Bad Lobenstein/Berlin. Ein Reporter der “Ostthüringer Zeitung“ will einen umstrittenen Bürgermeister auf einem Fest konfrontieren. Doch der attackiert ihn.

  • Der Bürgermeister von Bad Lobenstein hat einen FUNKE-Journalisten angegriffen
  • Er bedrängte Reporter Peter Hagen, der bei der Attacke zu Fall kam
  • Politiker sind entsetzt und verurteilen den Angriff scharf

Plötzlich geht Thomas Weigelt los, mit schnellen Schritten, den linken Arm voraus. Der Bürgermeister von Bad Lobenstein drängt den Reporter zurück, drückt gegen das Handy des Journalisten, schubst, immer weiter. Bis der Reporter auf den Pflastersteinboden stürzt. Die Videoaufnahme von dem Handy zeigt nur noch grau, im Hintergrund ist Blasmusik zu hören.

Peter Hagen ist Reporter der Ostthüringer Zeitung (OTZ), die auch zur FUNKE Mediengruppe gehört. Er wollte von dem öffentlichen Empfang durch den Bürgermeister auf dem Stadtfest der Kleinstadt in Thüringen berichten, auch Aufnahmen machen. Doch Bürgermeister Weigelt attackierte Hagen, wollte die Aufnahmen mit körperlicher Gewalt unterbinden. Bei dem Sturz wurde der Reporter nach eigenen Angaben leicht verletzt, ein Teil der Kameraausrüstung zerstört.

Angriff auf Journalisten: "So etwas geht einfach gar nicht!"

Nach dem Angriff äußerten sich Politiker bestürzt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) fand deutliche Worte. "Angst, Einschüchterung und Gewalt dürfen nie Mittel der Auseinandersetzung sein", sagte Faeser unserer Redaktion. "Der gewaltsame Übergriff in Bad Lobenstein muss vollständig aufgeklärt werden."

Ohne freie und kritische Medien gebe es keine Demokratie, fügte Faeser hinzu. "Das gilt auf allen Ebenen, gerade auch vor Ort in der lokalen Berichterstattung, wo man sich unmittelbar Tag für Tag begegnet", sagte die Ministerin. "Journalistinnen und Journalisten müssen jederzeit frei und ungehindert ihre Arbeit machen können."

Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), sagte unserer Redaktion: "Eine freie Presse gehört zum Kernbereich unseres Grundgesetzes und die Berichterstattung muss gerade von öffentlichen Amtspersonen gewährleistet werden." In der letzten Zeit sinke die Hemmschwelle zu körperlichen Übergriffen. "Ein solches Verhalten ist das Gegenteil der demokratischen Auseinandersetzung, die wir brauchen, damit unsere Gesellschaft zusammenbleibt und deshalb mit dem Amt eines Bürgermeisters unvereinbar."

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) verwies bei Twitter darauf, dass für den Empfang Steuergelder und Amtsräume genutzt und ein Journalist am Arbeiten gehindert worden ist. "Ein Bürgermeister greift einen Journalisten persönlich und körperlich an", schreibt Ramelow. "So etwas geht einfach gar nicht!" Jetzt müsse "amtlich gehandelt" werden. Weitere Politiker von CDU und Grünen verurteilten die Attacke scharf.

Bürgermeister hofiert Reichsbürger

Was war passiert? Am Samstagvormittag fand in Bad Lobenstein das Marktfest statt, ein traditionelles Event, auf dem der parteilose Bürgermeister seinen offiziellen Empfang im "Neuen Schloss" feierte. Unter den geladenen Gästen befand sich ein bekannter Vertreter der Reichsbürgerszene, der erst vor wenigen Wochen erklärt hatte, ihm stünden die Verwaltungsstrukturen Deutschlands von 1918 zu. Der Mann hatte Deutschland auch schon einen "angeblichen Staat" genannt – und die Gewaltenteilung eine "Illusion".

Aufgrund der Teilnahme dieses Akteurs bei dem Bürgermeister-Empfang war die Berichterstattung für den OTZ-Reporter relevant, so schilderte er es im Gespräch mit unserer Redaktion. Journalist Hagen wollte vor Ort recherchieren, den Bürgermeister konfrontieren. Worin die Verdienste des umstrittenen Gastes für die Stadt Bad Lobenstein liegen, diese Frage sollte Weigelt beantworten.

