Berlin. Party-Videos der finnischen Premierministerin werfen die Frage auf, was eine Staatschefin privat darf. Kostet sie die Feierei das Amt?

Kommt man aus dem Urlaub zurück, ist man doch gespannt, welche „Sommer-Skandale“ die Republik erschüttern. Gerade tanzt die finnische Premierministerin Sanna Marin durch die Nachrichtenportale. Und man fragt sich, wann stolpert sie?

Außerdem war Angela Merkel wieder bei den Bayreuther Festspielen, trug sie endlich in Freiheit vom Kanzleramt ein Kleid, das zeigt: Ja, ich bin eine Frau!? So wie 2008 bei der Eröffnung des Osloer Opernhauses als allen der Mund offen stehen blieb wegen so viel Weiblichkeit im Dekolleté?

Nun, in diesem Sommer 2022 erschien sie zwar bei der Premiere der Neuinszenierung von Tristan und Isolde, doch sie präsentiert statt Freiheit und Neuerfindung (Achtung, Wortlaut „Münchner Abendzeitung“:) nur ihr „grünes Grusel-Kleid“! Die Merkel wirke wie ein in Plastik eingepacktes Apfel-Bonbon. Ups.

Sanna Marin und was sie von Angela Merkel lernen kann

Doch warum trägt Angela Merkel das Oslo-Kleid mit dem tiefen Ausschnitt nicht, gerade jetzt in ihrem ersten Sommer nach ihrem Abschied vom Kanzleramt? Ist ihr wohl immer noch zu viel Aufmerksamkeit. Zu viel Nebenkriegsschauplatz.

Die finnische Premierministerin Sanna Marin auf einer Pressekonferenz am 19. August, auf der sie ihre Partyvideos erklärt.
Die finnische Premierministerin Sanna Marin auf einer Pressekonferenz am 19. August, auf der sie ihre Partyvideos erklärt. © AFP | Roni Rekomaa

Dieses Neben, das Privatleben, ist in der Politik immer gefährlich. Sanna Marin lernt das gerade oder spielt damit, Merkel weiß das. Auch FDP-Finanzminister Christian Lindner kennt diese Gefahr, trotzdem feierte er auf Sylt Hochzeit, mit vielen Gästen. In der Krise. Die Zeit wird zeigen, ob ihn dieses Fest der Liebe noch einholt.

Sanna Marin hätte auch von Rudolf Scharping lernen können

Erinnern Sie sich noch an den SPD-Politiker Rudolf Scharping? Und diese unvergesslich albernen Bilder? Er planschte 2001 mit seiner Verlobten Gräfin Pilati in einem Pool auf Mallorca. Eigentlich eine PR-Aktion, die Fotos in der „Bunten“ sollten sein (langweiliges) Image aufpolieren. Nur leider war Scharping Verteidigungsminister im Hauptberuf und deutsche Soldaten hatten gerade vor einem nicht ungefährlichen Balkan-Einsatz in Mazedonien eine Urlaubssperre angeordnet bekommen.

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Die Aktion mutierte zum „Badeunfall“ – und löste (um in der Terminologie zu bleiben) den ersten Sturm im Pool aus. Kanzler Gerhard Schröder hielt zwar an ihm fest, doch irgendwann kam heraus, dass Scharping die Flugbereitschaft rund 50 Male! genutzt hatte, um von Berlin nach Frankfurt zu seiner Gräfin zu fliegen, ein Jahr später gab ihm ein umstrittener Beratervertrag den Rest. Im Sommer 2002 musste Schröder den Bundespräsidenten bitten, seinen Verteidigungsminister zu entlassen.

Was darf eine Premierministerin privat?

Wird es der finnischen Premierministerin Sanna Marin nun ähnlich ergehen? Wird sie in einem Jahr Geschichte sein? Vor ein paar Tagen tauchte von ihr ein aktuelles Partyvideo auf, sie tanzt und singt zu finnischer Pop-Musik. Sie schwingt ihre Hüften, ist textsicher, lacht, knutscht im Überschwang ihre Freundinnen. Die Opposition zweifelt daran, ob so jemand für das Amt der Premierministerin geeignet sei.

Um alle weiteren Spekulationen im Keim zu ersticken, hat Marin gleich selbst einen Drogentest gemacht, denn Kritiker meinten zu wissen, auf der Party sei Kokain im Spiel gewesen. Das Ergebnis des Drogentest soll im Laufe dieser Woche bekannt werden. Marin sei sich jedenfalls keines Fehlverhaltens bewusst. Doch wie sich so eine Affäre entwickelt, hätte ihr Rudolf Scharping erklären können.

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Ein zweites Video von der Party-Premierministerin ist aufgetaucht

Just ist ein weiteres Video von ihr aufgetaucht, dieses Mal in einem Club, die verheiratete Premierministerin tanzt eng umschlungen mit einem finnischen Musiker. Sogar geküsst soll er sie haben, obwohl das ist Interpretationssache: Marin behauptet, er habe ihr nur etwas ins Ohr geflüstert. Die Opposition kritisiert weiter: Was passiert in einem Notfall? Ist eine angetrunkene Premierministerin jederzeit arbeitsfähig?

Die Antwort ist eindeutig: Nein. Aber es gibt ja ein Vertretungssystem, das das Privatleben auch der ersten Frau des Staates absichert, solange das so ist, darf sie privat alles tun, was legal ist. Tanzen und Alkohol sind das. Doch legal reicht in dieser „Flughöhe“ leider nicht. Marin geht auch in Jeansshorts und Lederjacke auf ein Rock-Festival. Das wirkt erst einmal lässig, nahbar, zeitgemäß, aber kurze Shorts sind in Krisen einfach immer zu kurz. Selbst wenn das unfassbar spießig klingt.

Diana Zinkler schreibt an dieser Stelle über Gesellschaft und das Deutschland von morgen.
Diana Zinkler schreibt an dieser Stelle über Gesellschaft und das Deutschland von morgen. © ZRB | ZRB

Tanzen, trinken, ausschweifendes Privatleben: das bietet dem Gegner Raum für Angriffe

Merkel, Schröder und Kohl waren sicherlich nicht immer ganz trocken. Nur waren sie nicht so jung wie Marin, tanzten nicht so sexy, so bietet sie ihren Gegner Raum für deren Angriffe. Und sie haben ihre Exzesse wahrscheinlich besser kontrolliert. Beide Male waren es private Handyvideos, die Marins Partysausen offenbaren. Vielleicht waren die Videos sogar gut gemeint, so wie bei Sharping. Tja, doch gut gemeint ist eben selten auch gut gemacht. Ob wir nächsten Sommer Sanna Marin noch im Amt der Premierministerin tanzen sehen?

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