-an-den-Mund-Legen, der Dackelblick, die Witzelsucht, die konsequente Unterforderung des Zuschauers, die persönlichen Zudringlichkeiten, das Desinteresse an Inhalten, die Fragetechnik, die von Johannes B. Kerner gelernte Kunst, sich von sich selbst zu distanzieren, die Phrasen, die angestrengte und anstrengende Vortäuschung des kritischen Nachfragens, das Aufondulieren der Sprache, die Wichtigtuerei, das ganze streberhafte Gehabe. Es ist auch das Ausmaß, in dem er aus seiner Talkshow eine Art Betriebsausflug gemacht hat, mit diesem unbedingten Willen zur kontrollierten Ausgelassenheit und dieser gezwungenen Kumpelhaftigkeit. Hinter einer Fassade moderner Munterkeit tun sich Abgründe spießiger Bräsigkeit auf.“

Die „Frankfurter Rundschau“ entwickelte gar eine Lanz-Phobie, die bis heute in Kritiken zu spüren ist und die sich selbst 2019, als „Wetten, dass ..?“ längst Geschichte war und Markus Lanz in seiner Sendung bemerkenswerte und ernst zu nehmende Interviews mit Politikerinnen und Politikern geführt hatte, so las: „Aber ein Moderator, der nicht moderiert, sondern Fragen abschießt, der es in seiner typischen Haltung, ganz vorne auf der Stuhlkante sitzend, als wolle er sich auf das Gegenüber stürzen (und so seine Nervosität und Überforderung zeigt), fast nie schafft, seine Gäste ausreden zu lassen, und dann irgendwann sagt: ‚Lasst uns diese Schärfe rausnehmen‘ – die er selbst hineingebracht hat in das Gespräch: Solch ein Mann dürfte nie und nimmer eine Talkshow leiten. Nun tut das aber Markus Lanz seit Jahren, und es ist eines der großen Rätsel der bundesdeutschen Fernsehlandschaft, dass er das trotz seiner offensichtlichen Unfähigkeit immer noch tut.“

Die „Bild“-Zeitung ließ ihren Kolumnisten Franz Josef Wagner 2014 auf Seite 2 einen kurzen Brief schreiben, eher eine Postkarte: „Lieber Markus Lanz“, begann Wagner, „irgendwie sind wir alle mittelmäßig, hat ein Philosoph einmal gesagt. Das zu erkennen ist nicht lustig. Markus Lanz ist ein netter Mensch, aber leider nicht Mozart oder Gottschalk. Es ist tragisch, von Dingen zu träumen, die sich nicht erfüllen lassen. Schlechteste Einschaltquote, seit es „Wetten, dass ..?“ gibt. Wenn ich Markus Lanz wäre, würde ich mich in mein Auto setzen und wegfahren. Durch Städte, über Autobahnen, an Häusern vorbei, wo Licht brennt, immer weiter. Ich würde zu einem Ort fahren, wo Frieden ist. Wind in den Bäumen. Aus einer Quelle kommt Wasser. Was für ein schöner Ort, wo ein Mensch glücklich werden kann.“

Kaum eine Sendung werde „so gehasst wie die von Markus Lanz“, schrieb wieder die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ 2019 (um wenigstens hinzuzufügen, dass Lanz inzwischen das einzige Format im Fernsehen habe, in dem es „echte Gespräche der Gäste“ gebe). Woher kam dieser Hass, der sich in Überschriften wie „Fack ju, Lanz! manifestierte, warum „saßen die Typen mit gespannter Flinte da“, wie Lanz es einmal selbst formulierte? Sagt die mediale Hetzjagd, die damals betrieben wurde, am Ende vielleicht mehr über diejenigen aus, die sie angeführt haben, als über Markus Lanz selbst?

Gutes Aussehen wurde Lanz fast zum Vorwurf gemacht

Wenn man sich Antworten auf diese Fragen nähert, landet man wieder bei Horst Lichter, der sagt, dass Markus Lanz vieles von dem habe, was denen, die ihn kritisierten, fehle: „Er sieht verdammt gut aus, er ist intelligent, er ist musikalisch, er ist rhetorisch brillant, er ist ein hervorragender Fotograf. Mit anderen Worten: So einen können andere Männer gar nicht gut finden.“ Tatsächlich hatte die Kritik an Lanz früh etwas Oberflächliches.

Der Artikel auf der Internetseite von Stefan Niggemeier, der übrigens nicht mit mir über den Moderator sprechen wollte, weil der Verlag, in dem dieses Buch erscheint, ihm nicht auf seine Anfragen antworte, war mit „Kein schöner Lanz“ überschrieben. Dass gutes Aussehen im Fernsehen eine große Rolle spielt, muss man nicht diskutieren, bei Lanz wurde es aber von Anfang an, und teilweise bis heute, gegen ihn verwendet.

Markus Lanz nach der Aufzeichnung seiner gleichnamigen Talkshow im ZDF.
Markus Lanz nach der Aufzeichnung seiner gleichnamigen Talkshow im ZDF. © IMAGO / APress

Motto: Wer so gut aussieht, kann inhaltlich nicht gut sein, seriös schon gar nicht. Lanz hat so lange gegen dieses Vorurteil gekämpft, dass er ungern über sein Äußeres reden mag. Er kleidet sich bewusst in seinen Sendungen so, dass weder seine Anzüge noch seine Krawatten oder Schuhe Anlass für irgendwelche Diskussionen geben.