Anzeige gegen Bürgermeister wegen Körperverletzung

Der Bürgermeister reagierte abweisend und forderte den Reporter dazu auf, das Schloss zu verlassen. Auch davon existieren Videoaufnahmen. Nach dem Empfang war der Bürgermeister mit dem Gast und einem AfD-Politiker gegen 11.30 Uhr an einem Stehtisch auf dem Markt zu sehen. Reporter Hagen filmte die Szene. Als Weigelt dies bemerkte, ging er auf den Reporter zu. Bei dem Sturz kam nach Angaben des Reporters noch ein unbeteiligter Passant zu Fall. Auf der Handyaufnahme sind mehrere Personen zu erkennen.

Der Reporter stellte bei der Polizei Anzeige gegen Bürgermeister wegen des Verdachts der Körperverletzung und der Sachbeschädigung. Bürgermeister Weigelt war bis zum Sonntag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen, reagierte nicht auf Anfragen.

Der Kommunalpolitiker Weigelt ist umstritten. Erst am 17. Juli hatte der hauptamtliche Bürgermeister ein vom Stadtrat angestrengtes Abwahlverfahren nur knapp überstanden. Anlass für das Verfahren waren unter anderem Kommentare Weigelts in sozialen Medien, in denen er der Regierung Lügen und Verrat vorgeworfen hatte, teilweise im Duktus von Verschwörungsideologen. Ein Screenshot dieser Äußerung liegt unserer Redaktion vor.

Verlegerin der Funke Mediengruppe fordert Rücktritt

Auch der Deutsche Journalistenverband (DJV) kritisierte die Attacke auf den Reporter scharf, forderte in einer ersten Stellungnahme "Konsequenzen". Der Chefredakteur der OTZ, Jörg Riebartsch, nannte den Vorfall "eine neue, traurige Eskalation". Immer wieder habe es Versuche gegeben, die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten zu behindern – auch durch Drohungen.

Julia Becker, Aufsichtsratsvorsitzende der FUNKE Mediengruppe sagte: "Der Angriff auf unseren Reporter der OTZ ist nicht nur ein schändlicher Angriff auf einen unserer Mitarbeiter. Es ist auch ein Angriff auf die Pressefreiheit und damit auf einen der Grundwerte unserer Demokratie. Meine Familie und ich fordern klare Konsequenzen. Daher ist der Rücktritt dieses Bürgermeisters, der mit körperlicher Gewalt Berichterstattung verhindern will, unumgänglich. Dem verletzten Kollegen wünsche ich- auch im Namen meiner ganzen Familie - schnelle Genesung. Wir werden alle juristischen Mittel aufbieten, um diesen Übergriff zu ahnden."

Bundeskriminalamt zeigt sich besorgt über das Aggressionspotenzial

Es ist das, wovor Verbände seit einiger Zeit warnen. Die Übergriffe auf Medienvertreter haben im Zuge der Corona-Pandemie zugenommen. Vor allem im Zusammenhang mit Berichterstattung über Demonstrationen der sogenannten Querdenker-Szene kommt es immer wieder zu Beleidigungen und auch Attacken.

Das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Leipzig hat zuletzt in einer Untersuchung 83 tätliche Angriffe im Jahr 2021 verzeichnet. Das sind 14 mehr als noch 2020. In den gemeldeten Fällen waren demnach insgesamt 124 Medienschaffende von der Gewalt betroffen. Allerdings gehen die Leipziger Wissenschaftler von einer hohen Dunkelziffer aus. Auch das Bundeskriminalamt zeigt sich besorgt über das Aggressionspotenzial am Rand von Demonstrationen der Corona-Leugner-Szene.

In einem Kommentar auf Facebook hatte auch Bürgermeister Weigelt die Corona-Pandemie als "Lüge" der Regierung bezeichnet. Sein Übergriff auf den Lokalreporter sorgte nun nicht nur vor Ort für Aufsehen – auch überregionale Medien berichteten. Chefredakteur Riebartsch sagte nach dem Vorfall: "Die Redaktion der OTZ lässt sich allerdings auch künftig nicht mit Gewalt einschüchtern."