Berlin. Bei einer konzertierten Aktion hat sich der Kanzler mit Arbeitgebern und Gewerkschaften zusammengetan. Scholz zeigt sich optimistisch.

Dass die Runde intensiv diskutiert haben muss, lässt sich schnell erahnen, als Olaf Scholz mit gut 20-minütiger Verspätung am Donnerstagnachmittag den Garten des Kanzleramts betritt und sich ans Rednerpult stellt. Yasmin Fahimi, Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), und Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger flankieren ihn. Scholz spricht die steigenden Preise an und vor allem die Betriebe, die unter den hohen Energiekosten in Bedrängnis geraten. „Die Bundesregierung lässt niemanden mit der Last allein“, sagt er. „You’ll never walk alone.“ Es ist der Kanzlersatz der Krise.

Zwei Stunden lang hat Scholz mit Arbeitgebern, Gewerkschaften und Wissenschaftlern im Kanzleramt zusammengesessen. In einer sogenannten „Konzertierten Aktion“, die Lösungen für Betriebe und Beschäftige in der Energiepreiskrise finden soll.

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Konzertierten Aktion: Bereits im Juli kam es zu einem Krisentreffen

Die Idee der konzertierten Aktion hat Scholz nicht erfunden. Hinter dem Begriff verbirgt sich ein Ansatz aus den Sechziger- und Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals erlebte die noch junge Bundesrepublik ihre erste Wirtschaftskrise. Um einen Ausweg aus der Krise zu finden, verständigte sich die Regierung um Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) und Finanzminister Franz-Josef Strauß (CSU) auf eine Politik, die stärker als zuvor in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen sollte.

In der Folge fanden regelmäßig Treffen zwischen Politik, Arbeitgebern und -nehmern statt. Jeder sollte seine Interessen etwas zurückstellen, um vor allem ein Schreckensszenario abzuwenden, das zu jener Zeit in aller Munde war: Eine sogenannte Lohn-Preis-Spirale – hohe Lohnforderungen der Gewerkschaften, die wiederum die Inflation treiben könnten.

50 Jahre später hat das wiederbelebte Format immerhin schon eine Runde überstanden. Bereits Anfang Juli brachte Scholz Vertreter von Gewerkschaften, Arbeitgebern und Wissenschaft im Kanzleramt zusammen, um sich auszutauschen, wie man die Preissteigerungen für die Bürger auffangen und zugleich die Inflation eindämmen könnte. Mit Verweis auf weitere Gespräche im Herbst wurden viele Details offengelassen. Noch lässt sich nicht sagen, ob Scholz eine gute Figur in der Rolle des Vermittlers zwischen Wirtschaft und Gewerkschaften macht.

Entlastungen: Scholz spricht sich für Einmalzahlungen aus

Der SPD-Mann steht unter Zugzwang. Seine Regierung muss Antworten liefern, wie sie die Bürgerinnen und Bürger in der fortwährenden Krise weiter entlasten könnte. Nach Auslaufen des 9-Euro-Tickets und dem Rabatt an der Zapfsäule ist die Inflationsrate wieder gestiegen. Aktuell liegt sie bei 7,9 Prozent. Immer mehr Menschen bekommen Probleme beim Lebensmitteleinkauf und wissen nicht, wie sie die nächste Strom- und Gasrechnung bezahlen sollen. Lesen Sie auch: 140-Milliarden-Plan der EU: So soll unser Strompreis sinken

In den vergangenen Tagen ist der Kanzler nicht müde geworden, die Bedeutung der konzertierten Aktion zu betonen. Aus seiner Sicht soll sie vor allem ein Signal senden: dass sich Politik, Industrie und Gewerkschaften in Krisenzeiten unterhaken. Einen konkreten Vorschlag zur Abfederung galoppierender Verbraucherpreise hat Scholz längst gemacht, es ist de facto ein Appell an die Betriebe: Wenn Unternehmen ihren Beschäftigten besondere Zahlungen leisten wollen, sollen diese Prämien bis zu einer Höhe von 3000 Euro steuer- und abgabenfrei sein.

Einmalzahlungen in Betrieben: Arbeitgeberpräsident dämpft Erwartungen

Arbeitgeberpräsident Dulger hält eine einmalige Prämie für Beschäftigte ebenfalls für wirksam. Jedoch stünden viele Betriebe am „wirtschaftlichen Abgrund“ und könnten keine Einmalzahlungen leisten. Daher sollten Unternehmen freiwillig entscheiden dürfen, ob und wie viel sie ihren Mitarbeitenden zahlen möchten.

Auch DGB-Chefin Fahimi hatte im Vorfeld weitere Entlastungen gefordert. Die Idee einer steuerfreien Einmalzahlung von 3000 Euro sei zwar der richtige Ansatz. Nötig sei aber auch „eine Stabilisierung der Reallöhne“. Zwischen den Verhandlungspartnern ist bereits vor der zweiten Sitzung durchaus Sand im Getriebe.

Für Scholz und die Bundesregierung ist klar: Insbesondere die horrenden Energiepreise, Haupttreiber der Inflation, sollen eingedämmt werden. „Wir werden das Preisproblem in den Griff bekommen“, erklärt Scholz im Kanzleramtsgarten. Der Kanzler bringt eine Erlösobergrenze für Energieunternehmen ins Spiel, die Strom nicht mit Gas produzieren, sondern zum Beispiel mit Kohle und Erneuerbaren. Überschüssige Gewinne, so Scholz, sollen abgeschöpft werden „für eine Verbilligung der Strompreise“. Da die EU-Kommission einen „ziemlich identischen“ Vorschlag gemacht habe, sei eine schnelle Umsetzung einer solchen Obergrenze in Deutsche schnell umsetzbar.

Mit einer Expertenkommission gegen die steigenden Gaspreise

Zudem soll es eine Expertenkommission geben, die Lösungen zur Eindämmung der gestiegenen Gas- und Wärmekosten entwickeln soll. Erste Ergebnisse könnten im Oktober feststehen. Trotz fehlender Gaslieferungen aus Russland werde Deutschland durch den Winter kommen, bekundet der Kanzler. Gasimporte aus Westeuropa, der Bau von LNG-Terminals, aber auch die Nutzung von Kohlekraftwerken würden dabei helfen.

DGB-Chefin Fahimi dauert vieles zu lange: Sie mahnt bei der Umsetzung des dritten Entlastungspakets ein höheres Tempo an. Erste Maßnahmen müssten noch in diesem Jahr getroffen werden. Und: Zusätzlich zu den Einmalzahlungen sei eine zweite Energiepreispauschale nötig. Auch interessant: Energiepauschale für Rentner: Wer darauf Steuern zahlen muss

Übrigens: Anfangs galt die konzertierte Aktion als Erfolgsmodell, doch irgendwann wurden die Probleme der Treffen sichtbar. Industrie und Gewerkschaften wollten sich nicht von der Politik in ihr Hoheitsgebiet, nämlich den Tarifverhandlungen, dazwischenfunken lassen. 1978 zog sich die DGB aus den Verhandlungen zurück und die konzertierte Aktion wurde nicht mehr einberufen. Von ähnlichen Komplikationen ist 50 Jahre später bislang wenig zu hören. Eine dritte konzertierte Aktion ist für November geplant. Scholz: „Ich freue mich auf eine Fortsetzung des Gesprächs.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.