„Wenn ein Mann nicht wie ein Eimer aussieht, macht er sich der Doofheit verdächtig“, hat Lanz einmal gesagt. Das stimmt, und dabei bleibt es nicht. Allein, dass er so aussieht, wie er aussieht, werten manche schon als Eitelkeit.

Lanz ging es „um die ernsten Dinge des Lebens“

Markus Lanz, das war dieser Schönling, der alles „wegmoderiert hat, was man ihm vorgesetzt hat“, der Boulevard-Heini und „Ersatzmann“, der mit der („viel älteren“) RTL-Moderatorin Birgit Schrowange liiert war, der keine Floskel und Stanze ausließ und der beim ZDF Kochsendungen moderierte. Die Frage, ob „der überhaupt eine journalistische Ausbildung hat“, verfolgt ihn bis heute. Lanz kam in den Texten, die über ihn verfasst wurden, wie ein öffentlich-rechtliches Missverständnis rüber, und spätestens, als bekannt wurde, dass er „Wetten, dass ..?“ übernehmen sollte, war er auch genau das.

Niemand hätte die Sendung, deren Zeit erstens gekommen und die zweitens unwiderruflich mit Thomas Gottschalk verbunden war (und ist), retten können. Aber Markus Lanz war sicher derjenige, der dafür am wenigsten geeignet war. Er war von RTL zum ZDF gewechselt, um endlich anderen Journalismus machen zu können, Dokumentationen, Reportagen, politische Gespräche, all das, für das er spätestens 2020 gefeiert wurde. „Es ging ihm von Anfang an um die ernsten Dinge des Lebens“, sagt einer seiner engsten Weggefährten, die Welt der Unterhaltung liege ihm nicht, weil ihn die Menschen dort nicht interessierten.

Doch darauf konnte das ZDF keine Rücksicht nehmen, als sich bei der Suche nach einem Nachfolger von Thomas Gottschalk ein Kandidat nach dem anderen „in die Büsche schlug“, wie Lanz es formuliert hat. „Es war dramatisch. Jeder wusste, wie schwer es sein würde, jeder hatte Angst.“ Die hatte Markus Lanz auch, aber darüber hinaus keine Wahl. Das ZDF schuf Fakten und kündigte ihn als neuen Moderator von „Wetten, dass ..?“ an, auch wenn Lanz von diesem Job nun wirklich nicht geträumt hatte.

Aber was sollte er machen? Absagen, damit den Sender in Schwierigkeiten bringen, die Zukunft seiner Talkshow riskieren und die der Mhoch2 TV-Produktionsgesellschaft, die er 2010 mit Markus Heidemanns gegründet hatte? Ausgeschlossen, nachdem Lanz zum ZDF gekommen war, weil er es bei RTL nicht mehr ausgehalten hatte: „Ohne den Wechsel hätte ich mit dem Fernsehen wahrscheinlich aufgehört.“

Markus Lanz trat eine "unmögliche Mission" an

Also trat er die unmögliche Mission an, scheiterte mit Ansage und hatte nun wirklich alle gegen sich. Allen voran die „Bild“-Zeitung, für die „Wetten, dass ..?“ so wichtig gewesen sei wie wenige andere TV-Sendungen, sagt ein Mitglied der Chefredaktion aus dieser Zeit: „Wir hatten nichts gegen Markus Lanz persönlich. Wir hatten nur etwas dagegen, dass ,Wetten, dass ..?‘ auf einmal aus dem Fernsehen verschwand.“

Der Moderator litt sehr unter der Situation, und er fing an, noch stärker an sich zu zweifeln, als er es sowieso getan hatte. Dem Männermagazin „GQ“ sagte er dazu einmal: „Ich glaube, die Wahrheit ist: Eigentlich bin ich fürs Fernsehen total ungeeignet. Ich runzle ständig die Stirn, sagt meine Mutter. Ich gucke oft nicht sehr freundlich, sondern so, wie mir gerade zumute ist. Und ich bewege mich viel zu viel, obwohl ich weiß, dass jede Bewegung im Fernsehen zweimal so ausladend wirkt. Deshalb schaue ich mir Sendungen, in denen ich selbst auftauche, nie an. Ich ertrage mich nicht.“

Das Scheitern mit „Wetten, dass ..?“ hatte aber noch eine andere Konsequenz. Von diesem Moment an hatte Lanz das Gefühl, dass er „mit dem Leben eine Rechnung offen hat“, und wahrscheinlich hat einer meiner Gesprächspartner bei der „Bild“-Zeitung recht, wenn er behauptet, „dass Lanz ohne all die Häme, ohne all die Niederlagen von damals heute nicht dort wäre, wo er ist“.

Dass er diese Zeit überstanden hat, nicht nur als TV- Figur, sondern vor allem als Mensch, ist und bleibt ein Wunder. Es hätte auch anders ausgehen können; wenn das ZDF ihn fallen gelassen hätte, wäre es das mit der TV-Karriere gewesen. Das weiß Markus Lanz, der heute der Phase „etwas Befreiendes“ attestiert. Auch weil er an einem Punkt war, an dem er nichts mehr zu verlieren hatte ...

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.